Ein weiteres Beispiel, dass Logik nicht auf die Wirklichkeit des Leben angewandt werden kann: Denken Sie an eine Fußballmannschaft, die schon lange nicht mehr gegen eine andere gewonnen hat: Ist es logisch, dass sie diesmal auch nicht gewinnen wird oder ist es logisch, dass sie diesmal gewinnen wird? Ich sehe beides als gleich logisch an, das Gegenteil ist genau so logisch! Und wem das nicht einleuchtet: Wer beim Roulette 100 mal hintereinander auf die 8 gesetzt und nie gewonnen hat, setzt jetzt wieder auf die 8. Was ist logischer: dass es diesmal die 8 wird oder wieder nicht? Es gibt für beide Meinungen logische Argumente und damit ist klar, dass das konkrete Leben der Logik entzogen ist.
Im Grunde gilt für Schmidt-Salomon der Satz von U. G. Krishnamurti: „Alles, was Sie wissen, befindet sich im Rahmen Ihrer Erfahrung, die aus Denken besteht“ (Erl 64). Ich denke, dass dem Schmidt-Salomon schon zustimmen, aber behaupten wird, dass es keine andere Weise des Welterfassens gibt. Und genau das halte ich für den Knackpunkt: Es gibt eben eine andere, und das will oder kann Schmidt-Salomon nicht akzeptieren. Er braucht es nicht zu akzeptieren, er müsste es nur respektieren. Darauf dringe ich!
Wenn es Schmidt-Salomon für möglich hält, dass sich die Menschheit selbst zerstört und glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, „bis es kracht“ (L 78), dann frage ich mich, nach welcher Logik das eintritt. Geschieht das im Rahmen der Evolution, die doch eigentlich dem Bestangepassten die beste Überlebenschance gibt? Oder gibt es noch ein anderes Prinzip? Und welches? Ein Selbstzerstörungsprinzip, so wie es S. Freud annimmt? Ist nicht der Verstand ein Produkt der Evolution, das dem Menschen eine noch bessere Anpassung ermöglicht als den übrigen Tieren? Und warum zerstört sich damit die Menschheit? Ist der Verstand eine Fehlentwicklung? Eilt der Verstand so voraus, dass ein wichtiger Teil des Menschseins damit nicht Schritt halten kann, wie es seine Formulierung nahe legt: „Wir verhalten uns wie Fünfjährige, denen man die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen hat“ (ebd.). Im Kapitel „Ethik“ möchte ich dazu noch einiges sagen.
Wer hätte vor hundert Jahren je gedacht, dass wenn man das kleinste, was es gibt, das Atom, spaltet, eine solch ungeheuere Energie frei wird? Ist es nicht eigentlich unvorstellbar, dass etwas, das tausendmal winziger ist als ein Stecknadelkopf, Energien enthält, die eine Millionenstadt vernichten können? Es hätte genau so eine Energie nahe Null enthalten sein können. Das wäre genau so logisch, sogar noch logischer gewesen, ganz nach dem Satz von David Hume: Das Gegenteil ist immer genau so logisch.
Leider bin ich zu blöd, um Atomphysik zu verstehen; ich habe es mehrmals versucht. Aber einige grundlegende Dinge habe ich kapiert: Dass, je genauer wir in diese Dimension dessen vordringen, was die Substanz unserer Welt auszumachen scheint, um so mehr weicht sie zurück. Je mehr wir es fassen wollen, umso mehr entzieht es sich. Das, was das Feste, Harte sein sollte, die Basis allen Seins, löst sich auf in Nichts. Ist da der Gedanke nicht naheliegend, dass es vielleicht an der Eingeschränktheit – um nicht zu sagen Be-schränktheit - unseres Bewusstseins liegt, überhaupt Zugang zur Wirklichkeit zu haben? Bewahrheitet sich nicht die Sicht von Kant, dass unser Bewusstsein eben keinen Zugang zur Wirklichkeit, wie sie an sich ist, hat?
Es wäre sehr interessant zu fragen, warum unser Bewusstsein, das sich ja ebenfalls entwickelt hat, eben aus diesen materiellen Bedingungen, dennoch nicht fähig ist, diese Bedingungen, also seine eigenen Bedingungen zu durchschauen.
Und ich habe kapiert, dass der Blick auf die Dinge die Dinge verändert. Dass ich sie also in ihrem Sein an sich gar nicht wahrnehmen kann, weil jedes Berühren, und sei es mit noch so feinen Instrumenten, jedes Betrachten, weil das schon einen Photonenbeschuss darstellt, die Dinge verändert. Dass wir also nie die Dinge, wie sie an sich sind, erfahren, sondern immer nur, wie sie für uns sind. Ist das nicht eine hochinteressante Einschränkung, die uns bescheiden und demütig machen müsste angesichts dessen, wie das eingerichtet ist? Ist es so absurd, eine Intelligenz dahinter anzunehmen, die das alles so arrangiert hat, nur weil manches in der Welt nicht so eingerichtet ist, was wir unter intelligent verstehen und damit nicht unseren Erwartungen entspricht?
Viele gebildete Menschen, eben auch Schmidt-Salomon, haben sich längst damit abgefunden, dass wir nur über die Welt, wie sie uns erscheint, Aussagen machen können. Man gibt sich damit zufrieden, dass wir eben über eine Welt „an sich“ nichts wissen können. Dass diese Welt an sich aber die Basis unserer Welt, der Welt der Erscheinungen ist, schieben wir völlig beiseite. Wir ignorieren sie schlichtweg, weil wir ja doch keinen Zugang zu ihr haben und tun so, als ob es sie gar nicht gäbe.
Genau diese real existierende Welt an sich ist es, die uns zu Gott führen würde, und es gibt einen Zugang zu ihr! Nur dem Denken des rationalen Ichs ist der Zugang zu ihr versperrt. Ist das Ich transzendiert, zeigt sich die Welt an sich, wie sie ist – unverstellt, natürlich, ohne jede Vorstellung von ihr. Damit müsste man sich aber die Mühe machen, sich mit Menschen zu beschäftigen, die dieses Ich transzendiert haben und sie ernst nehmen und begreifen, dass es eine Existenzweise jenseits des Ichs und damit des rationalen Verstandes geben kann – eben wie es in U. G. Krishnamurti sichtbar wird. Aber die Arroganz des rationalen Ichs wird dies zu verhindern wissen! Das rationale Ich kann sich eine Seinsweise jenseits der Ratio ebenso wenig vorstellen wie eine Raupe - wenn sie Bewusstsein hätte - sich vorstellen könnte, dass aus ihr ein Schmetterling wird. Nichts an ihr deutet darauf hin!
So wie sich meine Augen selbst nicht sehen können, kann sich auch das Bewusstsein selbst nicht sehen, und damit ist Bewusstsein ein ganz großes Geheimnis. Wenn ich mir meiner selbst bewusst bin, wer ist dann der, der sich bewusst ist und wessen ist er sich bewusst? Sind das zwei verschiedene? Der gleiche kann es doch nicht sein, wer aber bin ich dann eigentlich?
Ich kann mein eigenes Denken nicht fassen, weil es ja immer das Denken ist, das etwas erfasst. Das Denken kann sich selbst nicht fassen, das heißt aber: Ich kann mich in meinem Ich-Sein nicht erfassen. Wenn ich über mich nachdenke, dann bleibt der, der nachdenkt, immer außerhalb. Ist das nicht phantastisch, bestürzend? Ist das nicht geeignet, darüber zu staunen, wie das ganze eingerichtet ist? Zeigt sich darin vielleicht der göttliche Geist, der selber nicht erfasst werden kann?
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