Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel 1 14
3. Kapitel 2 34
4. Kapitel 3 60
5. Kapitel 4 76
6. Kapitel 5 102
7. Kapitel 6 118
8. Kapitel 7 138
9. Kapitel 8 161
10. Kapitel 9 182
11. Kapitel 10 206
12. Kapitel 11 233
13. Kapitel 12 263
14. Kapitel 13 294
15. Kapitel 14 318
16. Kapitel 15 339
17. Kapitel 16 355
18. Kapitel 17 366
19. Kapitel 18 394
20. Kapitel 19 415
21. Kapitel 20 440
22. Kapitel 21 464
23. Kapitel 22 478
24. Kapitel 23 514
25. Epilog 538
Blutherbst
Ein Roman von Wolfe Eldritch
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Weltengrau Band 2
Seite(n)
137102 Wörter
734878 Zeichen
1. Prolog
Lendir
Das Tageslicht drang seit Jahrhunderten nicht mehr bis zum Waldboden vor. Das fahle, silbrige Licht, das hier zu jeder Stunde des Tages schimmerte, rührte von dem Wald selbst her. Die Helligkeit stammte zum größten Teil von Leuchtmoosen, die unregelmäßig auf den Ästen und entlang der Stämme der Bäume ebenso wuchsen, wie auf vereinzelten Felsen am Boden. Aber auch das glänzende Harz, das die nahezu schwarze Rinde der Silberbuchen wie Erzadern durchzog, leuchtete im Halbdunkel unter dem dichten Blätterdach.
Lendir hatte sich ein wenig abseits seiner Gefährten gegen eines der uralten, fast fünfzig Schritte aufragenden Gewächse gelehnt. Die Magie, welche die Heimat der Silvalum seit einer Ewigkeit durchdrang, floss in diesem Teil des östlichen Waldes tief und ungezügelt. Das war ihm und jenen die ihm folgten eine Hilfe, es brachte aber auch Nachteile mit sich.
Durch die hohe Sättigung an arkaner Energie in Erde, Pflanzen und Luft, gab es hier kein Leben außer den Bäumen selbst. Es gab keine Tiere, nicht einmal Insekten, und der Boden war frei von Unterholz. Als Letztes waren die flachen, mehligen Pilze, die sie bis zum gestrigen Tag gefunden hatten, stetig weniger geworden und dann völlig verschwunden. Er wusste, dass sich dieses Gebiet wie eine magische Todeszone in einem langgezogenen Streifen vor ihnen ausbreitete. Von jetzt an waren sie für längere Zeit auf den mitgebrachten Proviant angewiesen. Die hohe Intensität der Waldmagie war andererseits maßgeblich dafür verantwortlich, dass ihre Jäger sie bislang nicht gefunden hatten. Wenn alles weiterhin nach Plan verlief, würde das auch so bleiben. Wenn.
Der schlanke Silvalum stieß sich leicht von dem silbrig schwarzen Stamm der Buche ab und streckte den sehnigen Körper. Er war hochgewachsen und mehr drahtig als muskulös, wie die meisten Angehörigen des alten Volkes. Er trug den Bogen, den er als Teil von sich ansah wie einen Arm oder ein Bein, an einer Schlaufe auf dem Rücken. Seine Kleidung war schlicht, traditionell aus Pflanzenfasern gewoben und in einem dunklen Grüngrau gefärbt, das sich kaum von der Umgebung abhob. Zwei schlanke Klingen hingen, ebenfalls in schmalen Lederbändern, an einem Kordelgürtel. Die eine war so lang wie ein Unterarm, die andere so kurz wie eine Hand, beide dünn und beidseitig geschliffen. Er trug einen Mantel, dessen Kapuze sein langes, rabenschwarzes Haar fast völlig verbarg.
Lendir Iskariu war mit neunundvierzig Lebensjahren nach den Maßstäben des alten Volkes noch jung. In seinem harten, blassen Gesicht war jedoch nichts mehr von jugendlicher Vitalität zu erkennen. Um die goldenen Augen herum zog sich bereits ein Netz aus Falten, und die Züge wirkten verhärmt wie die eines alten Mannes. Er legte die rechte, unbehandschuhte Hand an die Rinde des Baumes, an dem er eben gelehnt hatte, und schloss die Augen.
Die Lebensenergie der Silberbuche durchfloss seinen Körper wie warmes, langsames Wasser. Lendir war kein Hirte und verfügte somit weder über eine magische Begabung noch über eine entsprechende Ausbildung. Wie alle Silvalum aber war er ein Geschöpf des Waldes und konnte die uralte Lebenskraft, die allgegenwärtige Waldmagie, fühlen. Er spürte die ungesunde Veränderung in diesem Strom, wenn auch nicht so deutlich wie Tasheili, die Hirtin, die ihnen die Flucht erst ermöglich hatte. Er nahm einen Hauch von Fäulnis wahr, obgleich weniger intensiv als bei den Pflanzen, die im Zentrum des Waldreiches wuchsen.
Er ließ die Hand sinken, öffnete die Augen und ging über das feuchte, dunkle Erdreich langsam zurück zu denen, die ihm in die freiwillige Verbannung gefolgt waren. So bezeichnete er selbst zumindest gerne seine Flucht und den Verrat, den er damit begangen hatte. Die Kapuzenmäntel, welche die Flüchtlinge trugen, verbargen sie so gut, dass sie wie kleine Hügel im Waldboden erschienen. In weiten Halbkreisen saßen sie am Boden, erholten sich und schöpften frische Kraft für den nächsten Teil ihrer langen, verzweifelten Reise. Er ging durch die Gruppen und Grüppchen von Menschen, klopfte hier jemandem auf die Schulter, sprach dort einen leisen Gruß.
Fast fünfhundert Silvalum waren ihm hierher gefolgt. So viel Verantwortung mehr, als er jemals angestrebt hatte. Und doch war es die einzige Hoffnung, die seinem Volk und seiner Familie blieb, davon war er nach wie vor überzeugt. Er mochte an den eigenen Führungsqualitäten zweifeln, jedoch keine Sekunde lang an der Notwendigkeit der Sache an sich.
Schließlich gelangte er zu einer Frau, die ein wenig abseits und allein im Zentrum der Silvalum saß. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und stützte die Hände auf die Knie, ihr Atem ging langsam und entspannt. Obwohl sie doppelt so alt war wie