Die Andere konnte sich selbst zur Seite gehen, gerade als ob sie einen Schatten hätte, und den hat das Koboldvolk nicht.
Die Dritte war ganz anderer Art; sie hatte in der Sumpffrau Brauhaus gelernt, und sie war es, die es verstand, Erlenknorren mit Johannis-Würmern zu spicken.
»Sie wird eine gute Hausfrau abgeben,« sagte der alte Kobold, und dann stieß er mit den Augen an, denn er wollte nicht so viel trinken.
Nun kam die Vierte; die hatte eine große Harfe zum Spielen; und als sie die erste Saite anschlug, erhoben Alle das linke Bein, denn die Kobolde sind linkbeinig; und als sie die zweite Saite anschlug, mußten Alle das thun, was sie wollte.
»Das ist ein gefährliches Frauenzimmer!« sagte der alte Kobold; aber beide Söhne gingen zum Hügel hinaus, denn nun hatten sie es satt.
»Und was kann die nächste Tochter?« fragte der Kobold-Greis.
»Ich habe gelernt, das Norwegische zu lieben,« sagte sie, »und nie werde ich mich verheirathen, wenn ich nicht nach Norwegen kommen kann.«
Aber die kleinste der Schwestern flüsterte dem Alten zu: »Das ist nur, weil sie aus einem norwegischen Liede gehört hat, daß, wenn die Welt untergeht, die nordischen Klippen doch gleich Denksteinen stehen bleiben werden, und deshalb will sie da hinauf, denn sie fürchtet das Untergehen so sehr.«
»Ho, ho!« sagte der alte Kobold, »war es so gemeint? Aber was kann die Siebente und Letzte?«
»Die Sechste kommt vor der Siebenten!« sagte der Erlenkönig, denn er konnte rechnen; aber die Sechste wollte nicht recht herauskommen.
»Ich kann nur den Leuten die Wahrheit sagen,« sagte sie; »um mich kümmert sich Niemand, und ich habe genug damit zu thun, mein Sterbezeug zu nähen.«
Nun kam die Siebente und Letzte, und was konnte die? Ja, die konnte Märchen erzählen, und zwar so viel sie wollte.
»Hier sind meine fünf Finger,« sagte der alte Kobold; »erzähle mir eins von jedem!«
Und sie faßte ihn um das Handgelenk, und er lachte, daß es in ihm gluckste; und als sie zum Goldfinger kam, der einen Goldring um den Leib hatte, gerade als ob er wisse, daß Verlobung sein solle, sagte der alte Kobold: »Halte fest, was Du hast; die Hand ist Dein; Dich will ich selbst zur Frau haben!«
Und das Erlenmädchen sagte, daß das Märchen vom Goldfinger und vom kleinen Peter Spielmann noch fehlten.
»Die wollen wir im Winter hören,« sagte der Kobold, »und von der Tanne wollen wir hören und von der Birke und von den Geistergeschenken und von dem klingenden Froste! Du sollst schon erzählen, denn das versteht noch keiner so recht dort oben! – Und dann wollen wir in der Steinstube, wo der Kienspan brennt, sitzen und Meth aus den goldenen Hörnern der alten norwegischen Könige trinken; der Reck hat mir ein Paar geschenkt; und wenn wir dasitzen, kommt die Nixe zum Besuch; sie singt Dir alle Lieder der Hirtenmädchen im Gebirge. Das wird lustig werden. Der Lachs wird im Wassersturze springen und gegen die Steinwände schlagen; aber er kommt doch nicht herein. – Ja, es ist gar gut sein in dem lieben alten Norwegen! Aber wo sind die Jungen?«
Ja, wo waren die? Sie liefen auf dem Felde umher, und bliesen die Irrlichter aus, die so gutmüthig kamen, um den Fackelzug zu bringen.
»Was ist das für ein Herumstreichen?« fragte der alte Kobold. »Ich habe mir eine Mutter für Euch genommen, nun könnt ihr eine von den Tanten nehmen.«
Aber die Jungen sagten, daß sie am liebsten eine Rede halten und Brüderschaft trinken wollten; zum Heirathen hätten sie keine Lust. – Und da hielten sie Reden, tranken Brüderschaft und machten die Nagelprobe, um zu zeigen, daß sie ausgetrunken hatten. Nachher zogen sie die Röcke aus und legten sich auf den Tisch, um zu schlafen, denn es genirte sie nicht. Aber der alte Kobold tanzte mit seiner jungen Braut in der Stube herum und wechselte Stiefel mit ihr, denn das ist feiner, als Ringe wechseln.
»Nun kräht der Hahn!« sagte das alte Erlenmädchen, welche das Hauswesen besorgte. »Nun müssen wir die Fensterladen schließen, damit die Sonne uns nicht verbrennt!«
Und nun schloß sich der Hügel.
Aber draußen liefen die Eidechsen in dem geborstenen Baume auf und nieder, und die eine sagte zur andern:
»O, wie mir der norwegische alte Kobold gefiel!«
»Mir gefallen die Knaben besser!« sagte der Regenwurm. Aber er konnte ja nicht sehen, das elende Thier!
Die lieblichste Rose der Welt.
Es herrschte einst eine Königin, in deren Garten man die herrlichsten Blumen zu allen Jahreszeiten und aus allen Ländern der Welt fand, aber besonders liebte sie die Rosen, und deshalb besaß sie von diesen die verschiedensten Arten, von der wilden Heckenrose mit den apfelduftenden grünen Blättern an bis zur schönsten Rose der Provence; sie wuchsen an der Schloßmauer, schlängelten sich um die Säulen und Fensterrahmen, in die Hausgänge hinein und längs der Decke in allen Sälen; und die Rosen wechselten in Duft, in Form und Farbe.
Aber Sorge und Betrübniß wohnte drinnen; die Königin lag auf dem Krankenbette, und die Aerzte verkündeten, daß sie sterben müsse.
»Es ist dennoch eine Rettung für sie!« sagte der Weiseste unter ihnen, »Bringt ihr die lieblichste Rose der Welt, diejenige, welche der Ausdruck der höchsten und reinsten Liebe ist, kommt die vor ihre Augen, ehe sie brechen, so stirbt sie nicht!«
Jung und Alt kamen von allen Seiten mit Rosen, mit den lieblichsten, welche in jedem Garten blühten, aber es waren nicht die rechten; aus dem Garten der Liebe mußte die Blume geholt werden; aber welche Rose war dort der Ausdruck der höchsten, der reinsten Liebe?
Die Dichter sangen von lieblichsten Rose der Welt, jeder nannte die seine. Und es ging Botschaft weit im Lande umher an jedes Herz, das in Liebe schlug, es ging Botschaft an jeden Stand und an jedes Alter.
»Keiner hat bis jetzt die Blume genannt,« sagte der Weise, »Keiner hat auf den Ort hingezeigt, wo sie in ihrer Herrlichkeit hervorsproß. Es sind nicht die Rosen von Romeo's und Julien's Sarge oder von Walburg's Grabe, obgleich diese Rosen immer in Liedern duften werden; es sind nicht die Rosen, welche aus Winkelried's blutigen Lanzen emporsprießen, aus dem Blute, welches heilig aus der Brust des Helden im Tode fürs Vaterland quillt, obgleich kein Tod süßer ist, keine Rose rother als das Blut, welches dort fließt. Es ist auch nicht jene Wunderblume, für deren Pflege der Mann in Jahren und Tagen in langen, schlaflosen Nächten, in der einfachen Stube, sein frisches Leben hingiebt, – der Wissenschaft magische Rose.«
»Ich weiß, wo sie blüht,« sagte eine glückliche Mutter, die mit ihrem zarten Kinde an das Lager der Königin kam. »Ich weiß, wo die herrlichste Rose der Welt gefunden wird! Die Rose, welche der Ausdruck der höchsten und reinsten Liebe ist, sie entsprießt den blühenden Wangen meines süßen Kindes, wenn es, vom Schlaf gestärkt, die Augen aufschlägt, und mir mit seiner ganzen Liebe entgegenlächelt!«
»Lieblich ist diese Rose, aber es giebt noch eine lieblichere!« sagte der Weise.
»Ja, eine viel schönere!« sagte eine der Frauen. »Ich habe sie gesehen, eine erhaben-heiligere Rose blüht nicht; aber sie war bleich, wie die Blätter der Theerose; ich sah sie auf den Wangen der Königin; sie hatte ihre königliche Krone abgelegt und trug selbst in der langen, kummervollen Nacht ihr krankes Kind, sie weinte, küßte es, und betete zu Gott für das Kind, wie eine Mutter in der Stunde der Angst betet!«
»Heilig und wunderbar ist die weiße Rose der Trauer in ihrer Macht, aber die gesuchte ist sie nicht!«
»Nein, die herrlichste Rose sah ich vor dem Altar des Herrn,« sagte der fromme, alte Bischof. »Ich sah sie leuchten, als ob eines Engels Antlitz sich zeigte. Die jungen Mädchen gingen zum Tische des Herrn, erneuerten den Bund ihrer Taufe, und es blühten und es erbleichten Rosen auf den frischen Wangen; ein