Aber die KILLER ANGELS waren in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Besser ausgerüstet, besser bewaffnet und besser organisiert als alle anderen, die sie Straße für Straße vor sich hertrieben.
Natürlich hatten wir unsere Informanten vor Ort.
Und so wussten wir zumindest in ganz groben Umrissen, was vor sich ging. Alle Erkenntnisse deuteten in eine ganz bestimmte Richtung...
Die KILLER ANGELS arbeiteten vermutlich für jemanden, der den Crack-Handel unter seine Kontrolle bringen wollte, indem er einen äußerst blutigen Feldzug gegen die Konkurrenz führte.
Jemand mit viel Geld.
Sehr viel Geld.
Um wen es sich dabei handelte, davon hatten wir keine Ahnung. Vermutlich auch der Großteil der Crackhandler und die niederen Chargen der KILLER ANGELS nicht. Vielleicht kannten sogar die Anführer nur irgendwelche Mittelsmänner.
Dieser Unbekannte im Hintergrund hielt sich auf diese Weise völlig aus der Schusslinie. Und die ANGELS machten nicht nur die Drecksarbeit für ihn, sondern trugen auch das volle Risiko.
Ich sah noch einmal hinunter zum Eingang des Lincoln-Tunnels, der für den bislang unbekannten BMW-Fahrer zur Todesfalle geworden war.
So tragisch dieses Ereignis war, im Grunde war es nichts weiter als eine Fußnote in einem grausamen Drogenkrieg, mit dem der Mann am Steuer des BMW mit Sicherheit nicht das Geringste zu tun gehabt hatte.
Milo trat neben mich.
"Was denkst du?", fragte er. "Irgendwas schwirrt dir doch im Kopf herum."
Ich lächelte matt.
"Bist du Telepath?"
"Nein, aber ich kenne dich eine Weile, Alter."
"Leicht untertrieben, was?"
"Vielleicht ein bisschen..."
Eine Pause entstand. In Gedanken ging ich nochmal alles durch. Milo hatte das ganz richtig erkannt. Da war in der Tat etwas, was mich beschäftigte.
"Dies ist nicht der erste derartige Anschlag der KILLER ANGELS", meinte ich vorsichtig. "Aber bislang haben sie nie zweimal hintereinander am selben Ort zugeschlagen..."
Milo hob die Augenbrauen.
"Und? Was folgerst du daraus, Jesse?"
Ich zuckte die Achseln.
"Nichts", sagte ich. "Es ist mir eben nur aufgefallen und ich frage mich, ob es dafür vielleicht irgend einen vernünftigen Grund geben könnte."
Milo machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Ein vernünftiger Grund?", zitierte er mich. Er schüttelte energisch den Kopf. "Entschuldige, Jesse, aber in diesem Zusammenhang klingt das etwas Merkwürdig..."
*
Pat Borinsky stand am Fenster des ziemlich heruntergekommenen Brownstone-Hauses und schob die Gardine zur Seite. Er überprüfte kurz den Sitz des riesigen Magnum-Revolvers, den er auf dem Rücken im Hosenbund trug.
Sein Bruder Cyrus flegelte sich derweil in einem der ziemlich durchgesessenen Ledersessel und versuchte gerade verzweifelt, eine Dose Budweiser zu öffnen, nachdem er so ungeschickt gewesen war, den Henkel abzubrechen. Cyrus fluchte unflätig, als er sich die Jeans besudelte. Er hielt die Dose über den niedrigen Glastisch, auf dem Spuren eines weißen Pulvers zu sehen waren.
Backpulver.
Zusammen mit Kokain konnte man es aufkochen und daraus wurde dann Crack. Ein gutes Geschäft, denn die Konsumenten hatten keine Möglichkeit, hernach zu kontrollieren, wie hoch der Anteil des Backpulvers war.
Und oft war bereits das Kokain gepanscht gewesen.
Crack war ein Teufelszeug. Viel billiger als Heroin und Kokain, aber genauso suchterzeugend. Die Droge der kleinen Leute, die sich reines Koks nicht leisten konnten.
"Was gibt's da zu sehen?", fragte Cyrus an seinen Bruder gewandt, nachdem er die halbe Budweiser-Büchse leergetrunken hatte.
Pat kniff die Augen zusammen.
"Unser Kunde", sagte er.
"Na fein. Das Geschäft war heute ja auch ziemlich mau!"
Pat beobachtete einen Ford, der am Straßenrand hielt. Ein Mann stieg aus. Mittlerer Jahrgang, Bauchansatz, kaum noch Haare auf dem Kopf. Er zog sich den Mantelkragen hoch und blickte sich nervös um.
"Was ist das für einer?", fragte Cyrus.
"War noch nie hier", erwiderte Pat. "Wenn du mich fragst: Kleiner Angestellter, der dem Stress nicht gewachsen ist. Wohnt in Queens! Seiner Telefonstimme nach ein Feigling."
Cyrus lachte schallend.
"Hartes Urteil", meinte er.
"Ich täusche mich selten."
"Bild dir nur nichts drauf ein."
Pat beobachtete jetzt, wie der Kunde auf die Haustür zukam.
Das kleine verwilderte Rasenstück, das eigentlich mal ein Vorgarten gewesen war, durchschritt er mit langen, ausholenden Schritten. Wieder sah er sich um. Die Nervosität war ihm ins Gesicht geschrieben. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und holte einen Umschlag heraus.
Dann bückte er sich und steckte den Umschlag in den Briefschlitz.
"Ich gehe mal an die Tür und zähle nach", sagte Cyrus.
Pat beobachtete derweil den Kunden.
Er ging zurück in Richtung Wagen. Nachdem er sich abermals umgedreht hatte, wandte er sich an eine der überquellenden Mülltonnen. Er öffnete sie und nahm eine Zeitung heraus. Ein Exemplar der New York Daily News. Er öffnete es, holte etwas heraus, das er sogleich in der Manteltasche verschwinden ließ und stieg dann in seinen Wagen ein.
Cyrus rief indessen aus dem Flur, der zur Tür hinführte: "Das Geld stimmt!"
"Okay..."
Im anderen Fall hätte Pat den Kunden mit einem gezielten Schuss in den Reifen stoppen können.
Aber so etwas kam eigentlich nie vor. Das Risiko, von den Kunden geprellt zu werden war gering, weil die wussten, was ihnen dann blühen konnte, sofern der Dealer sie in die Finger bekam.
Aber das Risiko, verurteilt zu werden, wurde auf diese Weise minimiert. Ab und zu wurden solche Crack-Häuser zwar von der DEA oder den entsprechenden Abteilungen der City Police gestürmt und die Dealer festgenommen. Aber wenn die Polizei nicht sehr sorgfältig war, kam nichts Gerichtsverwertbares dabei heraus. Schließlich konnte ja jeder das Rauschgift in die Mülltonne gelegt haben. Und zur Haustür war der Kunde vielleicht nur gegangen, um zu sehen, ob er an der richtigen Adresse war.
Man brauchte geschickte Anwälte, aber mit etwas Kleingeld war das kein Problem.
Cyrus kehrte in das Wohnzimmer zurück. Er legte den Umschlag auf den Tisch.
Pat atmete tief durch.
Es klang beinahe erleichtert.
"Was ist los?", fragte Cyrus.
"Ich hatte ein schlechtes Gefühl", sagte Pat.
"Wieso?"
"Bei Neukunden muss man immer aufpassen. Kann immer ein Cop sein..."
"Wir sind vorsichtig", sagte Cyrus. Und das bedeutete insbesondere, dass sich im ganzen Haus nicht ein einziges Gramm Crack oder Kokain befand.
Nicht jetzt.
"Vor den Cops habe ich keine besondere Angst", sagte Pat. "Die sind an die Gesetze gebunden... Ich mache mir mehr Sorgen um die, die sich ihr eigenes Gesetz machen..."
Ein