Es war kein fremder toter Kosmonaut gewesen, der ihm erschienen war, um ihm den Ausweg aus seinem Gefängnis zu zeigen. Manchmal treffen wir uns zu dritt, in der Raumkapsel, am 12. April des Jahres 1961, über dem Atlantischen Ozean. Ich sitze hinter den beiden und höre zu. Wegen der Aussicht und der Erinnerungen.
2. Cal
»Die Suche nach intelligentem Leben habe ich mir anders vorgestellt!«, schrie sie und versuchte, auf seinen Kopf zu klopfen.
Er stieß ihre Hand weg und warnte: »Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen, das gefährdet die Mission.«
Keiner wusste, wer angefangen hatte. Priyanka sagte: »Ich bin gespannt, wie du Genie es anstellen willst, mit einer fremden Lebensform zu kommunizieren. Du verstehst nicht einmal deine eigene Frau.«
Aman nickte grimmig. »Und du, Liebste, würdest einen Außerirdischen nicht mal erkennen, wenn er vor dir steht. Weil du nur mit dir selbst beschäftigt bist.«
Ihr Lachen bekam einen gefährlichen Klang. »Mit wem auch sonst.«
Er stieß das Frühstück beiseite. Die Wucht seiner Bewegung ließ sie erstarren. Seit ich die beiden, fünfzig Stunden vor der Ankunft geweckt hatte, küssten oder stritten sie sich abwechselnd. Anfangs gefiel mir das. Ihre Stimmen füllten wieder die Räume der RABINDRANAT TAGORE. Das tat gut, nach so langer Zeit. Sie zankten und versöhnten sich. Es ging um »den nötigen Respekt«, um »deine miese Laune« oder »die Kälte in deinen Augen«. Ich regelte die Heizung nach. Dann stritten sie nur noch, umkreisten einander, wie im Tanz. An allem hatte Priyanka etwas auszusetzen. Amans Ego ging die Wände rauf und runter. In den Jahren der Vorbereitung im Raumfahrtzentrum bei Denahavalli hatte ich ihn niemals so aufgebracht gesehen. War es die Aufregung, eine Deformation ihrer Gehirnzellen, die Last der bevorstehenden Verantwortung? Der lange Schlaf in den Tanks musste etwas in ihren Köpfen angestellt haben.
»Wenn sie auf der Erde wüssten, was du hier für eine Show abziehst, würden sie die Mission abbrechen«, schimpfte Aman und verließ den Küchenbereich in Richtung Lift. Seit der Einleitung des Bremsmanövers hatte man vom Bug der TAGORE den besten Blick auf den Doppelstern, unser Ziel.
»Hätten sie eine Ahnung, wie du dich aufführst, würden sie dich gleich wieder einschläfern«, rief Priyanka ihm hinterher. Hinter uns lagen einhundertundsechzig Jahre interstellarer Flug - der erste in der Geschichte der bemannten Raumfahrt. Die eine Hälfte brauchten wir für unsere Beschleunigung. Die andere, um so sanft es nur ging abzubremsen. Damit die Vyomanauten im Nachbarsystem als würdige Vertreter der Menschheit ankamen - nicht als Brei. Auf uns Dreien lastete mehr als die erhöhte Schwerkraft. Der Giant Leap - wie wir ihn nannten, der Große Schritt - stand unmittelbar bevor.
»Priyanka, Aman, reißt euch zusammen. Die Russen haben die Tür zum Weltall aufgetan, die Amerikaner den Mond erobert und die Taikonauten den Mars. Jetzt sind wir an der Reihe. Hört auf, euch zu streiten!«
»An mir soll es nicht liegen«, keuchte Aman und seine Frau rief ihm nach: »Klar schiebst du wieder alles auf mich, und der dumme Cal glaubt dir auch noch.«
An Abbruch oder Umkehr war nicht zu denken. Ein Hilferuf würde die Erde in Jahrzehnten erreichen. Das Ziel der Reise aber, der erste Kontakt, sollte in wenigen Stunden stattfinden.
Die ISRO hatte als letzte aktive Raumfahrtagentur Aberbilliarden von Rupis für den Großen Schritt aufgewendet und die Besten der Besten ausgewählt - die Gesündesten und Stabilsten, die Erfahrensten und Vernünftigsten. Die ihren Geliebten glücklich macht und der Friedvolle. Priyanka und Aman. Es gab mehr als genug zu tun, zu messen, zu testen und auszuwerten. Zu planen und zu entscheiden. Ein Job für Giganten.
Weil sie mit sich beschäftigt waren, begann ich selbständig mit der Sichtung des Materials. Unaufhaltsam stürzten wir unserem Ziel entgegen - einem kohlenstoffreichen Gesteinsplaneten. Das anfangs so schwache Signal – erst war es nur ein vages Rauschen, wie von einem prähistorischen Faxgerät – auf das wir seit Jahrhunderten lauschten, war klar und stark. Schon jetzt entfaltete sich eine Datenflut, die auf mehr als primitives Leben hoffen ließ. Wir waren im Begriff, einer anderen Zivilisation entgegenzutreten. Über die Interkoms hörte ich die beiden atmen.
»Willst du nicht einlenken und dich bei deiner Frau entschuldigen?«, flüsterte ich Aman zu, sobald er allein in der Kuppel war.
»Entschuldigen! Wofür? Fängst du auch noch so an? Sie ist es, die sich wie ein Teenager benimmt. Ausgerechnet jetzt.«
»Aber ...«
»Halte dich da raus, Cal! Das ist Menschensache.«
Er warf sich in den Kommandosessel, und ich hörte ihn heimlich schniefen. Eigentlich fand ich es originell, dass Aman mich Cal getauft hatte, die amerikanische Abkürzung für Rechenmaschine. Es erinnerte mich an einen Film aus dem zwanzigsten Jahrhundert.
Aber etwas an seiner Stimme gefiel mir nicht. »Mag sein«, lenkte ich ein, um eine Eskalation zu vermeiden, »du bist der Mensch.«
Es war Priyankas Platz, auf dem er saß. Aus Furcht, sie könnte es mitbekommen, begann ich sie zu suchen. Ich entdeckte sie in ihrer Doppelkoje, wimmernd, den Kopf in Amans Jacke gewühlt.
»Hör mal, Priyanka ...«
»Halt die Klappe!« Ich imitierte ein respektvolles Räuspern. »Im Interesse unseres Auftrages ...« Sie richtete sich auf und murmelte: »Ich weiß, Cal. Der Idiot wird es vermasseln.«
So durfte es nicht weitergehen. »Dein Mann hat es nicht so gemeint«, raunte ich. »Beruhige dich und gehe auf ihn zu.«
Ihr Weinglas zerschellte am Monitor. »Misch dich da nicht ein, Cal«, fauchte sie, »oder ich schwöre, ich ziehe dir den Stecker raus!«
Natürlich war das nicht so gemeint - dachte ich da noch - und schlichtweg nicht machbar - glaubte ich. Ich setzte einen Putzandroiden in Bewegung und wandte mich unseren Aufgaben zu.
Das Signal bestand, meinen aktuellen Messungen nach, nicht mehr aus einer einzelnen Quelle, sondern aus tausenden. Der fragliche Himmelskörper, Moksha 3 - Erlösung - ein felsiger und wasserreicher Planet in der habitablen Zone von Proxima, war von Sendern umringt, wie von einem Kokon. Je näher wir drauf zu rasten, umso klarer wurde mir, was es war. Ein Verteidigungsring. Es war an der Zeit, den Mund aufzumachen.
Das Signal veränderte sich. Es handelte sich nun um Lernalgorithmen, darauf ausgelegt, eine gemeinsame Sprache zu finden. Ich sendete die Empfangsbestätigung und erhielt weitere Daten. Bis zu diesem Level der Kontaktaufnahme war ich autorisiert. Ich gab keinerlei Einzelheiten über uns preis, erledigte die Basisarbeit, entschlüsselte ihr Alphabet und übernahm ihre Wörterbücher. Es war deutlich zu erkennen: Die ANDEREN hielten sich zurück - waren aber bereit, zu reden. Und zwar genau jetzt. Mit jemandem, der dazu befugt war.
»Bringt mich zu eurem Anführer. - Ach was, das erledigt unser Cal - wir haben schlechte Laune«, scherzte ich über den Bordfunk. Keiner meiner beiden Kollegen fand das komisch. Beim Training hatten sie noch über meine Witze gelacht.
Vor mir entfaltete sich eine Welt aufregender Laute, Zeichen und bald auch Worte - eine der unseren weit überlegene Sprache, ein filigranes Gesamtkunstwerk, das Zeugnis hoher Kultur. Verzeihen Sie, wenn ich ins Schwärmen gerate - was einem Kalkulator vielleicht nicht ansteht. Es ist nur, damit Sie meine späteren Entscheidungen verstehen. Die Analyse der Daten ließ ahnen, was für Möglichkeiten sich uns eröffneten. Ein Quantensprung im Wissen der Menschheit, die Lösung so vieler Probleme. Als ich Priyanka und Aman über meine Fortschritte informieren wollte, waren sie damit beschäftigt, einander ihre Pflichtvergessenheit vorzuwerfen.
»Wir stehen vor dem größten Moment der Geschichte, und du benimmst dich wie eine Irre!«, schrie Aman und warf sich gegen die Tür des Frachtraums, in