Schattenkind. Mo. Moser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mo. Moser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737539432
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Geruch sengender Hitze in der Nase, auch wenn vieles davon seiner Einbildung entsprang. Das der Regen so schnell das Feuer löschte, war für ihn ein herber Rückschlag, doch so blieben am Ort des Geschehens zumindest die meisten Spuren der zerstörerischen Naturgewalt erhalten. Er war sich sicher, dass sie die Einzigen waren, die davon wussten. Es sei denn, seine Eltern hätten sich im Schlafzimmer aufgehalten, ebenfalls nach draußen gesehen und bemerkt, was gegenüber ihres Hauses vor sich ging. Henry, der einfach nur froh war, dass er noch am Leben war, fand es übertrieben, die Sache wie ein Staatsgeheimnis zu betrachten, und doch musste er Jim feierlich versprechen, niemand etwas davon zu erzählen. Beim Frühstück, es gab Marmeladenbrote mit Milch, versuchte Jim so unverfänglich wie möglich, auf das Unwetter zu sprechen zu kommen. Doch weder seine Mutter, noch sein Vater erwähnten den brennenden Baum. „Ich geh dann mit Henry ein bisschen nach draußen“, verkündete Jim. „Wollt ihr nicht warten bis der Regen aufgehört hat?“ Fragte seine Mutter verwundert, während sein Vater, wie fast immer am Morgen, vertieft in seiner Zeitung seinen Kaffee trank. „Wird uns schon nicht umbringen“, entgegnete Jim genervt. Er hasste es bemuttert zu werden und er hatte es ihr schon oft und deutlich genug zu verstehen gegeben. Das sie es immer noch tat, konnte für Jim nur zwei einfache Gründe haben. Entweder war sie strunzdumm, was er keinesfalls ausschloss, oder sie legte es bewusst darauf an, ihn zu provozieren. Nach reichlicher Überlegung, kam er zu dem Schluss, dass beides zutraf. „Ich kann euch aber nur einen Regenschirm mitgeben, den anderen braucht dein Vater“, setzte sie nach. Er wusste nicht warum, aber niemand schaffte es ihn so auf die Palme zu bringen, wie seine Mutter. „Regenschirme sind für Weicheier“, entgegnete er trotzig, worauf hin sein Vater kurz von seiner Zeitung aufsah, bevor er sich wieder stillschweigend darin vertiefte. „Wenn du schon keinen willst, dann gib ihn wenigstens Heinrich. Müssen ja nicht alle deine Einstellung vertreten“, fügte sie bissig hinzu. Wenn sie Krieg will, dann kann sie ihn haben, dachte sich Jim. „Tut er aber“, konterte er wütend und stand auf. „Aber du hast ja noch nicht mal aufgegessen!“ Rief sie ihm entgeistert hinterher, während Jim die Treppe zu seinem Zimmer hoch stapfte, um auf Henry zu warten. Der stopfte sich so schnell es ging sein Brot in den Mund, versuchte irgendwie gleichzeitig den Kaffee in sich hineinzukippen, wodurch er kräftig husten musste als er sich verschluckte und schaffte es gerade noch ein „danke fürs Frühstück“ herauszupressen, bevor er Jim mit hochrotem Kopf folgte. Henry war ein Harmoniemensch. Er mochte keinen Streit und das hauptsächlich, weil er nicht dazu fähig war, den damit einhergehenden Stress auszuhalten. Es brachte ihn komplett aus dem Konzept und führte in der Regel zu einer tiefen Verunsicherung. Wenn er mal richtig wütend war, dann überrollten ihn seine Gefühle mit einer solchen Wucht, dass er gleich gar nichts mehr sagen konnte. Er hätte es keine Minute mehr länger ertragen, die Spannung am Tisch auszuhalten und dann vielleicht auch noch, für die eine oder andere Position Partei ergreifen zu müssen. Jims Mutter schüttelte nur den Kopf, als sie ihm hinterher blickte. „Und du Hans, sagst wieder mal gar nichts dazu“, sagte sie mit entrüsteter, sorgenvoller Miene an Jims Vater gewandt. Der sah nur kurz von seiner Zeitung auf, schüttelte mit einen Ausdruck den Kopf, als wäre sie reif für die Männer mit den weißen Kitteln, um anschließend in aller Ruhe weiter zu lesen. Er hatte andere Probleme im Kopf, als Kinder im Regen. Logistik. Lagerverwaltung. Rückgehende Verkaufszahlen. Ein mickriges Gehalt und eine blonde Sekretärin, mit der er sich am Wochenende vergnügt, wenn er angeblich einen Fortbildungskurs besucht.

      „Jetzt mach doch schon“, sagte Jim ungeduldig. Henry war noch keine hundert Meter gelaufen und hatte jetzt schon keine Lust mehr auf diese Erkundungstour. „Ich mach ja schon“, keuchte er und wirkte dabei mehr als nur angepisst. Jim drehte sich um und unterzog Henry einen prüfenden Blick. „Du wirst mir doch nicht ernsthaft erzählen wollen, du bist sauer wegen ein paar Tropfen Wasser.“ Henry wusste nicht was er sagen sollte. Der Regen sickerte ihm in seine Kleidung, die bereits unangenehm an der Haut klebte und durch seine verschmierte Brille, konnte er nur noch verschwommen sehen, auch wenn er sie ständig mit einem feuchten Taschentuch abwischte. „Ich mag das einfach nicht, das ist alles“, sagte er mit dem Blick eines trotzigen Kindes. Jim schüttelte nur den Kopf und lief weiter in Richtung des Hügels und Henry folgte ihm mit eingezogenem Kopf, als könnte er dadurch dem Regen entgehen. Vereinzelt entdeckte er abgeworfene Zweige und Blätter am Boden und in der Ferne sah er ein Weizenfeld, das für ihn aussah, als hätte ein verrückter Friseur ein neues Werk kreiert. Wenigstens ist es warm, tröstete sich Henry, als ihm Bedenken wegen seiner nassen Kleidung kamen, und hatte nicht zu Unrecht das seltsame Gefühl, Jim hätte seinen Gedankengang erraten. „Keine Angst, säuselte Jim, wenn du krank wirst, wird dich Mamilein schon wieder gesund pflegen. Kriegst dann `ne heiße Milch mit Honig und Zwieback, während du im Bettchen liegst und zum schlafen gehen singt sie dir ein Liedchen vor. Schlaf ein mein Prinz…“ Während Jim weiterlaufend ein albernes Lied zum Besten gab, das er sich gerade so ausdachte, fragte sich Henry ernsthaft und in ähnlicher Weise wie Jim es erst vor kurzem tat, weshalb er schon so lange mit ihm zusammen war. Glücklicherweise war der Hügel nicht allzu weit entfernt. Henry hatte ihn zwar immer schon zur Kenntnis genommen, wie ein unpassendes Monument aus Steinen, hineingeworfen in die Landschaft, aber im Gegensatz zu Jim, wäre er nie auf die Idee gekommen dort hinauf zu klettern, um ihn zu erkunden. Jetzt, wo er so auf ihn zuschritt, überkam ihm das eigenartige Gefühl etwas Falsches zu tun. Er war vielleicht an die acht Meter hoch und somit durchaus zu besteigen, aber das war es nicht, das ihn nervös machte. Irgendetwas ging von ihm aus, das Henry nicht gefiel. Etwas magisches, so wie bei Stonehenge. Eine Kultstätte in Salisbury in England, die angeblich aus der Steinzeit stammt. Nun, so alt schätzte er diesen Hügel nicht, aber wer weiß? Zumindest wirkte er so unpassend in dieser Landschaft, wie ein Maulwurfhaufen im Wohnzimmer und er fragte sich nicht das erste Mal, wie er eigentlich hier her kam. Das Eigenartige war nicht nur seine Ausstrahlung, sondern hinzukam, dass dort oben auf dem sandigen Untergrund so ein riesiger Baum wachsen konnte. Als würde er die Natur verspotten wollen, so wie es überhaupt der ganze Hügel tat, mit seiner seltsam ungeometrischen Form. Die Felsblöcke wirkten so schief ineinander gewürfelt, das einem schon fast die Augen wehtaten, wenn man zu lange hinsah. Als sie davor standen, konnte Henry ganz deutlich den zersplitterten Baum, oben auf dem Felsplateau erkennen. Nur den wuchtigen, breiten Stamm konnte er nicht sehen, da Felsblöcke den Blick verdeckten. So sehr Henry auch suchte, er konnte nirgends einen sicheren Weg entdecken, der zum Baum hinaufführte. Er sah nur große, moosbewachsene Felsen vor sich. „Und wie sollen wir da jetzt hochkommen?“ „Also“, überlegte Jim und grinste. „Wir können warten, bis jemand kommt und eine Seilbahn baut. Wir könnten ganz viele Luftballons aufpusten und uns daran festhalten, oder wir können jetzt einfach hochklettern.“ Jim wartete nicht auf eine Antwort und erklomm den ersten Felsen. Auch wenn es nichts im Vergleich zu einem richtigen Berg war, rutschte Henry doch ein paar Mal ungeschickt auf den moosigen Felsblöcken ab und fragte sich bereits nach wenigen Metern, wie er seiner Mutter seine schmutzige, und um sie auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen, gerade am Knie aufgerissene Hose erklären sollte. Hätte Jim ihm nicht tatkräftig geholfen, wäre er wahrscheinlich nie nach oben gelangt, (wo er eh nicht hin wollte) aber so ereichten sie dann doch, nach einem zähen Aufstieg, den höchsten Punkt des Hügels, mit seinem ebenen Felsplateau an dessen Ende, der große Eichenbaum direkt an einem Felsen stand, der wie der Finger Gottes senkrecht in den Himmel ragte. In einiger Entfernung sah Henry einen halbverkohlten Ast liegen, der wirkte, als hätte ihn jemand vom Baum gesprengt. Die Blätter waren größtenteils verbrannt, wie auch die an der Eiche. Als sie den Baum näher untersuchten, entdeckten sie seitlich eine Einkerbung, die wie abgefräst wirkte und von der Baumspitze bis zum Boden führte, wo der Blitz austrat. Jim war schwer beeindruckt. Doch schnell wurde seine Aufmerksamkeit auf einen, etwas mehr als einen Meter großen Felsblock gelenkt, der sich direkt neben dem Baum, an dem, wie eine Wand flach nach obenhin verlaufendem Felsen befand. Er war in der Mitte auseinander gebrochen und gab den Blick dadurch auf ein dahinter liegendes, dunkles, schwarzes, konturenloses Etwas preis. Das ungewöhnliche daran war, das dahinter eigentlich die Felswand sein sollte. „Was is´n da?“ Fragte Henry neugierig, während Jim durch den Spalt im Felsblock spähte und versuchte etwas zu erkennen. „Ich weiß nicht“, erwiderte Jim. „Sieht aus, wie ein dunkles Loch im Felsen.“ Als nächstes streckte er seinen Arm durch den Felsblock, der gerade so hindurchpasste, um zu schauen ob er irgendetwas dahinter erfühlen konnte. Doch da war nichts. Henry gefiel das gar nicht. Er hatte das Gefühl, das jeden Moment etwas nach Jims Hand greifen könnte, um ihn