Für eine gute Geschichte brauchen Journalisten im 21. Jahrhundert eine Haltung. "Eine richtige Haltung und keine Meinung", sagt Seibt. "Meinungen sind billige Ware, deswegen werden sie gedruckt." Dann zählt Seibt auf, welche drei Zutaten eine Haltung formen. "Das Erste ist Kühnheit", sagt Seibt. "Eine kühne Recherche, eine kühne Formulierung – sowas wie: Er war so auffällig wie ein Skorpion auf einer Sachertorte." Das Publikum lacht.
"Das Zweite ist die Aufrichtigkeit.” Ein Journalist müsse nicht nur nach außen schauen, wo die Fakten sind. Er müsse auch auf sein Herz hören. "Nach innen horchen, das ist manchmal viel schwieriger", sagt Seibt.
Zum Schluss brauche eine Haltung noch Debatten um neue Routinen. "Eine Haltung ist kein Zustand, sondern ein Prozess und er ist kompliziert", sagt Seibt. In Zukunft müsse es Debatten zu den einfachen Fragen geben: Wer sind wir? Was wollen wir? "Die Zeitung muss damit ganz neu gedacht werden: Als Projekt, als Club und als Expeditionsteam."
Ob das den Journalismus rettet, weiß auch Seibt nicht. "Aber wenn man schon untergeht, dann mit einem harten Kampf, mit einem Knall – nicht mit einem Winseln." Denn der Journalismus ist ein toller Beruf, um den es sich lohnt, zu kämpfen. Das Publikum freut sich, applaudiert. Mit einem leisen "Merci” verschwindet Seibt schließlich von der Bühne.
INTO THE WILD
Gemeinsam, statt einsam
Die Designforscherin Gesche Joost präsentiert Ideen, wie Menschen nicht mehr länger vom Internet ausgeschlossen werden.
Speaker: Gesche Joost
Text: Felix Hütten
Es funktioniert! Taubblinde Menschen können seit wenigen Wochen an der digitalen Welt teilnehmen. Das war lange anders: Taubblinde – also Menschen, die weder sehen, noch hören – kommunizieren über ein Morse-Alphabet. Sie tippen mit den Fingern in die Handflächen ihrer Gesprächspartner. Doch die sogenannte Lorm-Sprache hat zwei gravierende Nachteile: Die wenigsten Menschen beherrschen das Lorm-Alphabet – taubblinde Menschen kommunizieren so gut wie ausschließlich unter sich. Zudem basiert das Lorm-Alphabet auf körperlichem Kontakt – Taubblinde sind von jeglicher Online-Kommunikation ausgeschlossen.
Genau das wollen Gesche Joost und ihr Team ändern. An der Berliner Universität der Künste leitet die Professorin das Design Research Lab. Die Ideen ihrer Arbeitsgruppe drehen sich um gesellschaftliche Herausforderungen, man könnte auch sagen: Um Offline-Probleme, um Alltagssorgen. Die Frage ist: Wie kann das Internet helfen, diese Probleme zu lösen? Gesche Joost’ Antwort lautet: Partizipatives Design.
Niemand dürfe vom Internet ausgeschlossen werden, mahnt Gesche Joost. "Ich sehe eine tiefe digitale Spaltung und ich sehe das sehr kritisch", sagt sie. Am Beispiel von taubblinden Menschen zeigt Joost, wie es der Designforschung gelingt, die digitale Kluft zu überwinden: Mit ihrem Team entwickelte sie einen mit Drucksensoren bestückten Handschuh, der die Lorm-Berührungen des Kommunikationspartners registriert und in digitalen Text codiert. Per Bluetooth wird der Text an Smartphones gesendet und somit einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt. Mit dem Handschuh haben Taubblinde erstmals die Möglichkeit mit Menschen zu kommunizieren, die das Lorm-Alphabet nicht verstehen. Und das an jedem Ort der Welt, via Twitter, Facebook – oder offline im Café.
Die Designforscherin Joost steht für Vernetzung, für ein Internet der Chancen. Sie steht für Barrierefreiheit und Inklusion – online gedacht. "Ich denke komplett pragmatisch", sagt Joost. "Wir müssen weg von tollen Ideen, die nicht funktionieren."
Mit dem Handschuh bewegen sich Joost und die Designforschung an der Schnittstelle zwischen Form und Funktion. Joost selbst bezeichnet sich als "Forscherin zur Mensch-Maschine-Interaktion" – mit dem Ziel, zwischen den Sphären zu vermitteln und zusammenzubringen, was auf den ersten Blick nicht zusammen passt. Dieser Aufgabe widmet sich Joost seit März auf höchster politischer Ebene: Als Internetbotschafterin der Bundesregierung berät sie die EU-Kommission in Fragen der digitalen Agenda. Es geht um das Ziel, allen Bürgern einen Zugang zum Netz zu ermöglichen. Egal ob jung oder alt, stumm, taub oder blind.
INTO THE WILD
"Die Debatte um das Internet ist männerdominiert"
Die Bloggerin Yasmina Banaszczuk spricht über Netzfeminismus, Meinungsführer und die Digitale Spaltung.
Interview mit: Yasmina Banaszczuk
Yasmina, gibt es einen Unterschied zwischen Netzfeminismus und analogem Feminismus? Es gibt nicht den einen Feminismus. Es gibt online wie offline verschiedene Strömungen im Feminismus. Da fällt es schwer, eine klare Definition zu treffen oder sich einer bestimmen Gruppe zuzuordnen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob man online und offline gegenüberstellen soll - und überhaupt kann. Es gibt nicht die wichtigsten Punkte: Jeder Feminist und jede Feministin hat da unterschiedliche Schwerpunkte.
Was bedeutet für dich Netzfeminismus? Netzfeminismus wird von außen oft einer bestimmten Gruppe zugeordnet - und diese Gruppe dann abgewertet. Wenn von den "jungen Netzfeministinnen" die Rede ist, sind oftmals junge, weiße, blonde Frauen gemeint, die Gender Studies studieren und darüber bloggen. Für mich ist Netzfeminismus eher Feminismus, der auch - aber nicht nur - im Netz stattfindet. Im Netz wird der Feminismus multipliziert, hier kann man Leute treffen und voneinander lernen.
Geht es auf der re:publica um Netzfeminismus? Ich denke, es geht hier um die Gesellschaft. Das Internet an sich ist ja ein gesellschaftliches Thema. Gerade wenn man über Freiheit redet, dann spricht man immer öfter auch über Feminismus und Aktivismus. Die re:publica will sich öffnen und versucht mit diverseren Inhalten viele verschiedene Leute, nicht nur Experten, anzusprechen. Ich finde, Themen wie Feminismus und Aktivismus sind dieses Jahr viel besser integriert.
Sind Frauen selbst schuld, wenn sie nur als niedliche Netzfeministinnen wahrgenommen werden? Jede Bewegung braucht ein Gesicht. Bei #aufschrei war das Anne Wizorek, früher eben Alice Schwarzer. Da aber liegt nicht das Problem. Die Aktivistinnen sind auch nicht selbst schuld: Es mangelt einfach an Strukturen. Es fehlt an Professionalität, wenn es darum geht, Medienanfragen zu bearbeiten oder gezielt Themen zu setzen. Man müsste diverser denken und zum Beispiel mal eine Woman of Colour vor die Kamera setzen oder eine Frau, die nicht studiert hat, die vielleicht etwas älter ist.
Ist das Internet männerdominiert? Die Debatte über das Internet ist männerdominiert. Die Meinungsführer sind Männer zwischen 30 und 45 Jahren. Die Masse an Leuten, die im Internet aktiv ist, ist total heterogen, so wie im echten Leben auch. Das Internet ist bunt, es wird nur oft nicht so dargestellt. Allerdings lässt sich eine sogenannte digitale Spaltung beobachten: Von 100 Leuten mit Abitur bewegen sich 73 im Internet, mit Hauptschulabschluss nur 33.
Verursacht die digitale Spaltung eine Ablehnung gegen das Internet? Ja sicher, man muss verstehen, wenn Leute Respekt vor Dingen haben, die sie nicht kennen. Ich habe Verständnis für Skepsis. Ich halte es aber für problematisch, wenn in Politik und Wirtschaft die Bereitschaft fehlt, sich mit Netzthemen auseinander zu setzen. Das gilt auch für den Wissenschafts- und den Bildungssektor.
Vielen Dank für das Gespräch.
Yasmina Banaszczuk, geboren 1985, lebt in Hamburg. Sie promoviert zu dem Thema Netzwerke im Arbeitsmarkt und bloggt über Netzthemen auf stern.de und frau-dingens.de
Die Fragen stellten Saskia Ibrom und Felix Hütten
INTO THE WILD
Angriff der Google-Bienen
Google stellt vier neue Features vor, die das Haus der Nutzer sicherer machen sollen. Dazu gehören eine Drohne für Zuhause und eine Versicherung des Suchmaschinenkonzerns. Alles nur Satire, stellt sich schnell raus. Obwohl doch ein Stück Realität enthalten ist.
Speaker: Gloria Spindle, Paul von Ribbeck
Text: Timo Steppat
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