Mit Dorothee Bär hat Deutschland erstmals eine Staatsministerin für Digitalisierung. Ihre Aufgabenliste ist dabei lang und reicht vom Ausbau der digitalen Infrastruktur über selbstfahrende Fahrzeuge bis hin zu Flugtaxis. Dafür hat die Staatsministerin verschiedene Kommissionen gebildet, die sich mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinandersetzen. So beschäftigt sich die Datenethik-Kommission bei selbstfahrenden Fahrzeugen zum Beispiel mit Fragen zu Sachschäden, die selbstverständlich Personenschäden vorzuziehen sind. Was simpel klingt, ist bei selbstfahrenden Fahrzeugen in Unfallsituationen eine Herausforderung: Was tun, wenn das Fahrzeug sich zwischen links (einer Gruppe von älteren Menschen) und rechts (einer Gruppe von jungen Menschen) entscheiden muss? Wer hat mehr Recht, verschont zu bleiben? Oder was ist mit der Person in dem selbstfahrenden Auto? Ist es besser, das Auto fährt gegen die Wand, da so nur eine Person zu Schaden kommt? Als sehr großes Anliegen der Bevölkerung hat sich auch der Bildungsbereich herauskristallisiert. Eine Herausforderung für den Bund, da die jeweiligen Länder zuständig sind. Und egal, was Bär zur Bildung sagt, bei dem Thema erhält sie die stärksten Reaktionen aus der Bevölkerung. „Es gibt Schulen, die in der digitalen Entwicklung sehr weit sind. Die in ihrem Lehrplan die Basics der Programmierung aufgenommen haben. Es gibt aber auch die totalen Gegner, die mir schreiben: WLAN ist das neue Asbest an den Schulen. Und man soll das mal lassen und die Kinder damit nicht behelligen.“
„In den ersten Tagen lagen plötzlich 2.000 Bürgerschreiben zur Herausforderung der Digitalisierung auf meinem Tisch“
Unterschätzt hat Bär in ihrer neuen Position den Dialog mit der Bevölkerung. „In den ersten Tagen lagen plötzlich 2.000 Bürgerschreiben zur Herausforderung der Digitalisierung auf meinem Tisch. Ein deutliches Signal, dass bisher ein Ansprechpartner gefehlt hat.“ Sicher ist Bär, dass sich Amt und Aufgaben innerhalb der Legislaturperiode verändern werden. Und dankbar für eine gewisse Beinfreiheit, die ihr dabei eingeräumt wird. „Es wäre schlecht, wenn wir jetzt schon festlegen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird.“ Und dann ist da noch das Stadt-Land-Gefälle und die Frage, wie hier eine Gleichwertigkeit der Verhältnisse geschaffen werden kann. „Ich bin der festen Überzeugung, dass durch die Digitalisierung das Landleben kurz- und mittelfristig das Stadtleben schlagen wird. Noch zieht es viele in die Stadt, da hier die Arbeit ist und die Wege kürzer sind. Verkürzen sich jedoch Wege und ist die Arbeit im Homeoffice oder in der Nähe möglich, dann muss ich nicht mehr vom Land in die Stadt ziehen.“ Und weil die Digitalisierung häufig an den Menschen scheitert, ist es sinnvoll, weniger abstrakt darüber zu sprechen, sondern stärker die individuellen Vorteile zu betonen. „Nehmen wir das Beispiel der selbstfahrenden Autos und die Kritik, dass man sich nicht das Fahrvergnügen nehmen lassen möchte. Doch Fahrvergnügen heißt doch, bei bestem Wetter freie Fahrt auf der Überholspur. Die Realität sieht doch aber anders aus: kilometerlange Staus, zermürbende Parkplatzsuche, schlechte Witterungsverhältnisse und lärmende Kinder auf der Rückbank.“
Die Digitalisierung schafft allerdings nicht nur neue Märkte und Jobs, sie vernichtet auch Arbeitsplätze. Das schürt die Angst vieler Arbeitnehmer, persönlich betroffen zu sein. „Die Arbeit insgesamt hat sich doch verändert. Als ich vor 16 Jahren im Bundestag angefangen habe, habe ich auch anders gearbeitet und kommuniziert. Ich erhielt als Reaktion auf meine Reden zeitversetzt Faxe und Briefe. Heute hingegen erhalte ich durch Twitter & Co. schon während ich spreche eine Reaktion – was mir aber auch die Möglichkeit der sofortigen Antwort gibt.“ Eine zunehmende Digitalisierung geht also mit einer deutlichen Umgestaltung unserer Arbeitswelt einher. In diesem Prozess werden Bildung und Weiterbildung eine zentrale Rolle spielen. „Auch wenn wir heute noch nicht vorhersagen können, was unsere Kinder einmal für Berufe erlernen werden. Wir können bereits heute die Weichen dafür stellen. Dafür ist wichtig, dass die Kultusministerkonferenz wesentlich enger zusammenarbeitet und bundesweite Standards formuliert. Auch habe ich den Anspruch, Kindern bereits in der Grundschule die Grundzüge des Programmierens beizubringen.“
„Den ganzen Tag führe ich Abwehrkämpfe, weil ich von Leuten umgeben bin, die mir nur sagen, was alles nicht geht“
Unternehmen will Bär dabei helfen, „Champions League“ zu spielen. „Im Bereich der Sensorik zum Beispiel sind wir Spitzenreiter. Über die Hälfte aller Autos verfügt über deutsche Sensorik. Allerdings gibt es auch Bereiche, wo wir noch in den Kinderschuhen stecken. Daher müssen wir den Change in die Köpfe der Menschen bekommen.“ Leider sind die Deutschen totale Kulturpessimisten und Schwarzmaler, und betonen immer nur, was alles nicht geht. „Den ganzen Tag führe ich Abwehrkämpfe, weil ich von Leuten umgeben bin, die mir nur sagen, was alles nicht geht. Dabei haben wir weder ein technisches noch ein Erkenntnisproblem, sondern tatsächlich ein Umsetzungsproblem.“
Um den Change in Gang zu bekommen, sollte jede Verwaltungsdienstleistung, die digitalisiert werden kann, auch tatsächlich digitalisiert werden. „Um das Thema digitaler Staat, digitale Behördengänge realisieren zu können, müssen wir Plattformen schaffen. Dazu gehören auch Automatismen, die Eltern zum Beispiel nach der Geburt ihres Kindes automatisch Kindergeld zuschicken. Mir persönlich geht es übrigens nicht anders. Ich bekomme seit 16 Jahren vom Auswärtigen Amt meine Pässe. Die haben also meine Daten. Als ich jetzt wieder einen beantragt habe, sollte ich erneut meine Daten schicken. Dass Vorgänge, die nicht aufgrund eines technischen, sondern aufgrund eines Umsetzungsproblems vorliegen, Bürger nerven, verstehe ich nur zu gut.“ Geplant ist daher, den Austausch mit Verwaltungen zu erleichtern und bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Dabei will die Bundesregierung teilweise vollständig auf Anträge verzichten. Damit Eltern nach der Geburt ihres Kindes beispielsweise ohne weitere Antragstellung die Geburtsurkunde übersandt und Kindergeld ausgezahlt werden kann. Ein Problem in Deutschland ist jedoch, dass diese Leistungen über die Länder geregelt werden. Daher gehen erst einmal in einigen wenigen Bundesländern die ersten Dienstleistungen online. Ein guter und wichtiger Schritt, denn die Wirtschaft bzw. Start-ups machen es nicht anders. Werden Produkte getestet, werden sie zunächst an eine kleine Gruppe von Kunden geschickt.
Für klare Vorgaben im Umgang mit personenbezogenen Daten durch Staat und Unternehmen soll die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sorgen. Für die meisten Unternehmen in Deutschland ist die DSGVO einfach nur ein Ärgernis. Sie befürchten, ihre digitalen Aktivitäten einschränken und so mit einer negativen Umsatzentwicklung rechnen zu müssen. Denn die Verordnung stellt europäische Organisationen gegenüber Unternehmen anderer Nationen schlechter dar. Während Neugründungen in anderen Ländern gleich Fahrt aufnehmen können, hinken europäische Start-ups aufgrund der harten Regeln hinterher. „So ein europäischer Kompromiss ist natürlich ein Kompromiss. Die DSGVO muss jetzt aber erst einmal in Kraft treten. Grundsätzlich ist es gut, dass wir in Europa versuchen, ein gemeinsames Regelwerk umzusetzen. Denn handelt Europa gemeinsam, können sich Big Player anderer Nationen nicht mehr das europäische Land mit dem schwächsten Datenschutz aussuchen. Ferner ist die DSGVO nicht in Stein gemeißelt. Wenn nachgebessert werden muss, wird das erfolgen.“
„Ich selbst bekomme in meinem Berufsleben zu spüren, dass es nicht immer positiv ist, eine Frau zu sein“
Die Diskussion um eine bessere Förderung von Frauen im Arbeitsleben beschäftigt Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Deutschland seit Jahren. Dennoch bleibt trotz Quoten, Zielvereinbarungen, guten Absichten und vielen Einzelmaßnahmen der große Durchbruch bislang aus. Steigt die Zahl der Frauen in Vorstandsgremien weiter so langsam wie bisher, wird es bis zum Jahr 2040 dauern, bis ein Drittel der Vorstandsposten mit Frauen besetzt ist. „Das ist ein vielschichtiges Thema. Ich selbst bekomme in meinem Berufsleben zu spüren, dass es nicht immer positiv ist, eine Frau zu sein. So werden mir in Interviews häufig Fragen gestellt, die ein männlicher Kollege sicher nie zu hören bekommt. Am Tag der Verkündung, dass ich Staatsministerin für Digitalisierung werde, stellte mir ein Journalist zum Beispiel die Frage, wie es als Frau ist, so ein wichtiges Thema zu verantworten. Und bin ich mit einem männlichen Referenten unterwegs, habe ich das Gefühl, ernster genommen zu werden, als wenn ich mit einer Referentin erscheine. Ich war früher nie eine große Freundin der Quote, weil ich immer der festen Meinung war, dass es ganz viel auch mit Leistung zu tun hat. Nun zeigt sich aber, dass Veränderungen