»Zulangen? Ausreichen?«
»Ja. Wenn Sie noch dicker werden wollen. so muß sie unbedingt platzen.«
»Platzen? O mijn Hemelsche Vader![1] Da hätten Sie mijne Haut früher sehen sollen! Die glänzte wie eene rosenrote Speckswarte! Wenn ich niet baldige Beterschap[2] finde, so sterbe ich im Handumdrehen.«
»Und diese Besserung suchen Sie in China?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weit mijn Geneesheer[3] sagte, das Klima sei in Java zu südlich. Er riet mir, nach Norden zu gehen, und was liegt im Norden? Doch China! Vielleicht werde ich hier wieder gesund. Früher glich ich im Gesicht der hellen Sonne; jetzt aber bin ich nur noch die reine Maansverduisterung«.[4]
»So müssen Sie wohl an einer abzehrenden Krankheit leiden?«
»An einer, nur einer? Dann wäre ich ganz glücklich! O nein, ich leide an twintig, dertig, veertig, an honbert verschiedenen Krankheiten.«
»Das ist schlimm. Wo liegen dieselben denn?«
»Wo? Ueberall!«
»Nun, zum Beispiel?«
»Im ganzen Ligcham[5], im Angezigt, im Oogappel, in de Ooren und de Oorlapjes, im Kinnebak, in de Keel und Gorgel, im Elleboog und in de Vingers, im Maag und zwischen den Ribben, in den Beenen und den Voetzoolen, in de Long und de Lever, in de Gal und de ganze Romp.[6] Ich schwebe stündlich zwischen Leven und Dood, und nur Essen und Trinken kann mij retten. Ich bin ein elendes Schepsel[7] und würde gern honderdduizend Gulden geben, wenn ich einen Offizier van der Gezondheit[8] wüßte, der mich retten kann!«
Er zählte seine Leiden in so traurigem Tone auf, und seine Gestalt stand so im Widerspruch mit diesen Klagen, daß es großer Selbstbeherrschung bedurfte, nicht zu lachen. Gottfried machte sein mitleidigstes Gesicht und fragte in teilnehmendem Tone: »Glauben Sie etwa, daß die chinesischen Aerzte die Kunst besitzen, Sie herzustellen?«
»Vielleicht. Es ist mijn letzter Versuch, den ich mache. Ich habe gesprochen mit Doktors aus Duitschland, aus Nederland, aus Frankrijk, aus Oostenrijk, aus Spanje, aus Zweden, aus Oostinbie, aber keiner hat mij helfen könnt. Jetzt will ich es mit China versuchen. Es soll da Leute geben, welche wahre Wunder wirken.«
»Ich hätte zu andern mehr Vertrauen. Sie sind jedenfalls nur mit Pfuschern zusammengekommen. Hat man Ihnen Arzneien verschrieben?«
»Alle möglichen Boomen und Heesters, alle Bladen und Bloems[9], die es nur geben kann.«
»Das war verkehrt. Ein einsichtsvoller Arzt würde das unterlassen haben.«
»Warum?«
»Weil Ihre Krankheit durch solche Mittel nur verschlimmert wird.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Ich? Ich bin ja Fachmann.«
»Sie? Fachmann?«
»Ja. Student!«
»Student? Was studieren Sie denn?«
»Was ich jetzt studiere? Nichts, gar nichts mehr,« antwortete Gottfried, indem er sich in die Brust warf. »Ich habe das nicht mehr nötig, denn ich habe studiert, verstehen Sie, ich habe, habe, habe, also Perfektum; das heißt, ich bin perfekt. Ich habe alles studiert, alles ohne Ausnahme. Ich habe mich aus jedes und alles geworfen und bin schon seit Jahren zur allgemeinen Meisterschaft gelangt. Das soll heißen, ich erfreue mich der außerordentlichsten Omnipotenz. Ich pflanze meinen Kohl wie der reichste Rittergutsbesitzer; ich dirigiere die gefährlichsten Eilzüge wie der erfahrenste Lokomotivführer; ich entwerfe Schlachtenpläne wie der berühmteste Feldmarschall; ich spreche in allen Zungen der Erde wie die Poeten des Erdenrundes am Maifeste; ich schlachte Schweine und Kälber wie der meisterhafteste Metzger; ich halte Parlamentsreden wie ein Palmerston; ich gewinne die verwickelsten Prozesse, leichter als jeder andre Jurist; ich predige trotz einem Bischof oder Konsistorialrat; ich gerbe alle Häute und Tierfelle, am liebsten mit dem Ziegenhainer; ich baue Brücken über die Thäler und Viadukte über die Flüsse; ich fahre mit dem Luftballon, wohin Sie nur wollen und sogar noch einige Meilen weiter; ich schreibe geognostische Werke über die Algen und Tangen und zoologische Bücher über den Venusdurchgang; ich besohle die Pferde und beschlage die Reiter; ich fertige aus Watte die feinsten Chronometer und bediene mich als Ziergärtner des besten Meißener Porzellans; ich tanze Seil; ich laufe Schlittschuhe; ich heize mir und andern ohne Holz und Kohlen ein; ich entdecke Naphtha am Nordpole und Eis in Arabien; ich – ich – ich – – nun, ich kann eben alles, alles, alles!«
Der liebe Gottfried hatte sich erhoben und brachte dies alles in so begeisterter Schnelligkeit hervor, daß der Dicke nicht die Hälfte der Lobrede verstand. In solchen Augenblicken pflegte er auf seinen märkischen Dialekt zu verzichten und sich in gutem Hochdeutsch auszudrücken. Dies letztere that er überhaupt stets dann, wenn er imponieren wollte.
Mijnheer van Aardappelenbosch hatte den Mund weit geöffnet und machte Augen, als ob er ein wahres Wunder vor sich sehe. Er hatte der schnellen Rede nicht folgen können und nur das behalten, daß er einen hoch und tief studierten Mann vor sich habe. Aber eins hatte er vermißt und zwar gerade das, was ihm am liebsten gewesen wäre. Darum sagte er jetzt, als Gottfried ihn erwartungsvoll von oben herab anblickte: »Solche Schulen sind Sie durch, so außerordentlich viele, Mijnheer?!«
»Ja – freilich!«
»Aber die Medizin, die Medizin, die fehlt!«
»Fehlt? Fällt mir gar nicht ein! Das fehlte noch, daß die fehlt! Die Medizin ist ja gerade mein Lieblingsfach!«
»Wirklich? Ist das wahr?«
»Natürlich!«
»Haben Sie schon kuriert, Kranke gesund gemacht?«
»Und wie! Dem Dalai-Lama habe ich ein Bandwurmmittel gegeben, und als das Tier zum Vorschein kam, war es ein Lindwurm, sehr einfach deshalb, weil ich ihn mit Lindenblütenthee behandelt hatte – – –«
»Wie? Mit Lindeboombloesem?«
»Ja, mit Lindeboombloesem, wie Sie es holländisch nennen. Und dem türkischen Großwesier habe ich den Flamingo operiert. Was sagen Sie dazu?«
»Fla – fla – fla –, was ist das für ein Wesen?«
»Ein Vogel, eigentlich viel größer als ein Storch. Die Aerzte hatten die Krankheit für den grauen Star gehalten; aber als dann ich den Kerl herausgeschnitten hatte, zeigte es sich, daß es ein roter Flamingo war.«
»Das – das verstehe ich niet!«
»Ist auch nicht notwendig. Das ist nur Sache für den Ophthalmologen.«
»Aber so ein großer Vogel!«
»Thut nichts! In leichten Fällen nennt man es bloß Star, in schweren aber Flamingo; das sind die wissenschaftlichen Ausdrücke.«
»Aber, Mijnheer, wenn Sie sich auf solche Kuren verstehen, so können Sie ja auch mir helfen!«
»Mit Leichtigkeit sogar!«
»So kennen und heilen Sie alle Krankheiten?«
»Alle, nämlich wenn der Patient nicht zu dick ist.«
»Mijn Hemel – mein Himmel! Warum diese Ausnahme?«
»Sehr selbstverständlich, weil es dann ganz unmöglich ist, ihm in das Innere zu blicken.«
»So sagen Sie, wie steht es da mit mir.«
»Sie sind zu fett.«
»Dit Ongelukk! Ich war erst viel dicker als jetzt! So können Sie mij also niet kurieren?«
»Schwerlich! Aber es ist einer da, welcher Ihnen sicher Hilfe brächte, wenn Sie sich an ihn wenden wollten.«
»Wer ist das?«
»Mein Kommilitone,