»Mir auch ganz recht. Wir können uns eines Dampfers der China Navigation Compagnie bedienen, aber auch, um uns sofort ins hiesige Leben zu stürzen, auf einer chinesischen Dschunke nach Kanton fahren.«
»Ich ziehe das erstere vor, da ich möglichst schnell dort ankommen möchte. Dann ist es ja noch vollauf Zeit, mit dem chinesischen Drachen anzubinden. Unsre Koffer lassen wir an Bord zurück, da wir uns nicht allzulange in Kanton aufhalten werden.«
Inzwischen hatte sich der Klipper schnell der Mündung des Tschu-kiang (Perlenfluß) genähert. Alle Mannen standen an ihren Plätzen, um die Befehle des Lotsen augenblicklich auszuführen. Das Schiff lenkte in die westliche Lamma-Straße ein, bog um die grüne Insel und steuerte dann dem Hongkong-Kai zu, in das dichte Gewühl der Dampfer, Segelschiffe, Ruderboote und Dschunken hinein. Dort ließ es die Segel fallen, und der Anker ging auf Grund.
»Tsching tsching!« rief Turnerstick, indem er begeistert die Arme ausbreitete, als ob er ganz Hongkong umarmen wolle. »Jetzt sind wir da und werden zeigen, was für Kerls wir sind.«
Der Hafen bot trotz des europäischen Charakters der Stadt immerhin ein genügendes Bild ostasiatischen Verkehrslebens. Von dem wohl 1200 Fuß hohen Viktoriaberge blickte das neben der Flaggenstange stehende Wachthäuschen herab. An seinem Abhange zog sich die Promenade der Kennedyroad hin. Darunter die belebte Stadt mit der von Schiffen bedeckten Bai. Jenseits das chinesische Bergland, ziemlich gut angebaut, und links davon die vielen, sich bis nach Macao hinziehenden, leider kahlen Felseninseln.
Am Landeplatze wimmelte es von Europäern aller Nationen, von Chinesen, Japanesen, Malayen, Hindus, Parsen, Singhalesen, portugiesischen Mestizen und tiefdunkel gefärbten Afrikanern.
Und in der Nähe des Schiffes schossen eine ganze Menge von Kähnen, und Flößen durcheinander, beladen mit frischen Erzeugnissen des Landes und allerhand chinesischen Krimskrams. Jeder der Bootsführer wollte der erste sein, der den Neuangekommenen seine Ware anbot, um den mit den hiesigen Preisen noch Unbekannten die gewöhnliche mehrfache Bezahlung abzunehmen.
Das war ein Schreien, Rufen, Brüllen, Zanken, Fluchen, Loben und Anpreisen, daß einem die Ohren gellten.
»Nur nichts kaufen!« warnte der Kapitän. »Hier wird man riesig übers Ohr gehauen. Am besten ist's, man läßt die Kerls gar nicht heran, sonst wimmeln sie förmlich an Bord, und man ist sein eigener Herr nicht mehr. Ich verstehe, mit diesem Volke zu sprechen. Das sollen Sie gleich sehen.«
Er ließ schnell einige Wassereimer füllen und hart an die Schanzkleidung stellen. Dann bog er sich über die letztere hinaus und brüllte mit laut schallender Stimme in das Bootsgewühl hinein: »Zurück hier! Wir werdeng nichts kaufang! Fort mit euch, Ihr Hallunking! Augangblickling fort mit euch, forteng, forting, fortung! Travaillez, travaillong, travaillang!«
Nicht diese Worte waren es, welche wirkten, sondern seine gewaltige Stimme und seine wilden, drohenden Gesten hatten den Erfolg, daß unten das Geschrei für einige Augenblicke verstummte. Die Blicke der Händler richteten sich erstaunt auf ihn. – »Habt ihr's gehörengt!« rief er weiter. »Wir können nichts gebrauching. Wir habeng kein Geld. Ihr könnt euch von danneng trolling!«
Noch waren die erstaunten Kulis still. Sie wußten nicht, was sie denken sollten. Gottfried von Bouillon sah das riesige Sprachrohr in seiner Nähe lehnen. Er ergriff es, hielt es dem Kapitän hin und sagte im ernstesten Tone: »Alle tausend Teufling, Kapitäng! Da hört mang freiling, daß Sie in den neun Dialecteng etwas los habing. Bitte, das Sprachrohr zu nehmang! Das wird ungeheure Wirkung machung!«
»Was höre ich da!« antwortete Turnerstick. »Sie sprechen ja ein ganz unvergleichliches Chinesisch. Sehen Sie, wie schnell meine Lehre von den Endungen gewirkt hat! Gratuliere herzlich! Mit dem Sprachrohr haben Sie recht. Das wird doppelten Effekt machen. Geben Sie mal her!«
Die Bootsinsassen hatten ihre Ruder wieder in Bewegung gesetzt und drängten von neuem herbei. Da hielt Turnerstick ihnen, das Sprachrohr entgegen und donnerte sie an: »Augenblickling halteng, ihr Schurkang, ihr Hallunking. Wollt ihr gleich folgeng und gehorchung! Zurück, zurück mit euch! Flink, flunk, flank, flink, flink!«
Das Sprachrohr sandte diesen Befehl weit hin über das Wasser. Hunderte wurden aufmerksam auf den Klipper und die sich an denselben drängenden Boote. Turnerstick fühlte, welche Bedeutung seine Person in diesem Augenblicke habe. Er wollte zeigen, daß er auch der Mann sei, seinen Worten Nachdruck zu geben. Darum ergriff er jetzt einen der bereit gestellten Wassereimer nach dem andern und schüttete den Inhalt derselben auf die Köpfe der zudringlichen Handelsleute.
Diese mußten nun erkennen, daß man hier nichts von ihnen wissen wolle, und zogen sich unter zornigem Geschrei zurück. Geschadet hatte das Wasser ihrer Kleidung nichts. Viele von ihnen trugen nichts als kurze Leinen- oder Kattunhosen, und in Beziehung auf ihr unsauberes Wesen konnte ein solches Sturzbad nur wohlthätig wirken.
Jetzt wendete der Kapitän sich zu Degenfeld und fragte in triumphierendem Tone: »Nun, Freundchen, was sagen Sie dazu? Bin ich nicht von den Kerls verstanden worden, Wort für Wort und ganz genau?«
»Allerdings,« antwortete der Gefragte ernst. »Ich habe das zu meiner lebhaften Bewunderung erfahren.«
»O, zu bewundern gibt es da nichts. Es ist ganz außerordentlich einfach. Die Endungen sind's, die Endungen allein, mit denen man so etwas fertig bringt. Freilich gehört ein gewisses angeborenes Talent dazu. Wer das aber hat, dem ist das bißchen Chinesisch die reine Buttermilch. Merken Sie sich das! Ich meine es gut mit Ihnen. Wir bleiben ja noch beisammen, und wenn Sie da gut auf mich aufpassen, so werden Sie es in kurzem soweit bringen, daß Sie mit dem Kaiser von Peking in allen Dialekten seines Reiches reden können!«
Da legte der Lotse, welcher dabei gestanden und alles gehört und gesehen hatte, ihm die Hand auf die Achsel und sagte lachend: »Sir, soll das etwa heißen, daß Sie sich einbilden, chinesisch sprechen zu können?«
»Was beliebt?« fragte Turnerstick schnippisch, indem er den Klemmer empornahm und den Sprecher geringschätzend musterte.
»Ich frage, ob Sie denken, da mit den Kulis chinesisch gesprochen zu haben?«
»Natürlich. Was sonst?«
» All devils! Das ist lustig! Redet der Mann ein Kauderwelsch, daß man meint, es ziehe einem alle Zähne aus, ein dummes Deutsch mit allerlei fing, feng, fung, fang dahinter, und das gibt er für Chinesisch! Da können einem ja alle Haare zu Berge fahren! Mein bester Sir, ich bin so ziemlich der hiesigen Mundarten mächtig, nämlich des Pun-ti, Hakka, Fuh-kian, Fu-tscheu, Nan-tschang und Hoei-tscheu, denn ich treibe mich nun bereits an die fünfzehn Jahre hier herum, aber was Sie da zusammengereimt haben, das würde mir unverständlich gewesen sein, wenn ich nicht zugleich auch nebenbei ein wenig deutsch verstände. Wenn Sie sich mit Ihrem Chinesischen einpökeln lassen und dann die Salzlake weggießen, so bleibt nichts übrig als ein Rippenstück, welches man nicht einmal räuchern kann.«
Turnerstick ließ den Klemmer fallen, spreizte die Beine nach Seemannsart weit aus und öffnete bereits den Mund zu einer geharnischten Entgegnung, da aber schnitt ihm der Lotse dieselbe mit den Worten ab: »Bitte, keine Rede halten! Ich habe keine Zeit, sie anzuhören. Zahlen Sie mir meine Gebühr, und ich gebe Ihnen meine Quittung; dann scheiden wir in Frieden voneinander.«
»Ja,« stieß der Kapitän hervor, »machen wir uns schleunigst voneinander los, sonst geraten Sie auf Leegerwall und können sich nicht wieder abarbeiten. Wäre ich nicht Kapitän Heimdall Turnerstick, ein Gentleman vom Kopfe bis zur Sohle, so müßten Sie jetzt einen Boxgang mit mir machen, der Ihnen beweisen sollte, daß ich das feinste Mandarinen-Chinesisch nicht nur in dem Kopfe, sondern auch in den Fäusten habe. Ich soll ein Chinesisch reden, welches einem die Haare zu Berge treibt und die Zähne aus dem Munde reißt! Das ist geradezu unerhört! Ja, kommen Sie mit mir! Ich werde Sie bezahlen, und dann, wenn Sie es wieder wagen sollten, sich bei mir an Bord erblicken zu lassen, blase ich Sie samt Ihren Dialekten in die Luft, daß Sie in den Wolken hängen bleiben! Warum haben Sie vorhin nicht mit mir chinesisch reden wollen? Weil Sie es nicht können.