Catharsis - Schatten und Wahn. Jonas Eideloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jonas Eideloth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745047400
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Beamte tippten fleißig Texte in ihre Rechner oder lasen Dokumente, der ein oder andere nippte dabei an einer Tasse.

      Valen liebte den warmen Geruch von Staub, Papier, Kaffee und Tee, der stets in der Arbeitsstube schwebte.

      Vor einer mit Milchglas versehenen Tür, auf welcher in nahezu antiken Lettern ´Büro´ stand, empfing ihn eine überdurchschnittlich hoch gewachsene Person. Ein zu kurz geschnittener Anzug hing schlaff an dem hageren Leib.

      „Was gibt es denn?“, fragte Valen.

      „Es geht um Ihr zuletzt geschicktes Formular“, sagte der Hagere mit krächzender Stimme. „Wir müssten uns da kurz mit Ihnen unterhalten. Folgen Sie mir bitte.“

      Der hoch Gewachsene, der eine wirklich ungesund blass wirkende Hautfarbe aufwies, öffnete die Türe und führte Valen in einen kurzen Gang. Mehrere Türen, an deren Seiten goldene Namensschilder prangten, reihten sich aneinander.

      Valen war nicht oft hier, im Allerheiligsten seiner Vorgesetzten und blickte leicht neidisch auf die kleinen privaten Büroräume. So eines hätte er auch gerne.

      Fast am Ende des Ganges angelangt, blieben sie vor einer Türe stehen, neben der ´Graf Contier´ stand. ´Leiter für Außeneinsätze´ stand in kleineren Lettern unter dem Namen.

      „Bitte“, sagte der hoch Gewachsene und öffnete einladend die Türe.

      „Dankeschön“, murmelte der Beamte und trat ein.

      Ein kleines Büro empfing ihn. Aktenschränke rechts und links, vor dem Fenster ein großer Schreibtisch mit zwei Besucherstühlen davor.

      Valens Blick wurde derweil unweigerlich von einem in einer Ecke unpassend platziertem Ölgemälde mit schwerem Goldrahmen angezogen, das einen siegreichen Heerführer in heroischer Pose zeigte.

      Auf dem gewaltigen Sessel hinter dem Schreibtisch thronte Graf Contier.

      „Setzen Sie sich, Herr Gahl“, sagte dieser mit tiefer, ruhiger Stimme. Sein Gesicht war schmal und kantig. Tief liegende blaue Augen unter dichten Augenbrauen fixierten Valen.

      Der Beamte ließ sich nieder und betrachtete die filigranen Schnitzereien am Schreibtisch.

      „Es geht um die letzte Beobachtung des Jägers Dracon. Das Formular, das Sie vor Kurzem abgeschickt haben.“

      „Ja, Herr Contier?“, fragte Valen beunruhigt. Hatte er etwa einen gravierenden Fehler beim Ausfüllen begangen?

      „In aller Kürze“, redete sein Vorgesetzter geschäftig weiter, „in der oberen Etage wollen einige Leute mehr über diese ´Schattensichtung´ wissen.“ Der Tonfall Contiers machte deutlich, dass er nicht viel davon hielt. „Nachdem dieser Jäger nicht gerade für seine Kommunikativität bekannt ist, werden Sie beauftragt, sich in der oberen Stadt mit ihm zu treffen und diesen Fragebogen durchzuarbeiten.“ Graf Contier schob ihm eine Mappe über den Schreibtisch zu.

      „Achten Sie bitte darauf, dass er alles ordentlich ausfüllt.“

      Zunehmend schlecht gelaunt nahm Valen die Mappe entgegen, sie war dick und schwer.

      „Bis wann brauchen Sie die Antworten?“, fragte er.

      „Montag, Herr Gahl. Sie sollten sich jetzt gleich auf den Weg machen und das restliche Wochenende in der Oberen Stadt verbringen. Sie haben dort doch auch eine kleine Wohnung?“, sagte Graf Contier, bemüht um einen freundlichen Tonfall und brach dabei einen eingehenden Anruf ab, der sein Wählscheibentelefon zu einem durchdringenden Schrillen brachte.

      Valen unterdrückte seine aufsteigende Enttäuschung. Es war Samstag und am Abend wäre eine Theaterprobe angestanden, die er jetzt absagen musste. Doch sein Job als Beamter ging für ihn vor.

      „Ich benötige noch die Adresse von dem Herren Dracon“, meinte Valen deprimiert.

      „Er meinte zu uns, dass Sie ihn heute Abend in einer Bar Namens ´Anders´ finden können. Im Schattenviertel.“

      Valen konnte den Auftrag jetzt schon nicht leiden. Er hasste Außeneinsätze, vor allem wenn er dadurch in Gegenden wie das Schattenviertel kam. Das Viertel war nicht gerade bekannt dafür, ein gastfreundlicher Ort zu sein. Trotz oder gerade weil es ausschließlich von Parahumanoiden bevölkert wurde. Besonders von Jenen, die in der Unteren Stadt nicht gerne gesehen wurden.

      „Dann werde ich mich wohl gleich auf den Weg machen, Herr Contier. Auf Wiedersehen“, verabschiedete er sich.

      „Auf Wiedersehen, Herr Gahl. Wir erwarten Ihren Bericht am Montag“, sagte der Graf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

      Valen nahm die Mappe und verließ das Büro.

      Zurück an seinem Schreibtisch, schaltete er den Rechner aus und warf einen letzten Blick auf die wartende Arbeit. Er würde sich in der nächsten Woche darum kümmern.

      Valen nahm seine lederne Aktentasche, schob den Bürostuhl ordentlich zurecht und verließ die Arbeitsstube in Richtung Treppenhaus. Unterwegs grüßte er noch zwei Kollegen, während in seinem Inneren die Enttäuschung über das verlorene Wochenende wütete.

      In der großen, mit Marmor ausgekleideten Eingangshalle des Ministeriums, traf er auf Mytha, eine Harpyie mit wunderbar weißen Flügeln. Ihre Fußkrallen klapperten leise über den kalten Stein, als sie, in ein ordentliches Businessdress gekleidet, hinter dem Empfangsschalter hervorkam.

      „Hallo Valen“, sagte sie mit ihrer hohen Stimme, von der er immer wieder leicht an den Ruf eines Greifvogels erinnert wurde. „Kannst du zur Probe heute Abend die Hutrequisiten mitbringen?“

      „Leider nicht“, antwortete er und musste sich eingestehen, dass die Nähe der Frau seinen Herzschlag mal wieder beschleunigte. „Ich werde wegen einer Befragung in die Obere Stadt geschickt. Tut mir leid.“

      „Wie schade“, meinte Mytha enttäuscht. „Dann sehen wir uns wohl erst wieder nächste Woche bei der Probe.“

      Valen nickte. „Grüß die Anderen von mir“, verabschiedete er sich.

      „Gerne“, rief sie ihm nach und verschwand hinter dem Empfangsschalter.

      Valen versuchte schnell aus ihrer Nähe zu entkommen. Er mochte sie wirklich.

      Harpyien faszinierten ihn schon lange und Mytha sah einfach unglaublich gut aus. Der Moment, wenn sie ihre Flügel ausbreitete, jagte ihm jedes Mal Schauer der Ehrfurcht über den Rücken.

      Er hatte sie schon dutzende Male in ein entzückendes kleines Café gegenüber des Ministeriums einladen wollen, doch getraut hatte er sich nie.

      Irgendwann würde er sie fragen, aber jetzt war es Zeit, zuerst diesen unleidigen Auftrag hinter sich zu bringen.

      Er schob eine der meterhohen Türen auf, deren kühle Bronzegriffe ihn jeden Tag willkommen hießen und wieder verabschiedeten und trat vor das riesige Regierungsgebäude.

      Große Säulen trugen den vorspringenden Giebel und eine breite Treppe führte auf den gepflasterten Hauptplatz der Unteren Stadt `Arthrago` hinab, die in einer gewaltigen Höhle, versteckt unter einer Menschenmetropole lag.

      In der Mitte des Platzes lag der Siegesbrunnen, ein organisches Steingebilde, aus dem sich an verschiedenen Stellen die unterschiedlichsten ´mythischen Kreaturen´ schälten. Der Brunnen sollte an den letzten großen Krieg, genauer gesagt, an die Schlacht der dreizehn Heerscharen erinnern. Ein Krieg, welcher über drei Jahrzehnte mal offen, mal versteckt vor der Menschheit geführt worden war und schließlich den Frieden hervorgebracht hatte, der jetzt zwischen den Völkern herrschte.

      Die immer brennenden Laternen tauchten den ganzen Platz in warmes Licht und verwandelten die Untere Stadt in einen leuchtenden Stern umgeben von der ewigen Dunkelheit der schützenden Kaverne.

      Die Höhle war so groß, dass sie nicht nur die dreißigtausend Einwohner starke Stadt beherbergen, sondern ihre Bevölkerung auch ernähren konnte.

      Hunderte