Privatsache. Thomas Hölscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750219007
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er sagen sollte. Schließlich nickte er. "Meistens schon. Wo denn sonst? Aber natürlich nicht hier."

      „Natürlich nicht“, sagte Börner, und damit war ihr Gespräch auch schon wieder unterbrochen, und Börner glaubte, es sei nun der richtige Moment, um sich zu verabschieden.

      "Und was machst du so den ganzen Tag?"

      Börner sah den Mann mit gequältem Gesichtsausdruck an. Was sollte denn jetzt eine solche Frage? Er wollte nach Hause. "Ach Gott, ich schlage halt die Zeit tot."

      "Womit denn?"

      Börner verdrehte gelangweilt die Augen. "Na ja, zum Beispiel interessiere ich mich für Mordfälle", sagte er, und dann kam ihm diese Antwort so unglaublich dämlich vor, und er wurde wütend auf den Mann, weil der ihn dazu gebracht hatte, einen solchen Blödsinn zu erzählen.

      "Du wärst also noch gerne bei der Kripo?"

      Börner hob langsam die Schultern. "Ich glaube nicht."

      "Wirklich nicht?" Der Mann sah ihn grinsend an.

      Börner glaubte plötzlich, dass man ihm seine Wut nun anmerken musste. "Wirklich nicht", sagte er mit Nachdruck. Er musste sich zusammenreißen, oder es war wieder alles gefährdet, was er gerade erreicht hatte. "Es ist einfach so: ich lese so etwas in der Zeitung, und dann interessiert es mich eben." Er suchte verzweifelt nach Worten; es war einfach ekelhaft, wenn andere einen dazu zwangen, dass man sich rechtfertigte. "Noch in meinem letzten Urlaub hat es eigentlich nur eine Sache gegeben, die mich wirklich interessiert hat: der Mord im Schalker Altenheim."

      "Ach, du meinst, was der alte Potthoff da angestellt hat!" Der Mann lachte plötzlich auf. "Das war ja wirklich ein starkes Stück."

      "Du kennst den Mann?", fragte Börner überrascht.

      "Ja sicher. Die wohnten doch bis vor zwei Jahren hier ganz in der Nähe." Er lief zum Fenster und zog die Gardine an die Seite. "Da drüben in dem Haus." Als Börner neben ihm stand, zeigte der Mann auf eines der grauen Miethäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

      "Ich kannte den Willi sogar ganz gut", fuhr der Mann fort, zog die Gardine wieder vor das Fenster und ging zurück an den Tisch. "Wir waren schließlich jahrelang zusammen im Billardverein. BV Bulmke-Hüllen. Nie von gehört?"

      Börner hatte schnell klar gemacht, dass ihn ein Billardverein in Bulmke weniger interessierte als die Käsezubereitung in den Karawanken, und der Mann fuhr sichtlich pikiert fort: "Irgendwann haben wir uns dann aber aus den Augen verloren, mit dem Willi ging es eigentlich schon seit Jahren gesundheitlich bergab, und dann ist er ja auch vor zwei Jahren in das Altenheim gekommen."

      "Kennst du den anderen auch?"

      "Du meinst das Opfer? Ne, kenn ich nicht. Ich weiß nur, dass er Wilmers hieß."

      "Woher kennst du den Namen? In der Zeitung war der nicht erwähnt."

      Wieder lachte der Mann. "Du kannst dir doch wohl denken, dass dieser Fall hier in der Gegend eine ganze Zeit lang wichtigstes Gesprächsthema war. Aber wieso interessiert dich diese Sache eigentlich?"

      "Warte mal!" Nervös kramte Börner in seiner Jacke, die er über den Stuhl gehängt hatte. Schließlich hatte er den schon reichlich zerfledderten Zeitungsbericht gefunden und warf ihn auf den Tisch.

      "Was soll denn das sein?"

      "Ein Artikel aus der WILD-Zeitung."

      Der Mann war überrascht. "Wie, die ganze Sache stand sogar in der WILD-Zeitung? Wusste ich noch gar nicht." Er setzte umständlich seine Brille auf und las den Artikel. Wieder irritierte Börner die Heiterkeit, die zumindest einige Passagen des Textes bei dem Mann offensichtlich hervorriefen. Als er den Zettel schließlich zur Seite schob und die Brille wieder auf den Tisch legte, lachte er sogar laut los.

      "Was gibt's denn da zu lachen?" Börner war ärgerlich. "Ich hab doch gesagt, aus welchem Blättchen der Artikel stammt. Ich hab nie behauptet, dass dieser Schwachsinn stimmt."

      "Das ist es doch gerade!", rief der Mann, und noch immer schien er sich nicht einkriegen zu wollen. "Da stimmt doch jedes Wort!"

      "Du meinst, Potthoff war schwul?"

      "Na klar war er das."

      "Woher willst du das wissen? Er hat's dir wohl kaum gesagt."

      "Natürlich nicht. Aber als Schwuler hat man doch einen Blick dafür."

      Börner grinste. "Allerdings. Auch wenn es lange dauert."

      Der Mann überging diese Bemerkung. "Nur eines stimmt wohl nicht so ganz."

      "Was denn?"

      "Dass der Willi in ständiger Angst vor den Nazis gelebt haben soll. Das soll wohl ein Witz sein."

      "Warum?"

      "Na, der war doch selber Pg."

      "Was war der?"

      "Parteigenosse. Als Postbeamter hatte er natürlich auch kaum eine andere Wahl." Der Mann schien einen Augenblick nachzudenken; dann schüttelte er plötzlich den Kopf. "Aber der Willi hatte sich schon vor 33 für die Braunen entschieden. Der Potthoff war ein ganz strammer Nazi."

      Es war fast 16 Uhr, als Börner dann endlich ging. Er fühlte sich schrecklich unruhig, lief ziellos durch die Stadt, aß dann an irgendeiner Pommesbude, fühlte sich anschließend hundeelend und kotzte die Curry-Pommes-Mayo für 3 Mark 25 in der Nähe des Ehrenmals im Stadtgarten wieder aus.

      Vielleicht kam diese plötzliche Übelkeit gar nicht von seinem exzessiven Saufen, dachte er plötzlich. Natürlich ruinierte das Saufen seine Gesundheit oder besser das, was davon überhaupt noch übriggeblieben war. Aber gerade hatte etwas anderes diese Übelkeit verursacht.

      "Tolle Idee," hatte der Kerl ihm beim Abschied noch gesagt und dabei auf Börners rechte Hand gezeigt.

      Börner hatte zunächst gar nichts verstanden. "Was ist eine tolle Idee?"

      "Na, die Nummer mit dem Ehering!" Der Kerl hatte dreckig gelacht. "Da kommt doch kein Mensch drauf, dass du schwul bist."

      Dass er ein Idiot, ein blödes Arschloch sei, das hatte er dem Kerl eigentlich sagen wollen. Wegen seiner Mietschulden hatte er dann doch lieber den Mund gehalten und war wortlos aus der Wohnung gegangen. Der Kerl ekelte ihn an.

      Abends saß er wieder auf der Parkbank am Kussweg und sah wie gebannt auf das Altenheim.

      Auch am heutigen Abend war das Wetter hervorragend, die tiefstehende Sonne schien bis in die entlegensten Winkel der Balkone des Altenheims, das sich auf einem Schild an der Grenzstraße selber als Seniorenzentrum bezeichnete.

      Sie hätten auch Entsorgungspark schreiben können, hatte er gerade noch gedacht, als ihm das Schild aufgefallen war; aber mittlerweile machte ihm nicht einmal mehr sein Zynismus Spaß. Die Rolle desjenigen, der nur beobachtet, gelang ihm heute ohnehin nicht. Er fühlte sich beobachtet. Namen schwirrten durch seinen Kopf: Wilmers, Potthoff, BV Bulmke-Hüllen, der Willi und die Braunen.

      Dann war auch der Junge wieder auf dem Balkon, und augenblicklich waren die Namen aus Börners Kopf verschwunden, weil er einfach nicht anders konnte, als den jungen Mann anzusehen. Der gab einigen der alten Leute zu essen, zu trinken, fuhr sie mit dem Rollstuhl vom Balkon, brachte sie wieder zurück, und plötzlich kam Börner sich verkommen vor, weil alles das für den Jungen nicht einmal eine Last zu sein schien. Der schien nicht anders zu können, als freundlich zu sein.

      Er selber hatte den heutigen Tag wieder auf seine Art verbracht. Wie, das wusste er zwar nicht mehr genau zu sagen, aber auf jeden Fall ganz anders als dieser Junge.

      Aber immerhin nicht ganz erfolglos. Der Vermieter würde sich jedenfalls die nächsten hundert Jahre nicht mehr bei ihm melden, und selbstverständlich war diese dämliche Geschichte mit der Waschmaschine auch schon reguliert. Bargeldlos und ohne Plastikgeld. Bezahlt in Naturalien.

      Er war wirklich eine dreckige Sau, dachte er dann; aber richtig empört zu sein, gelang ihm doch nicht.

      Schon eine ganze Zeit