Vom höchsten Gut und vom größten Übel. Cicero. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cicero
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783748566243
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wenig und dabei so, dass er das, was er verbessern will, mir zu verschlechtern scheint. Demokrit lehrt, dass die sogenannten Atome, d.h. die wegen ihrer Dichtheit untheilbaren Körper in dem unendlichen Leeren, in dem es weder ein Oberstes noch ein Unterstes, weder eine Mitte noch einen Anfang oder Ende gebe, sich so bewegen, dass sie bei ihrem Zusammentreffen aneinander hängen blieben, und dass sich daraus alle vorhandenen und sichtbaren Dinge gebildet haben; auch soll diese Bewegung der Atome keinen Anfang gehabt haben, sondern müsse als eine ewige angesehen werden.

      § 18. Epikur schwankt nun zwar da nicht, wo er dem Demokrit folgt; indess muss ich, abgesehen von vielen Punkten, wo ich ihnen nicht beitreten kann, insbesondere tadeln, dass sie, indem es sich bei der Erforschung der Natur doch um Zweierlei handelt, einmal, was der Stoff sei, aus dem alle Dinge gebildet sind, und zweitens, welche Kraft dies bewirke, über den Stoff sich wohl ausgelassen, aber die Kraft und wirkende Ursache übergangen haben. Dieser Fehler trifft sie Beide; Epikur hat aber noch seine eigenen Gebrechen; er meint, dass jene untheilbaren und dichten Körper durch ihr eigenes Gewicht sich in gerader Linie nach unten bewegen, und dass dies die natürliche Bewegung aller Körper sei.

      § 19. Allein da, wenn Alles, wie er sagt, in gerader Richtung sich nach unten bewegt, man nicht einsieht, wie ein Atom jemals das andere berühren, könne, so stellt dieser scharfsinnige Mann als Verbesserung den Satz auf, dass die Atome ein wenig von der geraden Bewegung abweichen, und zwar so wenig wie möglich. Dadurch sollen die Vereinigungen, Verbindungen und Anhängungen der Atome untereinander entstanden sein, aus denen die Welt und alle Dinge in ihr hervorgegangen seien. Allein einmal ist dies Alles nur eine knabenhafte Erfindung, und dann leistet sie nicht einmal das, was sie soll. Denn jene Abweichung bleibt eine willkürliche Annahme, da sie ohne Ursache geschehen soll, obgleich einem Naturforscher doch nichts schlechter ansteht, als zu sagen, dass Etwas ohne Ursache geschehe; sodann nimmt er damit ohne Grund den Atomen jene von ihm selbst festgestellte natürliche Bewegung, vermöge deren alles Schwere nach unten fällt, ohne doch das, wozu ihm diese Erdichtung dienen soll, zu erreichen.

      § 20. Denn wenn alle Atome abweichen, so können sie niemals zusammentreffen; wenn aber nur ein Theil abweicht und die andern nach ihrer Schwere sich senkrecht bewegen, so weist er einmal den Atomen damit gleichsam Gebiete zu, wo sie sich entweder gerade oder schief bewegen sollen, und dann kann ein solches verworrenes Zusammentreffen der Atome die Schönheit dieser Welt nicht hervorbringen, ein Bedenken, was auch Demokrit mit trifft. Sodann darf kein Naturforscher lehren, dass es ein Kleinstes gebe; hätte Epikur lieber sich die Geometrie von seinem Freunde Polyänus lehren lassen, als sie ihn verlernen zu lassen, so würde er nie auf eine solche Meinung gekommen sein. Die Sonne hielt Demokrit für einen grossen Körper, denn er war ein gelehrter und in der Geometrie bewanderter Mann; dagegen soll sie nach Epikur nur ohngefähr einen Fuss gross sein, da er sie nur für so gross hielt, als sie erscheint, oder doch nur ein wenig grösser oder kleiner.

      § 21. So verdirbt Epikur das, was er verändert, und was er beibehält, gehört ganz dem Demokrit an. Die Atome, das Leere, die Bilder, welche sie eidola nennen, durch deren Eindringen man nicht blos sieht, sondern auch denkt, die Unendlichkeit selbst, die sie apeiria nennen, gehören ganz dem Demokrit an; ebenso die unzähligen Welten, welche täglich entstehen und vergehen. Obgleich ich dem keineswegs zustimmen mag, so kann ich es doch nicht billigen, wenn der von Allen gelobte Demokrit gerade von Epikur, der ihm lediglich gefolgt ist, getadelt wird.

      Kapitel VII.

      § 22. Was nun den zweiten Theil der Philosophie anlangt, den man die Logik nennt und welcher das Untersuchen und Erörtern behandelt, so scheint mir Euer Philosoph darin sehr schwach und dürftig. Er beseitigt die Definitionen, sagt nichts über Eintheilungen und Abschnitte und lehrt nicht, wie der Vernunftschluss gebildet wird und wirkt; er zeigt auch nicht, auf welchem Wege das Verfängliche gelöst und das Zweideutige beseitigt werden kann. Das Urtheil über die Dinge verlegt er in die Sinne, und ist durch diese einmal Falsches für Wahres geboten worden, so hält er jedes Kennzeichen der Wahrheit und Unwahrheit für aufgehoben.

      § 23. Vorzüglich aber begründet er den Satz, dass die Natur selbst, wie er sagt, auswähle und billige, nämlich die Lust und den Schmerz; hierauf bezieht er Alles, was man vermeiden und dem man nachstreben solle. Allerdings ist auch Aristipp dieser Ansicht, und die Cyrenaiker haben sie besser und ungezwungener vertheidigt; aber dennoch kann es nach meinem Urtheil keine des Menschen unwürdigere geben; vielmehr hat die Natur, wie mir scheint, zu Grösserem uns geschaffen und gebildet. Ich kann mich vielleicht irren; aber sicherlich hat doch jener Torquatus, der zuerst diesen Beinamen sich erwarb, die Halskette dem Feinde nicht deshalb entrissen, um damit sich irgendwie körperliche Lust zu verschaffen; noch hat er während seines dritten Consulats mit den Lateinern an der Veseris der Lust wegen gekämpft. Als er aber seinen Sohn mit dem Beile hinrichten liess, scheint er sogar sich vieler Freuden beraubt zu haben, indem er das Recht der Majestät und des Amtes höher als die Natur und die väterliche Liebe stellte.

      § 24. Und wie erklärt es sich denn, dass derjenige Torquatus, welcher mit Cn. Octavius Consul war, so streng gegen seinen Sohn verfuhr? Er hatte ihn aus der väterlichen Gewalt entlassen, damit D. Silanus ihn an Kindesstatt annehmen konnte, und forderte ihn zur Verantwortung vor sich, als die macedonischen Gesandten ihn anklagten, er habe sich als Prätor in der Provinz bestechen lassen. Nach Anhörung beider Theil fällte er seinen Spruch dahin, dass sein Sohn sich in seinem Amte nicht so wie seine Vorfahren benommen habe, und er verbot ihm, wieder vor seine Augen zu kommen. Meinst Du, dass er dabei nur an sein Vergnügen gedacht habe? Ich übergehe die Gefahren, Anstrengungen und Schmerzen, welche die besten Männer für das Vaterland und die Ihrigen übernehmen, obgleich ihnen keine Lust dabei sich bietet. Sie gehen vielmehr Allem der Art vorbei und wollen lieber alle Schmerzen ertragen, als irgend eine ihrer Pflichten versäumen; ich wende mich vielmehr zu geringern Dingen, welche dies nicht minder bestätigen.

      § 25. Welche Lust hast Du, mein Torquatus, und Du, unser Triarius, nicht von den Wissenschaften, von der Geschichte und der Kenntniss der Dinge und dem Auswendiglernen so vieler Verse? Sage mir nicht: »Dies Alles an sich macht mir Vergnügen, wie Jenes es den Torquatern gemacht hat.« Nirgends vertheidigt Epikur dies so, und auch Du nicht und Niemand, der Verstand hat oder seine Lehre kennt. Wenn man sich aber über die grosse Zahl der Epikureer wundert, so giebt es mancherlei Ursachen dafür; hauptsächlich wird die Menge davon angelockt, weil sie meint, das Gerechte und Sittliche gewähre nach dessen Ausspruche, als solches, durch sich Freude und damit Lust. Die guten Leute sehen nicht ein, dass sein ganzes Lehrgebäude umstürzen würde, wenn es sich so verhielte. Denn wenn Epikur zugestände, dass jene Dinge, auch wenn sie zur sinnlichen Lust nichts beitragen, doch um ihrer willen an sich selbst angenehm seien, so müsste auch die Tugend und das Wissen um ihrer selbst willen erstrebt werden, was er keinesweges will.

      § 26. Diese Lehren Epikur's billige ich also, wie gesagt, nicht; im Uebrigen hätte ich gewünscht, er wäre unterrichteter in den Wissenschaften gewesen; denn er ist, wie ja auch Du anerkennen musst, in jenen Wissenschaften und Künsten wenig bewandert, in deren Besitz man zu den Gelehrten gerechnet wird; wenigstens hätte er Andere nicht von der Beschäftigung mit den Wissenschaften abschrecken sollen, obwohl ich sehe, dass Du Dich keinesweges davon hast abschrecken lassen.

      Kapitel VIII.

      Ich hatte dies mehr gesagt, um den Torquatus zu reizen, als um selbst das Wort zu führen. Da sprach Triarius lächelnd: Du hast ja den Epikur beinahe ganz aus dem Philosophen-Chor vertrieben; nichts hast Du ihm belassen, als dass Du, wie er auch sprechen mag, verstehst, was er sagt. In der Physik soll er nur die Lehre Anderer vorgetragen haben und selbst diese nicht so, dass Du es billigen kannst; wenn er etwas darin verbessern gewollt, so soll er es verschlechtert haben; die Kunst der Erörterung soll ihm gefehlt haben, und wenn er die Lust für das höchste Gut erklärt, so soll er erstens dies selbst nicht recht eingesehen haben und zweitens es ebenfalls Andern entlehnt haben. Denn schon vor ihm habe Aristipp dasselbe und besser gelehrt; zuletzt hast Du ihn sogar für keinen Gelehrten erklärt.

      § 27. Darauf erwiderte ich: Es ist unmöglich, Triarius, dass man seine Missbilligung nicht da aussprechen soll, wo man anderer Ansicht ist. Was könnte mich hindern, ein Epikureer zu werden, wenn ich seine Lehre