John K. Rickert. Gabriele Steininger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Steininger
Издательство: Bookwire
Серия: Die John K. Rickert - Serie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738073188
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Mach doch bitte die Rechnung fertig und schicke sie Misses Mac Ginty."

      "Mache ich, Mister Burgauer. Geht heute noch zur Post." Bernard drehte sich in Patricks Richtung.

      "Und wie kann ich Ihnen helfen?", fragte er den triefnassen Mann.

      "Das ist Patrick Doyle. Er braucht einen Anwalt. Dringend", meldete sich Lucy hinter ihrer Ordnerwand.

      John hatte sich auf der Chaiselounge ausgebreitet. Sein Arm hing an der Seite herunter. Die Fingerspitzen berührten gewachstes Parkett, welches sich im Fischgrätenmuster durch die kleine Bibliothek zog. Lässig lag die andere Hand über seiner Stirn. Wahrlich, dieser Arbeitstag hatte ihm den letzten Nerv geraubt und in diesem Moment wollte er weder jemanden sehen noch hören.

      Beide Arme bepackt mit Einkäufen, öffnete Bernard umständlich die Wohnungstür. Es hatte Vorteile, wenn man im ersten Stock wohnte und der Arbeitsplatz direkt in der Etage darunter lag. Großeinkäufe gehörten nicht dazu. In der Küche angekommen, stellte er die vollen Tüten ab und rief nach John. Keine Antwort. Er ging durch die Wohnung und fand seinen Freund im Halbschlaf in der Bibliothek.

      "John?", fragte er leise. Von der Chaiselounge kam ein brummender Laut.

      "Du schläfst doch nicht etwa?"

      Umständlich hievte sich der junge Mann in eine sitzende Position und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen.

      "Nein, ich schlafe nicht", murmelte er in die Handflächen hinein.

      "Bist du krank? Fehlt dir irgendetwas?" Besorgnis schwang in Bernards Stimme.

      "Nein. Ich bin okay. Wie kommst du darauf?"

      "Weil ich dich noch nie so gesehen habe. Zumindest nicht zu dieser Uhrzeit." Der Anwalt hatte die Augenbrauen hochgezogen und wartete auf eine Antwort - die auch prompt kam.

      "Ich hatte einfach einen Fuck-Tag." Bernard hasste diese Ausdrucksweise, sah sie John in diesem Moment aber nach.

      "Dann habe ich Neuigkeiten, die dich aufmuntern könnten." Bernard setzte sich grinsend neben seinen Freund.

      "Ich glaube, mich muntert nichts mehr auf." Johns resignierter Ton, konnte seinen Freund nicht beirren.

      "Oh doch. Das wird es", sagte er bestimmt. "Vergiss die Beschattungssache und hör mir zu. Es gibt einen Fall für dich. Einen verdammt interessanten noch dazu." Bernard erzählte ihm von dem neuen Mandanten, der ihn heute in seiner Kanzlei aufgesucht hatte.

      "Und dieser Patrick Doyle, sagst du, ist sich sicher? Ein zweites Testament?"

      Der Anwalt war in der Küche verschwunden, um die Einkäufe zu verstauen, weshalb beide ihre Stimmen erhoben hatten.

      "Ja, ist er. Seine Mutter, Olivia Doyle, war Daniel Mac Fleeds Geliebte. Er hat Patrick in Briefen an Sie als seinen Sohn anerkannt." Er musste an das Bündel blauer Briefumschläge denken, mit dem Doyle vor seiner Nase herumgewedelt hatte. Sie waren feucht. Doch man konnte sie, trotz

      der leicht verschwommenen Tinte, immer noch gut lesen. Jetzt hingen sie über der Heizung in seinem Büro, um zu trocknen.

      Inzwischen hatte der Detektiv sich an den kleinen Tisch in der Küche gesetzt.

      "Du musst nicht mehr so schreien. Ich bin direkt hinter dir."

      Bernard erschrak, als John mit dem Sprechen begonnen hatte. Er hatte ihn noch in der Bibliothek vermutet und nicht kommen gehört.

      "Das heißt, wir haben einen verschollenen Erben. Mit dem Anrecht auf einen Pflichtteil", stellte er fest.

      "Ja, so sieht es aus. Laut Mister Doyle ist es mehr, als der bloße Pflichtteil. Es ist mein Auftrag zu prüfen, wo sich dieses zweite Testament befindet und seinen Erbanspruch durchzusetzen. Patrick Doyle befürchtet einen Betrug."

      "Normalerweise liegt so ein Dokument bei einem Notar." Johns Bemerkung war überflüssig. Bernard war mit Nachlässen bestens vertraut.

      "Es liegt ein Testament vor. Die Sozietät Conner & Mac Gail in Dublin vertritt die Mac Fleeds seit Jahrzehnten." Bedeutungsvoll senkte Bernard die Stimme. "Die Anwälte, Notare und Steuerberater dort sind allesamt Koryphäen auf ihren Gebieten. Die Verlesung ist im Übrigen auf nächsten Montag angesetzt. Mac Fleeds letzter Wille hat ein paar sehr außergewöhnliche Klauseln. Die Polizei hat diesen Termin festgesetzt."

      "Die Polizei?" Ungläubig sah John den Anwalt an.

      "Ja. Die Polizei. Näheres werde ich erst morgen erfahren, wenn ich mich mit Conner persönlich unterhalten kann."

      "Rechnen die Erben mit dieser Überraschung? Ich meine, mit dem zusätzlichen Erben?", fragte John, mit sarkastischem Unterton in der Stimme.

      "Ich denke nicht. Meines Wissens ist ihnen nicht bekannt, dass Daniel Mac Fleed uneheliche Kinder hatte."

      "Sagtest du Kinder?" John zog die Augenbrauen hoch. "Oder habe ich mich verhört?"

      "Nein. Hast du nicht. Wenn man der momentanen Lage, den Briefen und Patrick Doyle Glauben schenken kann, ist da ein weiteres uneheliches Kind, von dem niemand weiß."

      "Oder nur nicht wissen will", gab John zu bedenken.

      "Was ist jetzt meine Rolle in dieser Schatzsuche? Welchen Auftrag soll ich dabei erfüllen? Soll ich das Haus nach dem Testament durchsuchen?"

      "Nachdem ich Conner & Mac Gail über den neuesten Stand der Dinge informiert hatte, wie gesagt, die Verlesung ist auf den nächsten Montag festgesetzt, bleiben uns sechs Tage. Wir müssen beweisen, dass es erstens - mehr Erben als gedacht gibt. Zweitens – ein weiteres Testament existiert und vielleicht können wir, drittens - sogar den Mord aufklären. Denn, wer das Testament hat, könnte auch der Mörder sein."

      "Na prima!", rief John aus, warf die Hände in die Luft und ließ sie auf seine Schenkel fallen. "Wenn es sonst nichts ist."

      "Immerhin kannst du den Beschattungsfall ad Acta legen." lachte Bernard.

      Damit hatte er Recht, auch wenn es nur ein kleiner Trost war.

      Bernard war ein guter Anwalt. Mit seinen Gesetzen, Regeln und Richtlinien befand er sich vollkommen in seinem Element. Praktische, realistische Einschätzungen eines Verbrechens waren aber sein Handycap. Sogar bei seinen geliebten Krimis, vermochte er nicht vor der Auflösung zu erkennen, wer der Mörder war. Was für John keinerlei Problem darstellte, wie er oft bewiesen hatte. Der Denkansatz seines Freundes, das ominöse Testament könne sich in den Händen des Mörders befinden, war nicht schlecht. Existierte dieses Dokument wirklich und wurde beiseite geschafft, wäre es eine logische Schlussfolgerung. Der Mörder, mit dem Motiv, den Erbteil nicht zu schmälern, hätte es zumindest kurz in seinen Besitz bringen müssen. Dieses wiederum, ließ ihn unter den Erben vermuten.

      Verdächtig wären alle, die einen Teil des Kuchens bei der Verlesung am Montag bekommen würden. Doch war dieses Schriftstück der Antrieb für den Mord, oder gab es noch andere Hintergründe? In diesem Fall würde man den Kreis der vermutlichen Täter erweitern müssen. Immerhin bestand die Möglichkeit, es mit einem intelligenten Menschen zu tun zu haben. In Johns Hirn fing es an zu arbeiten, Motive, Täter und Hintergründe tauchten in seinem Kopf auf. Er brannte darauf, mit den Ermittlungen anfangen zu können.

      Bernard hatte sich den mit dem Fall Mac Fleed beauftragten Inspektor, O'Connell, in sein Büro bestellt. Der Mittvierziger war mit dem Anwalt und auch mit John gut bekannt. Auch wenn er John Rickert nicht besonders leiden konnte, was in dessen Beruf begründet lag.

      "Schnüffler" waren ihm zuwider. Anständige Polizeiarbeit war durch nichts zu ersetzen. Detektive hingegen, verbogen Recht und Ordnung und wurden zum Teil auch kriminell, um an Ihr Ziel zu gelangen. Für sie heiligte der Zweck die Mittel, womit O'Connell nicht konform gehen konnte. Lucy schenkte dem Inspektor ein freundliches Lächeln und er nahm gerne den Kaffee an, den sie ihm anbot. Er zwinkerte ihr zu, so wie ein Vater es getan hätte, um zu sagen: >Das hast du aber gut gemacht, mein Kind<. Bernards Vater, ein waschechter Moore, hatte den Namen seiner deutschen Frau angenommen. Der Inspektor stammte aus einer Generation, die das nicht verstand. Auch der Vorname des