Er hatte mein Gesicht durchforscht, als wollte er sich eine Stelle aussuchen, wo er mir seine Faust hinsetzen könnte. »Ich erlaube keinem Mann...« murmelte er drohend. Es war wirklich ein häßlicher Irrtum, er hatte sich völlig preisgegeben. Ich kann euch gar nicht sagen, wie entsetzt ich war. Mein Gesicht muß wohl meine Empfindungen widergespiegelt haben, denn sein Ausdruck veränderte sich ein wenig. »Gott im Himmel«, stammelte ich, »Sie glauben doch nicht, daß ich...« »Aber ich weiß doch bestimmt, daß ich es hörte«, beharrte er und erhob, zum erstenmal seit dem Beginn dieser bedauerlichen Szene, die Stimme. Dann fügte er mit einer gewissen Geringschätzung hinzu: »Sie waren es also nicht? Nun gut, ich werde den andern finden!« – »Seien Sie kein Narr«, rief ich außer mir; »es war ja überhaupt ganz anders.« – »Ich hörte es«, sagte er noch einmal, mit unerschütterter, finsterer Beharrlichkeit.
Es mag sein, daß manche über seine Hartnäckigkeit gelacht hätten. Ich tat es nicht. Oh, ich nicht! Nie hatte sich ein Mann in einer jähen und natürlichen Aufwallung so hoffnungslos verraten. Ein einziges Wort hatte ihn seiner Besonnenheit beraubt – dieser Besonnenheit, die unserm innern Wesen notwendiger ist als die Kleidung unserem Körper. »Seien Sie kein Narr«, wiederholte ich. – »Aber der andere hat es gesagt, das können Sie nicht leugnen«, entgegnete er scharf und sah mir ins Gesicht, ohne mit der Wimper zu zucken. – »Nein, ich leugne es nicht«, sagte ich und erwiderte seinen Blick. Schließlich folgten seine Augen der Richtung meines nach unten deutenden Fingers. Er schien zuerst verständnislos, dann verwirrt und am Ende erstaunt und erschrocken, als ob ein Hund ein Ungeheuer wäre und er nie zuvor einen Hund gesehen hätte. »Niemand dachte im Traum daran, Sie zu beschimpfen«, sagte ich.
Er betrachtete das elende Tier, das reglos wie ein Bild dasaß: mit aufgestellten Ohren, die spitze Schnauze gegen die Tür gerichtet, schnappte es plötzlich, wie ein mechanisches Spielzeug, nach einer Fliege.
Ich sah ihn an. Das Rot seiner hellen, sonnverbrannten Haut wurde unter dem Backenflaum plötzlich tiefer, überzog seine Stirn und breitete sich bis zu den Wurzeln seines krausen Haares aus. Seine Ohren glühten, und selbst das klare Blau seiner Augen verdunkelte sich zusehends unter dem Andrang seines Blutes zum Kopf. Seine Lippen verzogen sich und zitterten, als wäre er im Begriff, in Tränen auszubrechen. Ich sah, daß er vor dem Übermaß seiner Beschämung nicht imstande war, ein Wort herauszubringen. Vielleicht auch vor Enttäuschung – wer kann es wissen? Vielleicht hatte er gehofft, sich durch den Denkzettel, den er mir zu geben gedacht hatte, rehabilitieren zu können, sich zu befreien? Wer kann sagen, welche Erleichterung er von der Möglichkeit solcher Züchtigung erwartet hatte? Er war naiv genug, alles zu erwarten; doch hatte er sich in diesem Fall für nichts und wieder nichts bloßgestellt. Er hatte sich – vor sich selbst – und noch dazu vor mir – gehen lassen, in der wilden Hoffnung, auf diese Weise zu einer wirksamen Widerlegung zu gelangen, und die Sterne waren ihm nicht günstig gewesen. Er gab einen unartikulierten Laut von sich, wie ein Mann, der von einem Schlag auf den Kopf betäubt worden ist. Es war zum Erbarmen.
Ich fing erst wieder mit ihm zu reden an, als wir ein gutes Stück vom Gartenzaun entfernt waren. Ich mußte sogar ein wenig laufen, um ihm nachzukommen; doch als ich, außer Atem, die Ansicht aussprach, daß er weglaufe, rief er: »Niemals!« und stellte sich sofort. Ich erklärte, daß ich gemeint hatte, er wolle vor mir ausreißen. – »Vor niemand – vor keinem einzigen Mann auf Erden«, sagte er mit trotziger Miene. Ich vermied es, auf die eine klar ersichtliche Ausnahme hinzuweisen, die auch der Tapferste unter uns gelten lassen würde; ich dachte, er würde selbst bald genug dahinterkommen. Er sah mich geduldig an, während ich mir überlegte, was ich sagen könnte; doch konnte ich in der Eile nichts finden, und er schickte sich an, weiterzugehen. Ich hielt Schritt mit ihm, und um ihn nicht zu verlieren, sagte ich hastig, daß ich es nicht ertragen könnte, ihm einen falschen Eindruck zu hinterlassen von meiner – meiner... Ich stammelte. Die Abgeschmacktheit des Satzes bestürzte mich, während ich versuchte, ihn zu Ende zu bringen; doch die Kraft des gesprochenen Worts hat nichts mit dem Sinn oder der Logik des Satzbaus zu tun. Mein idiotisches Gestammel schien ihm zu gefallen. Er unterbrach mich, indem er mit höflicher Ruhe, die von ungewöhnlicher Selbstbeherrschung oder seltener geistiger Spannkraft zeugte, einwarf: »Der Irrtum war ganz und gar auf meiner Seite.« Ich war höchlich verwundert über diese Redewendung: sie hätte sich auf irgendein unbedeutendes Vorkommnis beziehen können. Begriff er nicht ihre klägliche Bedeutung? »Verzeihen Sie mir nur«, fuhr er fort und fügte noch ein wenig mißmutig hinzu: »All die Leute, die mich da drin anstarrten, waren so albern, daß es wohl hätte so sein können, wie ich annahm.«
Dies ließ ihn mir plötzlich in einem neuen Lichte erscheinen. Ich sah ihn mit neugierigen Blicken an und begegnete seinen voll aufgeschlagenen, undurchdringlichen Augen. »Ich kann etwas Derartiges nicht einstecken, und ich will es auch nicht«, sagte er schlicht. »Vor Gericht ist es anders; da muß ich stillhalten – und da geht es auch.«
Ich behaupte nicht, daß ich ihn verstand. Die Einblicke, die er mir in sein Wesen gewährte, waren wie die flüchtigen Blicke durch die Risse in einem dicken Nebel, die Bruchstücke und Einzelheiten einer Gegend enthüllen, ohne ein zusammenhängendes Bild von ihrem allgemeinen Charakter zu geben. Sie erregen Neugierde, ohne sie zu befriedigen; sie haben keinen Wert für die Orientierung. Alles in allem genommen, führte er einen in die Irre. Das war der endgültige Eindruck, den ich von ihm behielt, als er mich spätabends verlassen hatte. Ich wohnte seit ein paar Tagen im Malabar-Haus, und auf meine dringende Einladung hatte er dort mit mir gespeist.
Siebentes Kapitel
Ein nach auswärts bestimmtes Postboot war am Nachmittag hereingekommen, und der große Speisesaal des Hotels war mehr als halb voll mit Leuten, die eine Hundertpfund-Fahrkarte für eine Reise um die Welt in der Tasche hatten. Da waren verheiratete Paare, die die häusliche Langeweile mit auf die Reise genommen hatten; kleine und große Gesellschaften und Einzelgänger, die feierlich tafelten oder lärmende Gelage hielten; doch