Ich rief sie an, um mehr zu erfahren. „Alles liegt hier unter einer Schneeglocke“, erzählte sie. „Man könnte meinen, man sei selbst in einer Schneekugel, die wir als Kinder so liebten, gefangen.“ Alles sei still zur Heiligen Nacht, nur bis zur Kirche käme sie nicht, weil Straßen und Bürgersteige einfach mit zu viel Schnee bestückt waren. So fiel also Heiligabend im Kreis von Freunden in diesem Jahr aus.
Nachmittags gehe ich wieder zu den Hunden runter. Es hatte wieder geschneit und es herrschte ein leichter Wind. Ich wollte sehen, ob noch alles in Ordnung war.
Aber die Hundehütte war wieder voller Schnee. Diesmal kann ich sehen, wie der Schnee in die Hundehütte eindringen konnte. Er kommt durch eine kleine Ritze im Dach, wo ein Stück Wellpappe fehlt. Das Loch ist direkt über dem Schlafplatz der beiden Hunde.
Ich suche noch weitere Abdeckfolie und finde nach kurzer Zeit zwei kleine alte Planen, die groß genug sein müssten. Ich habe noch Absperrband von einer öffentlichen Veranstaltung, die ich zuvor organisiert habe und hole es.
Ich bringe eine dieser Planen, offensichtlich die transparente Folie eines alten Tomatenhäuschens, direkt am Eingang an, die andere Folie montiere ich mit Fahrradgummis direkt oberhalb des Schlafplatzes. So läuft vielleicht noch ein bisschen Schnee herein, kann aber die Couch nicht mehr erreichen. Es besteht die Chance, dass der Schlafplatz so trocken bleibt.
Die Hunde schauen mich mit angelegten Ohren etwas merkwürdig von der Seite an. Das seltsame Geräusch der sich im Wind blähenden Plane ist ihnen nicht ganz geheuer. Ich erzähle den beiden einfach, dass sie wählen können: Entweder das Geräusch ertragen, oder eine durch und durch nasse Schlafcouch. Ruhig schauen sie mir bei der weiteren Arbeit zu.
Als ich fertig bin, bekommen meine beiden Lieblinge eine kleine Knabberstange. Ich setze mich auf die Couch und breche das Leckerchen in kleine Stückchen. Ein Hund setzt sich rechts, der andere links neben mich. In kleinen Teilen bekommen sie abwechselnd die Leckerchen und können sich so an das ungewohnte Geräusch über ihnen gewöhnen. Dabei vergessen sie alles und schon bald ist das Geräusch weniger schlimm.
Ich gehe wieder nach oben in meine Wohnung, denn es fängt schon wieder an zu schneien. Dicke Schneeflocken fallen die nächsten Stunden auf die Erde nieder, machen die ganze Welt um mich herum weiß. Es ist still, kein Mensch und auch kein Auto auf den Straßen. Die Zweige der Bäume und Sträucher hängen aufgrund der Schneelasten tief. Ich kann aus meinem Fenster heraus nicht mehr erkennen, wo Straße ist und wo der Bürgersteig.
Ich höre meine Nachbarn unten Schnee schippen und gehe ebenfalls herunter. Erst jetzt kann ich das ganze Ausmaß erkennen. Wir sind auf dem Hof eingeschneit. Die lange Auffahrt, die die Straße mit unserem Haus verbindet, ist zu. Zu Fuß haben wir auch keine Chance, bis zur Straße, die teilweise geräumt zu sein scheint, zu kommen.
Nachbar Fridolin, der auch gelegentlich auf dem alten Hof arbeitet, kommt gerade mit dem Bagger vom Bauern gegenüber unsere Auffahrt langsam und schwerfällig hochgefahren. Mit der großen Schippe an der Vorderseite räumt er die Schneemassen von der Auffahrt nach und nach auf die angrenzende Kuhwiese.
Er schippt damit erst mal meine kleine Zuwegung wieder zu, aber was soll‘s, das ist schnell erledigt. So jedenfalls kann ich mit den Hunden die Einfahrt wieder runter gehen. Sonst wäre jeder noch so kleine Spaziergang nicht möglich gewesen. Die kleine, alte Sina hat es nicht mehr so mit dem Laufen. Die alte Hundedame hat Hüftprobleme und bewegt sich nur noch gemächlich.
Ich gehe mit den Hunden ein bisschen die frisch gekehrte Auffahrt runter und wieder rauf. Zurück in der Hundehütte bestaune ich mein Werk. Nicht schön, aber selten. Und: Es hat gehalten. Nur wenig Schnee hat den Weg noch in die Hundehütte gefunden. Ich habe die Hunde vor dem Einschneien bewahrt.
Ich seufze tief und denke mir, was für ein Hundeleben das doch ist, während die beiden ihre Streicheleinheiten von mir bekommen. Sie haben kein feudales Leben und trotzdem sind die beiden so treue Seelen, wie so mancher Mensch es nicht zustande bringen kann. Sie sind zufrieden mit dem, was sie bekommen. Dankbar für jede Art von Zuwendung. Dankbar für das Dasein, das eben so ist wie es gerade ist.
In diesem Moment holen mich die Kirchenglocken unserer kleinen Gemeindekirche in die Wirklichkeit zurück. Es werden nur Sekunden später immer mehr, andere Glocken in anderen Stadtteilen läuten ebenfalls. Glockenläuten, das auch an diesem Heiligabend die Menschen in das Haus Gottes ruft. In der Stille der heute schneeüberdeckten Welt scheinen sie viel lauter und eindringlicher zu sein als sonst.
Ich werde diesen Abend allein verbringen. Aber glücklich. Früher hatte ich Angst davor, am Heiligabend allein zu sein. Es war so üblich gewesen, im Kreise der Familie zusammen zu sein, etwas Leckeres zu essen und sich dann gegenseitig zu beschenken.
Diesen Zauber aus Kindertagen gab es schon lange nicht mehr, Weihnachten hatte seine einstige Bedeutung für mich schon lange verloren. Streit mit Geschwistern beim Tod der Eltern hatten Weihnachten zu einer Pflichtveranstaltung werden lassen, der kein Herz mehr inne wohnte. Nur das Zusammensein mit Freunden und deren Kindern, hatte mir ein bisschen der einstigen Freude und Feierlichkeit erhalten können.
Heute aber habe ich mich selbst glücklich gemacht. Ich hatte mir selbst das größte Geschenk meines Lebens gegeben. Ich habe dem, was mir mit das liebste auf der Welt ist, geholfen den Augenblick, den heutigen Tag ein kleines bisschen angenehmer und wohliger zu gestalten.
Ich setzte mich auf die alte Hundecouch, sofort kam der eine Hunde rechts neben mich und der andere links. Beide kuschelten sich fest an mich.
Es muss wahrlich ein Bild für die Götter gewesen sein, wie wir drei mit einer wehenden Plastikplane über uns an diesem Heiligabend beim Glockenläuten auf der zerfledderten Hundecouch saßen und miteinander kuschelten.
Ich beugte mich zu den beiden Hunden runter. Der kleine Benji legte sein Köpfchen in meine Hand und Sine leckte die andere, Zeichen ihrer Zuneigung und Liebe. Und ein Zeichen ihrer Dankbarkeit. Und damit gaben Sie mir das größte Geschenk, das man sich nur vorstellen kann.
Ich hörte den Glocken zu und genoss den Moment still mit den beiden Hunden im Arm. Tränen liefen mir die Wangen hinunter, ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Ich konnte und wollte sie nicht aufhalten. Es waren keine Tränen der Trauer. Es waren Tränen des unendlichen Glücks.
Ob wohl den Menschen, die ihre riesigen unbeseelten Geschenke gerade auspackten auch solche Freudentränen die Wangen herunter liefen?
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