»Warum muss es ein männlicher Täter sein?« Bruckner lächelte wieder.
»Wenn nicht, wird aus der Befragung der Frauen schnell ein Verhör. Und wenn das auch nichts bringt, dann war es keine Beziehungstat. Dann würde ich mir die Spuren näher ansehen, Ihre Säcke da und vor allem was drin ist, wie die Leichenteile aussehen und das ganze Drumherum.«
»Sie haben recht, die Säcke waren mit den Leichenteilen des Opfers gefüllt«, bestätigte Bruckner. »Der Gerichtsmediziner hatte nur ein Wort dafür: Panik.«
»Dann war es eine Beziehungstat«, folgerte ich.
»Nicht so schnell«, wollte mich Bruckner bremsen. »Wie begründen Sie das?«
»Wenn ich keine Beziehung zum Opfer hätte, dann würde ich mich nicht so lange mit ihm beschäftigen, da reicht ein Gebüsch, ein Feldweg oder vielleicht ein Gewässer und das wäre schon zu viel.« Ich überlegte. »Alkohol?«
»Die Obduktion hat zwar etwas gefunden, aber nicht viel.«
»Dann war es viel«, sagte ich. »Was glauben Sie, wo das Blut bleibt, wenn der Metzger sich an dem Opfer zu schaffen macht.«
»Stimmt!«, bestätigte Bruckner. »Das war auch die Einschätzung des Gerichtsmediziners.«
»Das ist aber Fachwissen und hat nichts mit der Arbeit des Profilers zu tun.«
»Darum verlässt sich ein guter Profiler auch auf die Hilfsdisziplinen, wenn er nicht gerade wie Sie schon alles gesehen hat.«
Ich überlegte noch einmal und gab dann die Analyse preis, die Bruckner von mir erwartete. »Sie wurde erdrosselt, so mordet meistens der Laie. Erschlagen schließe ich aus, weil dann bei der Tat schon das Blut spritzt und den Täter veranlasst zu flüchten und die Leiche liegen zu lassen.«
Bruckner nickte. »Erdrosselt, richtig.«
Ich fuhr mit meiner Analyse fort. »Opfer und Täter wurden in einer Kneipe gesehen, oder auf einer Feier. Es gab Zeugen, die gar nicht wussten, dass sie Zeugen waren.«
»Es waren sogar mehrere Kneipenbesuche, über die Opfer und Täter in Beziehung standen. Im Freundeskreis gab es nur eine Person, die es wusste. Und Sie haben recht, es war eine Frau und Sie hätten sie bei Ihrer Befragung tatsächlich auf der Liste gehabt.«
»Jetzt wird es mir zu langweilig«, sagte ich und verzog das Gesicht. »Und das finden Ihre Leute spannend?«
»Darum geht es nicht, es geht um den Weg. Der Weg ist wie immer das Ziel.« Bruckner suchte erneut in seiner roten Mappe und zog einen weiteren Fall hervor. »Das hier ist vielleicht besser.«
Er schob mir zwei Fotos über den Tisch, die ich einige Sekunden betrachtete. »Hier an der Klippe hat ein Kampf stattgefunden«, analysierte ich. »Zwei Personen.« Ich sah mir das zweite Foto an. »Und der hier hat den Kürzeren gezogen. Ist das unterhalb der Klippe?«
Bruckner nickte, hielt sich aber zurück, erwiderte weiter nichts.
»Ist das aus einem schlechten Film?«, fragte ich.
»Wieso?«
»Komm wir gehen an den Rand der Klippe und hauen uns, wenn einer runterfällt, hat der andere gewonnen.« Ich nahm mir noch einmal das Foto mit der Leiche. »Wenn ich der Mörder gewesen wäre, hätte ich ihm die Schuhe ausgezogen und behalten. Dann hätte ich nämlich zwei identische Paare.« Ich deutete auf das andere Foto und dort auf die Schuhabdrücke im dunklen Sand direkt an der Klippenkante. »Größe achtundvierzig, schätze ich. Die bekommt man nicht so leicht. Ich hätte es mir mit dem zweiten Paar Schuhe wirklich überlegt.«
Bruckner atmete tief aus. »Das ging aber schnell, zu schnell für meinen Kurs. Sie sind ja eine Spaßbremse.«
»Moment, ich bin noch nicht fertig.« Ich hatte wieder das Foto von der Leiche in die Hand genommen. »Sind das Messerwunden?«
»Ah, Sie sind sich nicht mehr sicher«, wollte Bruckner schon jubeln.
»Ich bin mir absolut sicher«, erwiderte ich. »Die Klippe war hoch, die Messerwunden nicht tödlich. Es hätte gereicht, wenn er gesprungen wäre. Er wollte noch jemanden mit hineinreißen, stimmt’s?«
»Das ist jetzt aber geraten«, sagte Bruckner fast beleidigt. »Das Messer wurde bei jemandem gefunden, mit dem das Opfer oder besser gesagt, der Selbstmörder, Ärger hatte. Der Grund des Suizids waren sehr hohe Schulden. Mehr steckte nicht dahinter, aber in meinem Kurs ist der Fall sehr beliebt, allerdings wohl nur so lange Sie nicht mitmischen.«
Ich nickte zu der roten Mappe. »Einen haben Sie doch noch?«
»Hier drin?«, fragte Bruckner, als wenn er mich nicht verstanden hätte. Er zögerte kurz. »Diesen Fall wollte ich meinem Kurs eigentlich heute Nachmittag präsentieren. Sie haben doch gesagt, dass Sie bis vier Zeit haben?«
»Aber allerhöchstens.« Ich zögerte. »Was haben Sie denn mit mir vor?«
»Eine kleine Expedition«, sagte Bruckner grinsend. »Eigentlich spielt sich mein Lehrgang fast ausschließlich im Seminarraum ab, aber mit diesem Fall hier«, er hielt die rote Mappe hoch, »gehen wir ins Feld oder besser gesagt ans Meer.«
»Bei diesem Wetter«, sagte ich lachend und schaute hoch zum Blau des Himmels, »kann ich bestimmt noch etwas Zeit erübrigen.«
*
Wir wechselten noch einmal das Thema, aßen in Ruhe zu Ende und nahmen uns auch noch die Zeit für einen abschließenden Kaffee. Dann fuhren wir in meinem Century. Es war ein Katzensprung von zehn Minuten. Der neue Fährhafen lag etwas außerhalb und hatte nichts von der Beschaulichkeit, des maritimen Sassnitz. Nüchterne Zweckbauten rund um die Fähranleger, mehrspurige Autorampen, ein Parkhaus, Verwaltungsgebäude und sogar Eisenbahnschienen. Bruckner erklärte mir, dass der Eisenbahnverkehr nach Schweden im Juni dieses Jahres eingestellt werden soll. Er dirigierte mich näher ans Hafenbecken. Es gab sogar eine Station der Wasserschutzpolizei, die sich einen hässlichen Stahlbetonklotz mit dem Zoll teilte. Ich durfte direkt vor dem Gebäude auf einem Parkplatz für Einsatzfahrzeuge halten.
Bruckner zückte eine Plakette aus seiner Jackentasche und schob sie zwischen Armaturenbrett und Windschutzscheibe meines Centurys.
»So, damit die Kollegen nicht auf dumme Gedanken kommen.«
Wir stiegen aus. Ich folgte Bruckner um das Gebäude herum. Wir steuerten auf eine Gruppe von zwei Frauen und einem Mann zu, die wie brave Schüler ihre Zigaretten auf dem Boden austraten, als wir uns näherten. Bruckner wurde gleich von dem Mann begrüßt, ein sportlich schlanker Typ, Ende dreißig, mit gegelten, zurückgekämmten Haaren.
»Na Kurt, bringst du uns Ersatz für Manuel?«
Bruckner stutzte. »Wieso, was ist denn mit ihm?«
»Dem ist die Scholle nicht bekommen.«
Eine der beiden Frauen schüttelte den Kopf. »Klaus erzählt Mist. Manuel war heute Morgen schon nicht richtig fit. Er hat sich ins Hotel aufs Zimmer gelegt und lässt sich entschuldigen.«
»Danke Gisela, hätte er mir aber auch selbst sagen können, na egal.« Bruckner überlegte. »Den Ersatzmann habe ich allerdings nicht mitgebracht.« Er wandte sich kurz an mich. »Das ist Mr. Tillman Halls, ein amerikanischer Kollege, oder besser gesagt, ein Ex-Kollege, ein Ex-Cop.«
Schlechter konnte Bruckner mich nicht vorstellen, dachte ich sofort. Er war aber noch nicht fertig.
»Mr. Halls hat mich bei einigen interessanten Fällen der letzten Jahre unterstützt und er ist in gewisser Weise dafür verantwortlich, dass es unseren Profilerkurs überhaupt gibt.«
Das war mir neu. Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt übertreiben Sie bitte nicht, Herr Oberkommissar.« Ich lachte und die zweite Dame in der Runde, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat vor und reichte mir die Hand.
»Hallo, ich bin die Ute. Wir duzen