Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Wibben
Издательство: Bookwire
Серия: Anna Q
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750226401
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hastet dorthin, wird jedoch vom Blöken eines Schafes empfangen. Er wischt sich über die Augen und versucht, vernünftig zu bleiben.

      »Mutter ist seit Jahren tot. Sie wurde in der Universitätsstadt begraben, da kann sie unmöglich hier herumlaufen.« Diese Gedanken sagt sich Siegfried immer wieder. Er schüttelt das Gefühl ab, ihr Geist könne ihm einen Streich spielen. »Das ist absolut unmöglich!«

      Er vermutete bisher, der Steinkreis sei ein besonderer Ort. Er meinte sogar, bei jedem neuen Besuch, starke Kraftlinien zu spüren. Sie müssen von magischen Kräften stammen, die ihm bei der Rückkehr in seine Welt helfen werden. Doch bisher waren alle Versuche vergeblich. Ob das doch an den fehlenden Haselbüschen liegt?

      Der Cythraul beschließt nach unzähligen vergeblichen Versuchen, auf dieser Insel einen Weg, eine Art Übergangsportal zwischen den Welten entstehen zu lassen. Dabei werden die Notizen Iain Ravens über die Schaffung des Zauberwaldes nützlich sein. Wenn dem Schulleiter eines Internats gelungen ist, etwas derart Verzwicktes zu verwirklichen, muss es ihm doch ebenso möglich sein. Dann müsste er zukünftig nicht erst nach Haselbüschen oder anderen magischen Orten suchen.

      Seid Greif hat auch schon genaue Vorstellungen davon, wie dieser erste Stein zur Erreichung der Herrschaft in zwei Welten aussehen soll. Es jedoch in der Nähe eines der Steinkreise zu errichten, wäre nicht klug. Sie gelten als mystische Stätten und werden sogar hier in der Anderswelt von Menschen und Elfen besucht. Sie könnten versucht sein, das Portal zu verändern oder es gar zu zerstören. Er weiß, dass gerade Menschen manchmal derartige Dinge tun, ohne einen Grund dafür zu haben. Das hat er selbst schon unzählige Mal getan! Nein, der Aufstellungsort muss für die Allgemeinheit unzugänglich sein!

      Sein Blick schweift suchend umher, als der Regen plötzlich aufhört. Die Sonne bricht durch die vorhin noch geschlossene Wolkendecke und erhellt einen Berg. Von einer Stelle in seiner zerklüfteten Flanke wird das Licht reflektiert und weckt das Interesse des Cythrauls. Er nutzt den magischen Sprung und betrachtet den Ort aus der Nähe. Was er sieht, gefällt ihm derart gut, dass er sich den Platz genauestens einprägt. Dadurch wird es ihm möglich, jederzeit und fast im Schlaf, die Stelle wiederzufinden. Das ist wichtig, denn hier will er das Übergangsportals errichten. Sofort macht er sich mit Hilfe der Kladde Iain Ravens ans Werk.

      Er murmelt Zaubersprüche, die die Luft knistern lassen. Blitze zucken über den grauen Himmel und Donner grollen. Doch all das stört den Zauberer nicht. Er fährt konzentriert mit den Beschwörungen fort. Wenn sein Werk geschafft und die gewünschte Funktion aktiviert ist, will er sofort zurück in seine Welt wechseln. Auf derselben Stelle der gleichen Insel wird er ein identisches Portal errichten, um den Weg auch in Gegenrichtung nutzen zu können. Siegfried arbeitet konzentriert, lässt sich weder vom wieder einsetzenden Regen noch von zunehmender Dunkelheit stören. Um Mitternacht unterbricht er die Arbeit, um einige Stunden auszuruhen.

      »Wenn mir ein Fehler unterläuft, bleibe ich womöglich zwischen den Welten hängen. Ich muss hellwach sein, wenn ich die nächsten Zauberformeln nutze!« Es widerstrebt ihm zwar, die Arbeit zu unterbrechen, aber sicher ist sicher! Um sich von dem großen Werk abzulenken, nimmt er Kontakt zu einem seiner Helfer auf.

      »Tan Heliwr. Ich werde endlich den Übergang in meine Heimat schaffen. Ein Wechsel zwischen den Welten ist vermutlich schon bald möglich. Dann werdet ihr mir bei der Realisierung eines neuen Plans helfen. Informiere alle Drachen, dass sie sich bereithalten herbeizueilen, sobald ich sie rufe!«

      »Seid Greif, mein Herr und Meister! Ich folge eurem Befehl! Ihr seid schon so gut wie sicher der Herrscher beider Bereiche.« Die Stimme des Feuerdrachen trieft vor Unterwürfigkeit. Davon lässt sich Siegfried nicht täuschen. Er weiß, was er an dem Verbündeten hat, aber auch, wie gefährlich ihm diese Kreatur werden kann, wenn er einen Moment nicht aufpasst.

      »Ganz so weit sind wir noch nicht, aber bald.«

      Schneeflocken und Hagelkörner erscheinen vor seinem geistigen Auge, wirbeln durcheinander und türmen sich zu immer höheren Gebilden auf.

      Eine Handvoll Elfenkinder tobt jauchzend aus dem Schulgebäude, das etwas abseits von den Wohnhäusern im Elfenwald steht. Die mahnenden, aber nur halbherzigen Rufe der Lehrerin werden in dem lauten und ausgelassenen Lachen von den Kindern nicht gehört oder einfach ignoriert. Obwohl nur wenig Schnee auf dem Boden liegt, fliegen bereits die ersten Schneebälle zwischen den sich schnell gebildeten zwei Gruppen hin und her. Die Augen der sich flink bewegenden Schüler glänzen. Sie können sich nicht erinnern, überhaupt schon einmal Schnee gesehen zu haben, trotzdem wissen sie dies überaus seltene Geschenk der Natur für sich zu nutzen.

      Beryl ist für die üblichen Verhältnisse der Elfen sehr jung, um die Aufgabe einer Ausbilderin und Lehrerin der Kinder zu übernehmen. Sie hat schwarze, lange Haare, die sie geflochten und um den Kopf gelegt trägt. Das Blau von Beryls Augen ist anders als bei den meisten ihrer Artgenossen nicht tief dunkel, sondern wasserhell. Sie ist eine von den Kindern geachtete Autorität. Der unerwartete Schnee hat nur kurzfristig, dafür umso heftiger, die sonst bei allen Elfen ausgeprägte Selbstbeherrschung außer Kraft gesetzt.

      Beryl ist selten unsicher, wie sie sich verhalten soll, sie urteilt und reagiert schnell. Sie lässt die Schüler sich austoben, dann steht die Lehrerin mit wenigen Schritten zwischen den Fronten der sich mit Schnee bekämpfenden Parteien und hebt energisch beide Arme. Sie fordert mit ruhiger Stimme von den Anführern der Gruppen, dass unter deren Aufsicht die Kinder in die Schulräume zurückkehren und sich dort aufwärmen sollen.

      »Ich will nur kurz zu unserer Königin. Ich muss ihr dringend eine Beobachtung mitteilen. Ich bin gleich zurück und verlasse mich auf euch, dass ihr bis dahin keinen Unsinn macht!« Einige Schüler ziehen maulige Schnuten, doch ohne laut zu protestieren. Wohingegen die Kleineren unter ihnen froh aufblicken. Deren Kleidung zeugt mit mehreren feuchten Stellen davon, dass sie von den Schneebällen der Gegner oft getroffen wurden. Obwohl es deren Trägern dementsprechend kalt sein muss, hätten sie noch nicht aufgegeben, um nicht als Weichlinge zu gelten. Die Hände aller sind mittlerweile blass-weiß und werden an einzelnen Stellen dunkelrot, somit ist das Aufwärmen in den Schulräumen inzwischen dringend angezeigt. Die Anführer geben kurze Befehle, dann setzen sich die zwei Gruppen in Bewegung. Beryl nickt zufrieden, doch die dunkle Wolke auf ihrer Stirn verschwindet dadurch nicht. Sie betrachtet verwundert die Schneedecke, die inzwischen eine handbreit hoch liegt. Die Luft flirrt bläulich, dann ist die Lehrerin verschwunden.

      Zur gleichen Zeit im Internat Cinnt caisteal, das von den Schülern CC abgekürzt wird. Seit zwei Wochen türmen sich ungewöhnlich große Schneemassen in dieser Region des Landes. Das drei Tage dauernde Schneetreiben führte zu Schneeverwehungen auf allen Straßen, somit auch auf der vom nächsten Ort zur Schule. Die Verbindung dorthin konnte erst vor zwei Tagen wiederhergestellt werden. Im Park sind die Wege schneller geräumt worden. Der stets grummelige Hausmeister hätte das nicht allein schaffen können, weshalb ihm in den ersten Tagen nach dem Schneefall während der Sportstunden Schüler der oberen Jahrgänge mitgeholfen haben.

      Anna schaut aus ihrem Fenster auf das verzauberte Parkgelände. Dicke Schneemützen bedecken die meisten Bäume, aber ebenso Säulen, Pfosten und sogar die Spitzen der Stäbe im Eisengitter, das das Schulgelände umschließt. In der Schneedecke sind Spuren unterschiedlicher Tiere zu erkennen. Sie stammen vornehmlich von kleineren Vögeln, aber auch von Mäusen, die sich auf der Suche nach Nahrung der Gefahr aussetzen, von Greifvögeln geschnappt zu werden. Annas Blick sucht den Haselbusch, unter dem sie im Sommer erstmalig mit Ainoa ins Andersland gereist ist. Dort laufen sternförmig viele Spuren zusammen.

      »Es ist kaum zu glauben, aber das war bereits im letzten Jahr!« Sie erinnert sich noch gut an die aufregenden Ereignisse, als sie dort zusammen nach der Tochter der Elfenkönigin suchten und sie schließlich aus dem Nebelwald befreien konnten. Sofort denkt sie auch an das zweite Mal, als sie im Herbst in diesem verzauberten Wald nach Iain Raven, den Schulleiter, suchten. Sie verpassten ihn und wären beinahe von einem Bergtroll gefressen oder von Wölfen geschnappt worden. »Ich bin sicher, die grauen Raubtiere wurden von