Als sie herangekommen waren, blieb der eine einen Schritt hinter dem andren stehen. Der letztere verbeugte sich tief und sagte in ziemlich gutem Englisch: »Die hochgeborenen Herren beehren mein schmutziges Schiff mit Ihrer glänzenden Anwesenheit. Welchem glücklichen Umstände habe ich, der allerunwürdigste Ihrer Diener, diese leuchtende Gnade zu verdanken?«
Selbst im Verkehr mit seinesgleichen gebietet nämlich die Höflichkeit dem Chinesen, von sich nur in wegwerfenden, von dem andern aber in erhebenden Ausdrücken zu sprechen.
Der Methusalem verbeugte sich ebenso tief und öffnete bereits den Mund, um diese Frage zu beantworten; da aber trat Turnerstick schnell vor und rief: »Tsching, tsching, tsching! Wir kommeng als Passagierings und wollang mit der ›Königing des Wassers‹ fahrung. Wir hoffeng, gute Wohnung zu finding und werdeng nobel bezahlang. Fünf Personung und ein Hund. Was habeng wir für den Ramsch zu bezahlung?«
Der Neufundländer war nämlich auch mit über die Treppe heraufgeklettert.
Der Chinese warf einen unbeschreiblich verblüfften Blick auf den Kapitän, schüttelte den Kopf und sah die andern fragend an.
»Nun!« sagte Turnerstick ungeduldig. »Sie werdeng doch hoffentling Chinesisch verstehang! Ich lasse nur den reinsteng und feinsteng Dialekting hörung. Verstanding? Ich will Antwort habeng!«
Der Chinese stand noch ebenso verwundert wie vorher. Darum fuhr Turnerstick in erhöhtem Tone fort: »Seid ihr beideng etwa taubstumming? Ich kann verlangung, gehört zu werdeng. Ich bin – bin – bing – – –«
Leider hatte er das Wort nun schon vergessen. Er entfaltete also seinen Fächer, um es abzulesen, und ergänzte: »Ich bing ein Wu-kuan und heiße Tur-ning sti-king, Schiffskapitäng und chinesischer Obermandaring; ich werde –«
Er wurde unterbrochen. Der Chinese gebot ihm durch eine Armbewegung Schweigen und fragte den Methusalem, sich wieder der englischen Sprache bedienend: »Wer ist dieser erlauchte Herr? Meine ungehorsamen Ohren vermögen es nicht, seine Worte zu verstehen.«
Der Gefragte antwortete in derselben Sprache: »Er ist ein Wu-kuan, ein Fu-tsiang seines Vaterlandes, und bedient sich des höchsten Dialektes der Beamten von der Pfauenfeder, welchen andre nicht zu kennen scheinen.«
»So muß es sein, denn ich kenne diese Sprache nicht. Wollen uns also lieber derjenigen der Yan-kui-tse[23] bedienen, in welcher ich die weisen Herren wohl verstehen kann. Ich bin der ganz unwürdige Ho-tschang dieses Schiffes, und mein Kamerad hier ist der To-kung desselben. Unsre Tau-muh haben uns gesagt, daß einige erleuchtete Männer an Bord gekommen seien, und so haben wir uns beeilt, unsre ganz demütigen Dienste anzubieten.«
»Hat der Besitzer dieser Dschunke nicht davon gesprochen, daß ein Tao-dse-kue[24] hier gewesen ist, um für sich und noch vier andre Platz für Kanton zu bekommen?«
»Er hat es gesagt. Wenn ihr diese vom Himmel gesandten Herren seid, so wird es für uns eine ganz unverdiente Ehre sein, euch bei uns aufzunehmen und nach Kuang-tscheu-fu[25] zu bringen.«
»Wir sind es. Wo ist der Schiffsherr?«
»Er befindet sich bei dem Hiang-kung, um mit demselben für das Gelingen unsrer Reise zu beten. Wenn das Gebet vollendet ist, werden wir hier auf dem Deck das Kong-pit vornehmen, um ganz sicher zu sein, daß uns unterwegs kein Uebel widerfahre.«
»Werdet ihr uns erlauben, dieser Zeremonie beizuwohnen?«
»Ja, da ihr mit uns fahren wollt. Aber da muß ich nach euren berühmten Namen und euren glänzenden Würden fragen, damit ich euch die euren hohen Verdiensten angemessenen Plätze anweisen kann.«
»Ihr sollt sie erfahren. Dieser berühmte Held ist, wie bereits erwähnt, ein Wu-kuan. Sein Titel ist aus seinem Fächer verzeichnet: Tur-ning sti-king kuo-nyan ta-fu-tsiang. Mein Name ist Me-thu-sa-lem-tsiung-wan, woraus ihr ersehen werdet, wen ihr vor euch habt.«
Die Klasse der Tsiung-wan ist nämlich die erste der fünf obersten Klassen des persönlichen Adels, wohin nur die Mitglieder und Abkommen der kaiserlichen Familie gehören. Als die beiden Chinesen diese zwei Silben hörten, verbeugten sie sich so tief, daß ihnen ihre Zöpfe nach vorn über die Köpfe flogen, und der Ho-tschong fragte im Tone tiefster Ergebenheit: »So sind Sie der Nachkomme eines glänzenden Ahnen?«
»Des glänzendsten, den es gibt. Er hieß A-dam; vor ihm beugten sich alle Geschöpfe der Erde, und er ist der Urvater aller Kaiser und Könige. Mein Name wird also genügen, so daß ich diejenigen meiner andern Begleiter nicht zu nennen brauche. Jeder von ihnen ist ein Tao-kuang[26] in unserm Vaterlande, und wenn wir mit euch fahren, werdet ihr alle ihre zehntausend Vortrefflichkeiten kennen lernen. Vor allen Dingen aber möchten wir wissen, wie viele ›Wasserfüße‹ wir haben müssen, um mit euch nach Kanton zu gelangen.«
»Der Herr des Schiffes hat mir bereits gesagt, daß er für die Person einen Dollar verlangt hat. Da ihr aber so vornehme Herren seid, denke ich, daß ihr uns beiden außerdem noch ein Kom-tscha[27] geben werdet.«
»Ihr sollt pro Mann einen Dollar bekommen.«
»Herr, eure Gnade ist über alles Erwarten groß. Wenn ihr das Geld sogleich bezahlt, werdet ihr sofort Zeuge des Kong-pit sein.«
Turnerstick und der Mijnheer zahlten je zwei Dollar, der Methusalem für sich, Gottfried und Richard vier Dollar, folglich hatten die beiden Schiffsoffiziere drei Dollar Trinkgeld, worüber sie sich außerordentlich erfreut zeigten.
Während des Gespräches hatte sich das vorher so menschenleere Deck bevölkert. Die Bemannung war unter Deck gewesen und nun heraufgekommen. Die Leute standen in der Nähe des Tisches. Von ihnen lösten sich zwei ab, welche langsam herbeikamen. Der Methusalem erkannte den Schiffseigner. Der andre trug eine mönchsähnliche Tracht. Jedenfalls war er der Hiang-kung, der Priester des Schiffes.
Der erstere erhielt von dem Kapitän das Passagegeld, natürlich aber nicht das Trinkgeld. Die vier Chinesen traten beiseite, sprachen eine Weile miteinander und warfen dabei scharf forschende Blicke auf die Passagiere. Der Schiffseigner hatte, wie von Degenfeld ganz richtig bemerkt worden war, kein vertrauenerweckendes Gesicht, der Priester sah noch finsterer aus. Ihre Blicke glichen denen von Händlern, welche eine Ware scharf abschätzen wollen.
»Die Kerls gefallen mir gar nicht,« sagte der Methusalem. »Sie betrachten uns wie Kolli, die in ihren Besitz übergehen sollen. Warum sprechen sie heimlich miteinander?«
»Das ficht mich nichts an,« antwortete Turnerstick. »Ein Kapitän muß wissen, wen er an Bord hat, und daß wir ihr Befremden erregen müssen, versteht sich ganz von selbst. Lassen Sie die Kerls immer reden. Mir gefallen sie, obgleich sie kein Wort von meinem Hochchinesisch verstehen. Lassen Sie uns nur in das Innere des Landes kommen. Da werden Sie sehen, welchen Effekt ich mit meinen Sprachkenntnissen mache! Ueberdies ist diese ›Schui-heu‹ ein wahres Prachtschiff, schmuck und sauber im höchsten Grade. Vielleicht läßt man uns auch einen Blick unter Deck werfen. Am liebsten möchte ich gleich hier bleiben. Vielleicht thue ich es auch, wenn sie es erlauben. Warum soll ich im Hotel übernachten und so viel Geld bezahlen?«
Als ob sie die Worte des Kapitäns gehört hätten, kamen die vier jetzt wieder herbei, und der Kapitän sagte: »Ich habe den Hiang-kung benachrichtigt, daß ihr das Kong-pit mit ansehen wollt. Er würde es gern erlauben, darf aber nicht, weil ihr dann wohl das Schiff verlassen werdet, um erst morgen früh wieder an Bord zu kommen.«
»Das beabsichtigen wir allerdings,« bestätigte Degenfeld. »Aber warum soll dieser Umstand ein Hindernis sein?«
»Weil dann das Kong-pit nicht zutreffen würde. Wer bei demselben gewesen ist, darf das Schiff vor der Abfahrt