Krankes ICH. Björn Ludwig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Björn Ludwig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002805
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high und down zugleich. Ein unproduktiver, unguter, uncooler Zustand. Der Rentner bemerkte dies. Sie würde als mögliche Zeugin komplett ausfallen. Es ist anzunehmen, dass sie von dem gut verschnürten ‚Golfer-Paket’ gar nichts mehr wusste. Das war das Zeichen von oben. Oder eher von unten, direkt aus der Hölle. Er hatte schon gezweifelt an seinen Plänen. Aber von nun an gab es kein Zurück, jetzt musste er aktiv werden.

      Das war der Startschuss.

      Die Jagd hatte begonnen.

       1

      Guten Tag, mein Name ist Nils Choi, ich bin Privatdetektiv.

      Diese Worte fühlen sich gut an, wenn ich sie sage. Ich habe hart dafür gearbeitet. Mit einundvierzig konnte ich sie dann das erste Mal aussprechen, am Telefon. Der erste Klient, ein Koreaner. Mein erster Fall, das war vor einem Jahr. Der aufmerksame Leser wird jetzt also wissen, wie alt ich bin. Mein erster Fall war klassisch, fast ein Klischee. Es ging um Eifersucht, um Fremdgehen, um Sex, um Liebe. Der Mann bezichtigte seine Ehe-Frau, etwas mit einem anderen angefangen zu haben und ich sollte recherchieren. Der Verdacht bestätigte sich und manifestierte sich zunächst in harmlosen Fotos, die suggerierten, dass es da zwei Menschen gibt, die sich eventuell mögen, sich gegenseitig anziehen. Als ich dem Gehörnten in spe die Fotos zeigte, erhärtete sich sein Verdacht, und auch seine Faust, die sich im Restaurant Han il Kwan unter dem Tisch ballte. Der Mann liebte seine Frau, anders konnte es gar nicht sein. Denn seine Angetraute war nicht eben ein Ausbund an Schönheit, zumindest in meinen Augen. Sie war klein, dünn, hatte einen platten Hintern und unreine Haut, zuzüglich krummer Beine. Und dennoch leistete sie sich eine Affäre mit einem rassigen Argentinier, der sie um fast zwei Köpfe überragte und sogar längere und schönere Haare hatte als sie. Ganz klar, in jener Affäre ging es nicht um Liebe, sondern um Geld, was einseitig floss oder sich in hübschen Präsenten kristallisierte, von Frau zu Mann. Aber dem Herrn Park ging es um Liebe. Ich sah es in seinen Augen. Er liebte diese Frau, warum auch immer. Vor Liebe jedoch habe ich großen Respekt, darum – und auch weil es mein erster Fall war – legte ich mich für Herrn Park mächtig ins Zeug. Ich mochte Herrn Park auch gern leiden. Er roch stets gut, ging immer aufrecht, hatte Würde, hatte Stolz, war gläubig, und war weder protzig, noch fanatisch, sondern strahlte eine natürliche und stattliche Demut gegenüber dem Leben aus. Ohne dabei jemals den Anschein einer Unterwürfigkeit zu erwecken. Kurz, ein feiner Mensch. Ein so feiner Mensch, dass ich ihm meine neunjährige Tochter zur Nachmittagsbetreuung anvertraut hätte, ehrlich. Aber dazu kam es nie, denn Herr Park nahm sich kurze Zeit später das Leben.

      Ich hatte ihm – so wie er es wollte – die eindeutigen Fotos präsentiert, denn ich habe die Lizenz zum Fotografieren. Heiße Küsse reichten ihm leider nicht, er wollte mehr sehen. Um ganz sicher sein zu können. Ich bin weder Pädagoge, noch bin ich ein Psychologe, aber vielleicht hätte ich vorher seelische Fachkräfte konsultieren sollen – vielleicht wäre dann alles anders gekommen... vielleicht.

      Jedenfalls zeigte ich ihm dann mehr. Penetration der Genitalien reichte ihm als Beweis leider noch immer nicht. Als würden Mann und Frau sich aus Versehen an die Geschlechtsteile fassen! Nun ja, er war verzweifelt. Ich bin nicht pervers, und es war mir sehr unangenehm, aber Herr Park wollte mehr sehen, er wollte alles sehen, und sein Körper zitterte vor Anspannung. Er wirkte auf einmal sehr bedrohlich auf mich, denn seine sonst so sanftmütigen, gottestreuen und wohlwollenden Augen verwandelten sich urplötzlich in eine lodernde Iris des Hasses. Seine Pupillen verengten sich zu harten Flusskieselsteinen, niemand hätte diesen Mann aufhalten können, in den Besitz dieser von mir geschossenen Bilder zu kommen. Ich möchte mich hier nicht rechtfertigen, aber vielleicht möchte ich mich erklären: Mich beschlich eine Angst – auf einmal hatte ich Angst vor diesem Mann. Ich besitze keine Waffe und habe mich bis dato immer auf meinen Körper verlassen, wenn es Stress gab. Jedoch war mir klar, dass Herr Park diese Fotos haben wollte und er nicht bei Sinnen war, als wir damals in meinem kleinen Kreuzberger Büro beisammen saßen. Es war kein fröhliches Beisammensein, soviel kann ich sagen. Ehrlich, ich wollte ihm diese Fotos ersparen, aber es gab kein Entrinnen.

      Es war scheinbar Schicksal.

      1000 Fotos hatte ich geschossen, soviel, wie ein seriöser Hochzeitsfotograf heutzutage in etwa digital verschießt, um dann – gemeinsam mit dem Brautpaar – die schönsten Bilder für die Ewigkeit herauszusuchen. Aber jenes Spektakel – festgehalten in Bildern - war keine Hochzeit. Es war ein Trauerspiel übelster Art. Damals hatte ich mich extra im Nebenzimmer einer Warener Luxuspension eingemietet, als Herr Schröder; Herr Park zahlte fette Spesen und ich kam mir ein wenig schäbig vor, als ich abends im Whirlpool mit einer beschwingten Schwedin anbändelte, die mit mir im Anschluss die Minibar plündern wollte. In meinem Zimmer, versteht sich, denn in ihrer Minibar war nichts mehr drin, verstand ich. Inte war alles, was ich verstand, und das ist mir zu wenig, denn inte heißt nicht. Nebenbei bemerkt, bereue ich noch heute leise, dass ich mit der zarten Lina aus Göteborg, 33, Jura-Studentin im 8. Semester, nicht meine Mini-Bar geplündert habe. Jedoch war ich im Dienst, verdeckt. Ansonsten war ich offen für alles, außer für Dinge, die meinen Plan völlig durcheinanderbringen hätten können. Hätten und können sind diffuse Variablen, einzig die Ergebnisse zählen. Ja, das ist wahr, mitunter auch furchtbar.

      Schräg gegenüber an der Bar saßen Frau Park und Jesus Armando Enrico, jeweils aus den Hauptstädten ihrer jeweiligen Heimatländer stammend. Seoul meets Buenos Aires. Darauf musste ich mich konzentrieren, so dezent und diskret wie möglich. Für solche Situationen benutze ich mein Sony Ericsson Cyber-Shot Handy. Dann tu ich so, als würde ich eifrig simsen oder irgendwelche schwachsinnigen Geschicklichkeitsspiele spielen. In Wahrheit filme ich. Das hat bis jetzt immer geklappt. Ton- und Bildqualität sind erstaunlich gut bei diesem stilvollen kleinen Meisterwerk der Technik, mit dem man, nebenbei bemerkt, auch telefonieren kann. Und während ich filme und Beweise sammle, bin ich mir durchaus nicht zu schade, hin und wieder infantil zu grinsen oder gar zu kichern. Das macht mich harmlos, das macht mich unverdächtig. Vor fünf Jahren war ich mal für 8 Monate in einer Theatergruppe am Koppenplatz, in Berlin-Mitte. Dort durfte ich, manchmal vor bis zu 200 Zuschauern, Nebenrollen als aggressiver Hausmeister, Psychopath oder Kind mit ADHS spielen, was mir einen beachtlichen Kick gab. Ich liebäugelte schon mit einer eventuellen Karriere als Schauspieler, als mir der Theaterleiter eines schönen Tages den Wind aus meinen vor Stolz geblähten Segeln nahm, indem er mir bei einer Tasse grünen Tee ganz nüchtern mitteilte, ich sei der ideale Part für lustige Nebenrollen. Nebenrollen. Lu sti ge Ne ben ro llen. Ha Ha! Ich bin nicht sonderlich eitel, aber ein wenig Ego habe ich schon. Und ich sah es übrigens auch ein. Im Nachhinein. Ich bin nicht der geborene Schauspieler. Aber ich bin der geborene Privatdetektiv. Als Privatdetektiv spiele ich keine Rolle, als Privatdetektiv bin ich ICH. Kein simpler Schnüffler, nein, der möchte ich nicht sein, jedoch empathisch, mit sieben Sinnen ausgestattet, nicht nur mit dem Seenerv. Das Visuelle wird ohnehin überschätzt in unserer heutigen, modernen Gesellschaft. Dabei prangere ich keineswegs die Technik an, denn ich liebe Technik. Vor allem, wenn sie funktioniert wie mein Handy oder meine Canon, oder wie mein geliebtes Auto - von meinem PC kann ich das nicht gerade behaupten, leider, und ich weiß nicht, woran es liegt, dass er regelmäßig abstürzt. Aber neben all den überbordenden visuellen Reizen unserer modernen Lebenswelt müssten viel mehr Fühl- und Riecherlebnisse stattfinden. Und Zeiterlebnisse. Zum Beispiel Langeweile. Erlebte Zeit. Zeit be-greifen, die Uhr anfassen, hören wie sie tickt... meine Güte, manchmal denke ich, ich ticke selber nicht mehr ganz rund... Aber zurück zu meinem ersten Fall: Ich bin keine Frau, aber wenn ich eine Frau wäre oder eventuell homosexuell, so wäre ich wohl auch dem Charme Enricos’ erlegen. Er war nicht billig, eher teuer, hatte Stil. Er war durch und durch Profi im Abzocken an der Frauenfront. Einer, der immer ‚kann’, wenn er ans Geld denkt. Und Frau Park hatte Geld.

      Was anschließend auf dem Zimmer geschah, da hülle ich mich in Schweigen, schließlich nehme ich die Ethik meines Berufes sehr ernst und außerdem bin ich ja auch kein Pornograph.

      Koreaner können sehr hart sein, vor allem gegenüber sich selbst.

      Jedenfalls endete mein erster Client mit