»Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich sie finde, vorausgesetzt, daß sie noch leben,« versicherte der Student, herzlich gerührt von dem Ausdrucke aufrichtigen Schmerzes, welcher im Gesichte des Chinesen zu erkennen war.
»Sie können getötet worden sein,« meinte dieser, »denn die Rechtspflege meines Vaterlandes ist keine so humane wie die hiesige. Dort müssen sehr oft die Verwandten des Schuldigen dieselbe Strafe tragen wie er.«
»Nennen Sie mir den Ort, an welchem Sie sich von ihnen getrennt haben! Ich werde mich an denselben begeben und, wenn ich sie dort nicht finde, ihre Spur verfolgen wie der Indianer seine Fährte. Ich hoffe doch, Ihnen zum wenigsten eine sichere Nachricht zu bringen.«
»Ja, ich weiß, daß Sie alles Mögliche thun, kein Opfer scheuen und selbst vor keiner Gefahr zurückschrecken werden, um mir die Ruhe meines Herzens zurück zu geben. Ich werde Ihnen alles aufschreiben, was Sie wissen müssen, und diese Notizen Ihnen heute abend einhändigen. Dabei werden sich auch einige Empfehlungsschreiben an frühere Freunde befinden, an welche Sie sich mit allem Vertrauen wenden können. Sie wissen, daß ich unschuldig bin, und werden Ihnen gern allen möglichen Vorschub leisten. Also Sie sind entschlossen, diese Sendung zu übernehmen?«
»Vollständig.«
»So betrachte ich Sie von diesem Augenblicke an als meinen Kié-tschéi, als meinen außerordentlichen Bevollmächtigten, und frage Sie, ob Sie bereit sind, mir Ihr Kong – Kheou zu geben, Ihr unverbrüchliches Ehrenwort?«
»Sie sollen es haben, hier meine Hand!« antwortete der »Methusalem«, indem er dem Chinesen die Hand entgegenstreckte.
»Warten Sie!« bat Ye-Kin-Li. »Ich werde Ihnen Ihr Wort nach der Sitte meines Landes abnehmen.«
Er holte ein Päckchen Tsan-hiang herbei. Das sind wohlriechende Räucherstäbchen, deren die Chinesen sich bei Ausübung gewisser religiöser Gebräuche bedienen. Der Student mußte eins davon in seine linke Hand nehmen; der Theehändler that ebenso, worauf er die beiden Stäbchen anbrannte. Dann, als der duftende Rauch emporstieg, ergriff er mit seiner Rechten diejenige des jungen Mannes und sagte in feierlichem Tone:
»Sie sind mein Kié-tschéi. Als solcher haben Sie genau so zu handeln, als ob Sie ich seien. Sie dürfen keinen Hintergedanken hegen, und Ihr Herz muß gegen mich ohne Arg und Falschheit sein. Wollen Sie mir also jetzt Ihr Kong – Kheou geben, daß Sie meinen Auftrag nach Kräften ausführen und gegen mich und die Meinen ehrlich sein wollen?«
»Ja,« antwortete der Student. »Ich denke nicht, daß ich mit dieser Zeremonie ein heidnisches Werk begehe. Sie hätte unterbleiben können, denn mein Ehrenwort ist wie der heiligste Schwur. Aber da es Sie zu beruhigen scheint, so mag es so geschehen, wie Sie es wünschen. Ich verspreche Ihnen, so zu handeln, wie Sie selbst nicht anders handeln würden. Das ist ein ehrliches deutsches Versprechen, auf welches Sie sich verlassen können!«
»Ich glaube und vertraue Ihnen. Und dieses Vertrauen soll zwischen uns bestehen, bis diese beiden Tsan-hiang an meinem Sarge wieder angezündet werden.«
Er verlöschte die Stäbchen und legte sie dann, sorgsam eingewickelt, in ein Ebenholzkästchen, in welchem er nur Gegenstände von ganz besonderer Wichtigkeit aufzubewahren pflegte.
So war das Ehrenwort gegeben, welches für den Studenten so reiche und seltsame Folgen haben sollte. Er entfernte sich jetzt, um die notwendigen Vorkehrungen zur baldigen Abreise zu treffen.
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