Als dieser Jonas seine aufgestaute Geilheit nach fast drei Stunden und wie Ulla meinte geradezu literweise in seinen Mund entleert hatte, war ganz offensichtlich dessen Interesse an Ulla mit einem Schlag erloschen. Als Mensch hatte er ihn natürlich ohnehin nicht interessiert; das kannte Ulla von seinen Kontakten mit echten Kerlen schließlich zur Genüge. Endgültig war Ulla aber erst davon überzeugt, als er noch zwischen den weit gespreizten Oberschenkeln des Fremden auf dem Boden hockte, der langsam den Reißverschluss seiner Jeans nach oben zog und wie beiläufig und doch laut und vernehmlich sagte: „Beim nächsten Mal mache ich dich tot.“
Es kam so gut wie nie vor, dass es Ulla die Sprache verschlagen hatte; aber in dem Augenblick war es so, er wagte nicht einmal mehr nachzufragen, ob er sich eventuell verhört habe, und das nachfolgende Schweigen wurde fast peinlich. Erst nach ein paar Minuten schien der Fremde plötzlich wieder bei der Sache zu sein. „Hat’s dir gefallen?“, wollte er wissen.
„Na klar.“
„Lässt du es dir oft so machen?“
„Nicht oft.“
„Warum denn nicht? Du brauchst das doch.“
„Weil man kaum jemanden findet, von dem man es sich machen lassen will.“
„Und du meinst, ich könnte das?“
„Allerdings.“
Und dann lachte der Fremde plötzlich los. „Ich bin doch noch gar nichts. Soll ich dir mal jemanden zeigen, der es sogar mir machen könnte?“ Und noch bevor Ulla irgend etwas antworten konnte, hatte der andere ihm bereits ein Foto über den Tisch zugeschoben.
Es zeigte einen Riesen von einem Kerl auf einem Pferd, von dem Ulla nur hoffen konnte, dass auch dieses Tier es sich genau wie er gerne machen ließ; denn ansonsten würde das kleine Pferdchen nicht viel Gefallen finden an der Masse Kerl, die da auf seinem Rücken saß. „Geil“, sagte er sofort. „Echt saugeil.“
„Was ist saugeil?“
„Na der Typ.“
„Findest du?“
Das fand Ulla allerdings.
Und von diesem Augenblick an wusste er kaum noch zu sagen, wie er alles das finden sollte, was ihm sein nächtlicher Besuch anschließend zu verstehen gab. Dieser saugeile Typ sei ein Bekannter von ihm, und er habe sich mit dem einen kleinen Scherz erlaubt. Er habe diesem Kerl etwas entwendet, das der unbedingt wiederhaben wolle; der sei bereit, so ziemlich alles zu tun, nur um diesen Gegenstand wieder in seinen Besitz zu bekommen.
Ulla verstand gar nichts, bemerkte aber sehr wohl, dass sein Gegenüber auf Rückfragen mehr als ärgerlich reagierte. Ihm war und blieb die ganze Sache seltsam, geradezu absurd, er wollte damit spontan nichts zu tun haben, aber die immer ungehaltener werdenden Reaktionen des anderen schüchterten ihn zusehends ein. Dass es sich dabei doch wohl um keine krummen Dinger handele wie Rauschgift oder ähnliches, wagte er zumindest noch nachzufragen, und dann war sein Gegenüber regelrecht empört: Natürlich nicht, mit so etwas habe er überhaupt nichts zu tun. Es sei nicht mehr als ein Spaß, mit dem er diesen geilen Kerl ein wenig aufziehen wolle.
Der Spaß war Ulla zu diesem Zeitpunkt schon längst vergangen.
Seinem Gegenüber ganz offensichtlich nicht.
Deshalb sage er es ihm nun zum letzten Mal: Er solle diesem geilen Kerl etwas zurückgeben, das der sich mehr wünsche als sonst etwas auf der Welt und für dessen Rückgabe der so ziemlich alles zu tun bereit sei. Ulla könne sich noch aussuchen, welchen Wunsch ihm dieser tough guy ohne mit der Wimper zu zucken erfüllen werde. Anschließend machte er sogar noch ein paar Vorschläge, und obschon Ulla alles andere als prüde war, sah er sich schließlich doch gezwungen, der Flut sexueller Phantasie Einhalt zu gebieten und sich zumindest pro forma für etwas eher Traditionelles zu entscheiden. Zum einen wollte er ein eventuelles Treffen mit dieser affengeilen Schnitte auf dem Bild im Gegensatz zu dem bedauernswerten Pferdchen zumindest überleben; dass das armselige Vieh das nicht getan hatte, davon hatte Jonas’ Bericht ihn wortreich informiert. Vor allem aber wollte er diesen verrückten Typen in seiner Wohnung endlich loswerden.
Es wurde bereits hell, als Ulla den Besuch an der Tür verabschiedete; dass dieser Jonas wiederkommen sollte, so oft er wollte, das sagte er und meinte es auch genau so; die ganze Sache mit dem geilen Kerl sollte Jonas so schnell wie möglich vergessen, das hoffte er und sagte es aber nicht.
Nur drei Tage später tauchte Jonas bereits wieder auf.
Der Treffpunkt und der Zeitpunkt lösten zunächst allerdings Betroffenheit aus: der morgige Abend und eine Autobahntoilette irgendwo an der A3 in Richtung Niederlande um Mitternacht. Ulla hatte zwar in seinem bisherigen Leben schon so ziemlich alles ausprobiert, was sich unter schwuler Subkultur zusammenfassen ließ, aber bis auf gelegentliche Abenteuer im Düsseldorfer Hofgarten hatte er anonyme Treffen an irgendwelchen finsteren Plätzen eigentlich immer gemieden. Nicht weil er sie nicht spannend fand; er hatte ganz einfach Angst davor.
Dass dazu nicht der geringste Anlass bestehe, ließ Jonas ihn wissen. Selbstverständlich bringe er Ulla dorthin und werde auch selber auf dem Rastplatz anwesend sein. Sonst könne er die Sache schließlich nicht kontrollieren und vor allem selber nicht tun, was er vorhabe.
Dass Ulla letztlich zustimmte, hatte nur einen Grund: Irgendwann hatte er einfach nicht mehr gewagt, diesem Jonas zu widersprechen. Dieser Mann machte mit ihm, was er wollte und duldete dabei keinen Widerspruch, es war ihm schließlich selber so vorgekommen, als folge sein Leben plötzlich einer Dramaturgie, die sich um die Einwände eines normal denkenden Menschen keinen Deut mehr scherte.
Nur die Tatsache, dass Jonas ihn dann noch wissen ließ, sein Bekannter – stockhetero sei der übrigens - habe seinem sexuellen Wunsch als Gegenleistung für die Rückgabe eines Gegenstandes sofort zugestimmt, bekam er dann doch noch mit, und für einen Augenblick glaubte er, dass er sich überhaupt völlig zu Unrecht Gedanken machte. Wahrscheinlich war das eine völlig abgefahrene Wette, versuchte er sich einzureden, es werde sich alles auflösen als zwar ziemlich abgefahrener und derber, letztlich aber ganz harmloser Scherz, über den man am Schluss gemeinsam lachen würde.
Sein Bekannter, fügte Jonas dann noch hinzu, stehe darauf, seinen Schwanz in jeden Mund zu stecken, und sei es der eines Schweins, wenn das Vieh es ihm nur gut besorge.
Mit dieser Bemerkung wusste Ulla dann endgültig nichts mehr anzufangen. Auf keinen Fall bestärkte sie das kleine Bisschen Zuversicht, das er sich gerade erst eingeredet hatte.
Der Rastplatz Helderloh an der A3 in Fahrtrichtung Emmerich mit einem Toilettengebäude, bei dessen Anblick sowohl Männchen als auch Weibchen sich nach kurzer Inspektion in aller Regel lieber in die dichten Büsche verdrücken, als sich dort irgendeine Seuche zu holen, ist in der Tat ein wenn auch nicht gerade stark frequentierter Schwulentreff für anonymen Sex. Nur wenig später sollte dieser eigentlich unbedeutende Sachverhalt aufgrund weiterer Indizien ein erster wichtiger Hinweis sein für die Spurensicherung der Mordkommission des Kreises Wesel.
Der Rest sah aus wie etwas, das nach Einbruch der Dunkelheit nicht nur auf deutschen Autobahnrastplätzen nicht selten passiert und niemanden wirklich interessiert.
Die Befriedigung sexueller Bedürfnisse hat für die meisten Menschen alles Verbotene, Okkulte, erst recht Heilige, verloren. Ob das gut oder schlecht ist, darüber lässt sich womöglich immer noch streiten; aber dass sexuell befriedigte Menschen die ausgeglicheneren Exemplare ihrer Spezies sind als die unbefriedigten und im Geiste sublimierten, darüber dürfte inzwischen allerdings Einigkeit bestehen.
Der riesige Kerl, der kurz zuvor in einem Golf mit zugeklebten Autokennzeichen auf die hinter dem Toilettengebäude verlaufende Fahrspur geparkt hatte, machte von Beginn an nicht den Eindruck, als bereite es ihm irgendwelche Probleme, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen; lediglich an einem solchen Ort hatte man einen solchen Typen nicht unbedingt erwartet. Ein solcher Kerl, so hätte ein eventueller unbefangener Beobachter der folgenden Szenen vermuten müssen, hatte doch eigentlich alle Chancen