Später Besuch. Thomas Hölscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750218970
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Grinsend sah er zu, wie Bremminger mit der Schulter gegen den Türrahmen stieß und im dunklen Flur verschwand. Anschließend war zu hören, wie Bremminger irgendetwas im Badezimmer anrempelte und offensichtlich Schwierigkeiten hatte, die Toilettenbrille in die richtige Position zu bekommen.

      Wieviel hatte Bremminger eigentlich schon getrunken? Ein paar Flaschen und ein paar Korn waren es schon. Er sah Bremminger heute überhaupt zum erstenmal trinken; wahrscheinlich vertrug er gar nichts. Bremminger sollte nicht betrunken sein; er fand die Vorstellung plötzlich unerträglich, seinen ehemaligen Chef völlig besoffen und hilflos in seiner Wohnung sitzen zu haben. Er nahm sich vor, Bremminger auf keinen Fall mehr zum Trinken zu animieren.

      Dann hörte er, wie der Strahl in die Kloschüssel platschte und gar nicht mehr aufzuhören schien. Nur für ein paar Sekunden wurde das Plätschern plötzlich durch einen enormen Furz unterbrochen, und augenblicklich glaubte Börner, selbst dann noch lachen zu müssen, wenn Bremminger eine halbe Stunde lang pinkeln sollte.

      Mit den Ärmeln des Pullovers wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, als er hörte, dass die Wasserspülung betätigt wurde. Er nahm seine Bierflasche, und als Bremminger ins Zimmer kam, tat er so, als habe er sich verschluckt. "Das tat richtig gut!", meinte Bremminger aufatmend, und da verschluckte Börner sich tatsächlich.

      "Da ist eine Sache, die ich allerdings gar nicht verstehe", sagte Bremminger, als er sich mit einigem gymnastischen Aufwand wieder auf die Couch gesetzt hatte.

      "Was denn?", fragte Börner und hatte immer noch Mühe, ernst zu bleiben.

      "Warum hast du mich gerade angelogen?"

      "Habe ich das?" Börner grinste unsicher.

      "Warum erzählst du mir, du hast Milewski seit vier Jahren nicht mehr gesehen? Du hast ihn doch vor ein paar Tagen in der Stadt getroffen."

      Augenblicklich hatte sich die Atmosphäre verändert. Börner spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg.

      "Warum erzählst du mir das nicht?"

      "Weil es dich nichts angeht", sagte Börner kühl.

      Bremminger lachte boshaft. "Da bin ich mittlerweile aber ganz anderer Meinung. Deine Beziehung zu Milewski scheint ja alles andere als eine reine Privatsache darzustellen. Aber wenn du es nicht erzählen willst, kann ich es ja selber tun." Er sah Börner grinsend an. "Du hast Milewski vorgestern irgendwo getroffen, wo ihr euch nicht aus dem Wege gehen konntet und gezwungen ward, miteinander zu reden. Dich hat es wahrscheinlich wieder umgehauen. Da stand dieser Kerl plötzlich vor dir, und du wusstest wieder nicht mehr, wohin du sehen solltest." Er sah Börner herausfordernd an.

      "Und dann hat Milewski dir auch noch erzählt, dass ich pensioniert werde, Hebemann mein Nachfolger und er selber Hebemanns Stellvertreter wird. Das war natürlich ein ganz großer Fehler; denn da war es bei dir völlig aus. Von dem Augenblick an hast du wahrscheinlich nur noch überlegt, wie du ihm eins auswischen kannst. So war es doch?"

      "Wenn du meinst", sagte Börner leise.

      "Das meine ich nicht, das weiß ich. Ich wende einfach mal an, was du heute Abend über dein Männerbild erzählt hast."

      "Hat Milewski dir das erzählt?"

      "Vielleicht.“

      "Dumm genug wäre er."

      "Er ist nicht dumm, er hat einfach Angst vor dir. Er hat so sehr Angst vor dir, dass er heute Abend nicht mal zu meiner Abschiedsfeier erschienen ist." Den letzten Satz hatte Bremminger mit offensichtlich ehrlicher Betroffenheit gesagt. "Und zwar hat er völlig zu Recht Angst vor dir. Du erzählst mir den ganzen Abend etwas von dem armen Schwulen, der die Männer hassen muss, weil er sie nicht lieben darf. Soll ich dir mal meine Version davon erzählen? Du bist einfach neidisch auf Leute, die etwas erreicht haben, weil sie dir nämlich deutlich vor Augen führen, dass du aus deinen Fähigkeiten nichts gemacht hast. Gar nichts. Sieh dich doch mal an! Was bist du denn? Eine Null, eine gescheiterte Existenz. Ein Säufer, der sich selbst bedauert und die Schuld für sein Scheitern nur bei anderen sucht."

      "Ich wünsche, dass du jetzt gehst." Börner verschlug es die Stimme.

      "Ach, der Herr wünscht, dass ich jetzt gehe!", rief Bremminger höhnisch und stand langsam auf. Als er neben Börner stand und der sich ebenfalls erheben wollte, stieß Bremminger ihn roh in den Sessel zurück. "Das glaube ich dir sogar ausnahmsweise. Aber ich werde nicht gehen. Ich war heute Abend auf einiges gefasst, und ich hätte mich auch damit abfinden können, dass du damals die Aktion der Kollegen hast scheitern lassen. Irgendwie habe ich das ohnehin immer gewusst. Aber was du heute Abend von Milewski behauptet hast, das geht entschieden zu weit."

      "Du hast doch selber zugegeben, dass du nur gekommen bist, weil auch dir klar ist, dass es da noch ein paar Leichen im Keller gibt."

      "Mich interessieren die Leichen in euren Kellern", sagte Bremminger gleichgültig. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen."

      "Da wäre ich an deiner Stelle aber ganz vorsichtig!", rief Börner schnell, und für einen Augenblick genoss er die plötzliche Fassungslosigkeit in Bremmingers Gesicht. Und dann tat er ihm plötzlich nur noch leid. Wieder war da schlagartig nur noch der alte Mann, der vor irgendeiner Wahrheit, die er vielleicht nur dumpf ahnte, eine schreckliche Angst hatte; der heute an seinem zweifelhaften Ehrentag zuviel getrunken und deshalb Mühe hatte, die Kontrolle über seinen Körper nicht zu verlieren. Der vor allem nur noch eines wollte: seine Ruhe, weil er fürchterlich müde war. Der ihn letztlich doch auch nur hatte provozieren wollen, um die Wahrheit aus ihm herauszuholen.

      "Was willst du damit sagen?", fragte Bremminger leise.

      Börner tat so, als habe er Bremmingers Frage gar nicht gehört. "Also gut, ich habe Milewski vorgestern" - er sah auf seine Armbanduhr; es war mittlerweile kurz nach eins - "besser gesagt: vor drei Tagen in der Stadt getroffen. Es war genau so, wie du gesagt hast: Ich war im Kaufhof, wollte irgendetwas an der Kasse bezahlen, und plötzlich stand er vor mir. Er war übrigens ebenso überrascht wie ich." Börner zögerte einen Augenblick. "Und auch mit dem Rest hattest du Recht. Ich habe mir vier Jahre lang eingeredet, Milewski könne mir nichts mehr anhaben, aber das war ein Irrtum. Es hat mich umgehauen."

      "Und weiter?" fragte Bremminger interessiert. "Worüber habt ihr gesprochen?"

      "Er hat mir natürlich auch erzählt, dass er stellvertretender Leiter des 1.K. werden soll. Und ob du es mir glaubst oder nicht, das hat mich gar nicht gestört. Im Gegenteil: es hat mich für Milewski gefreut."

      "Und doch muss dich irgendetwas an ihm gestört haben", drängte Bremminger weiter.

      "Wie kommst du denn darauf?"

      Bremminger lachte. "Du hast heute Abend den Namen Milewski noch nicht einmal erwähnt, ohne aggressiv zu sein. Wenn du ihn wirklich vier Jahre nicht gesehen hättest, dann hättest du nicht so gesprochen. Das war mir von Anfang an klar. Also, was hat dich geärgert?"

      Börner nickte. "Vielleicht hat es mich einfach nur geärgert, dass Milewski so tun kann, als sei niemals irgendetwas zwischen uns passiert. Und ich schleppe diesen ganzen Mist immer noch mit mir rum."

      "Was ist denn zwischen euch passiert?"

      Nun grinste Börner. "Meinst du nicht, dass du jetzt etwas zu weit gehst?"

      "Vielleicht. Aber es interessiert mich eben. Man ist nie zu alt, um etwas Neues zu lernen." Bremminger überlegte einen Augenblick. "Ich kann ja mal raten." Er schien plötzlich wieder sehr munter, und die Sache schien ihm nun großen Spass zu machen. "Du hast ihm im besoffenen Kopf mal gesagt, dass du ihn liebst?"

      Als Börner keinerlei Anstalten machte, darauf einzugehen, fuhr er fort: "Oder der Volker hat dich mal zum Naschen verführt."

      Börner wusste, dass er nun einen roten Kopf hatte. "Hat er dir das etwa auch erzählt?"

      Bremminger lachte. "Nein, natürlich nicht. Das würde Milewski niemals wagen." Er sah Börner an. "Und tut es dir heute leid, dass du ihm an die Wäsche gegangen bist?"

      "Nicht die Bohne", sagte Börner. Und als sei ihm plötzlich alles zu dumm, fügte er hinzu: "Wenn