Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke. Selma Lagerlöf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750200
Скачать книгу
der Leuchtturmwärter auf der großen Karlsinsel ein Stück Baumrinde, das unter die Tür geschoben und worauf mit schiefen, unbeholfenen Buchstaben gekratzt war: »Die Füchse auf der kleinen Karlsinsel sind in das Teufelsloch gefallen. Sieh dich nach ihnen um!«

      Und das tat der Leuchtturmwärter.

      Sonnabend, den 9. April.

      Es wurde eine stille, klare Nacht. Die wilden Gänse machten sich nichts daraus, Unterschlupf in einer der Grotten zu suchen, sie standen und schliefen oben auf der Klippenfläche, und der Junge hatte sich in das kurze, trockene Gras neben die Gänse gelegt.

      Es war heller Mondschein in jener Nacht, so hell, daß es dem Jungen schwer wurde, einzuschlafen. Er lag da und dachte darüber nach, wie lange er von Hause fort gewesen war, und er rechnete aus, daß drei Wochen verflossen waren, seit die Reise begann. Gleichzeitig fiel ihm ein, daß heute der Abend vor Ostern war.

      »Über Nacht kommen also die Hexen von Blaakulla heim,« dachte er und lachte im stillen. Denn vor Kobolden und Nixen war er ein wenig bange, aber an Hexen und Zauberer glaubte er gar nicht.

      Wären an jenem Abend Hexen in der Luft gewesen, hätte er sie sicher sehen müssen. Der Himmel war so hell und klar, daß auch nicht der kleinste schwarze Punkt sich in der Luft bewegen konnte, ohne daß er ihn entdeckte.

      Während er so dalag, die Nase in die Luft, und über das alles nachdachte, gewahrte er etwas Hübsches. Die Mondscheibe stand ganz und rund hoch oben, und davor kam ein großer Vogel geflogen. Er flog nicht an dem Mond vorbei, aber es sah so aus, als ob er aus ihm herausgeflogen käme. Gegen den hellen Himmel nahm sich der Vogel kohlschwarz aus, und die Flügel reichten von dem einen Rande der Mondscheibe bis zu der andern. Er hielt die Richtung so genau inne, daß es für den Jungen so aussah, als sei er auf die Mondscheibe gezeichnet. Der Körper war klein, der Hals lang und dünn, und ein Paar lange, dünne Beine hatte er nach hinten ausgestreckt. Der Junge sah sofort, daß es ein Storch sein müsse.

      Einen Augenblick später ließ sich Herr Langbein, der Storch, neben ihm nieder. Er beugte sich über den Jungen und stieß ihn mit dem Schnabel, um ihn wach zu bekommen.

      Der Junge richtete sich sofort auf. »Ich schlafe nicht, Herr Langbein,« sagte er. »Wie kommt es, daß Sie mitten in der Nacht ausgeflogen sind? Und wie sieht es auf Glimminghaus aus? Wollen Sie mit Mutter Akka sprechen?«

      »Es ist zu hell, um über Nacht zu schlafen,« antwortete Herr Langbein, »Deswegen beschloß ich, hierher nach der Karlsinsel hinüber zu reisen und dich, mein Freund Däumling, aufzusuchen. Von einer Fischmöwe erfuhr ich, daß du über Nacht hier seiest. Ich bin noch nicht nach Glimminghaus gezogen; ich wohne noch in Pommern.«

      Der Junge freute sich ungeheuer, daß Herr Langbein gekommen war, um ihn zu sehen. Sie redeten über alles mögliche miteinander wie alte Freunde. Schließlich fragte der Storch, ob der Junge nicht Lust habe, einen kleinen Ritt in dem schönen Mondschein zu machen.

      Ja, das wollte der Junge für sein Leben gern, wenn der Storch nur dafür sorgen wollte, daß er vor Sonnenaufgang zu den wilden Gänsen zurückkam. Das versprach der Storch, und dann ging es von dannen.

      Herr Langbein flog wieder gerade nach dem Mond hinauf. Sie stiegen und stiegen, das Meer sank tief hinab, aber der Flug ging so wunderbar leicht, es war fast, als lägen sie still in der Luft.

      Der Junge fand, die Reise habe eine unnatürlich kurze Zeit gewährt, als sie sich wieder zu der Erde hinabsenkten.

      Sie landeten an einem einsamen Strande, der mit feinem, weißem Sand bedeckt war. An der Küste entlang lief eine Reihe von Flugsanddünen mit Riedgras auf dem Gipfel. Sonderlich hoch waren sie nicht, aber sie hinderten doch den Jungen, das Land zu übersehen.

      Herr Langbein stellte sich auf eine Sandbank, zog das eine Bein unter sich in die Höhe und bog den Hals zurück, um den Kopf unter den Schnabel zu stecken. »Jetzt kannst du hier am Strande ein wenig umherspazieren,« sagte er zu Däumling, »während ich mich ausruhe. Gehe aber nicht weiter weg, als daß du dich zu mir zurückfinden kannst.«

      Der Junge wollte nun erst auf eine der Dünen hinaufklettern, um zu sehen, wie es dahinter aussah. Als er aber ein paar Schritte gegangen war, hörte er etwas gegen seinen Holzschuh klirren. Er beugte sich hinab und sah, daß im Sande eine kleine Kupfermünze lag, die so von Grünspan verzehrt war, daß sie fast durchsichtig erschien. Sie war so klein und schlecht, daß er nicht einmal Lust hatte, sie aufzunehmen, sondern sie mit dem Fuße wegstieß.

      Als er sich aber wieder aufrichtete, erschrak er, denn kaum zwei Schritt von ihm ragte eine hohe Mauer mit einem Torweg mit Türmen darüber auf.

      Eben noch, als sich der Junge niederbeugte, hatte das Meer dortgelegen, blank und glitzernd, und jetzt war es durch eine lange Mauer mit Zinnen und Türmen seinen Blicken entzogen. Und gerade vor ihm, wo eben noch ein Haufen Tang gelegen, gähnte nun das große Tor.

      Der Junge begriff, daß dies eine Art Spuk sein müsse. Aber davor brauchte er ja nicht bange zu werden, fand er. Da waren keine Kobolde oder anderer Teufelskram von der Art, dem in der Nacht zu begegnen er sich immer scheute. Die Mauern wie auch der Torweg waren so prächtig, daß er große Lust empfand, zu sehen, was dahinter sein könne. »Ich muß wirklich untersuchen, wie dies hier zusammenhängt,« dachte er und begab sich in das Tor hinein.

      In der tiefen Torwölbung saß die Wachtmannschaft in bunten Gewändern mit großen Puffärmeln und mit langschaftigen Hellebarden an der Seite; sie spielten Würfel und dachten nur an das Spiel und beachteten den Jungen nicht, der an ihnen vorübereilte.

      Jenseits des Tors kam er auf einen freien, mit großen, glatten steinernen Fliesen belegten Platz. Ringsum standen hohe, prächtige Häuser, und lange, schmale Straßen gingen von dort aus.

      Auf diesem Platz wimmelte es von Menschen. Die Männer trugen lange, pelzgefütterte Mäntel über kostbaren Unterkleidern aus Seide, Baretts mit Straußenfedern saßen ihnen schief auf dem Kopf und über der Brust hingen breite goldene Ketten. Sie waren alle so prachtvoll gekleidet, als könnten sie Könige sein.

      Die Frauen hatten hohe, spitze Hauben auf dem Kopfe und lange Kleider mit engen Ärmeln. Auch sie waren prächtig gekleidet, jedoch längst nicht so kostbar wie die Männer.

      Es war ja ganz so wie in dem alten Märchenbuch, das seine Mutter zuweilen aus der Truhe nahm und ihm zeigte. Der Junge wollte seinen Augen nicht trauen.

      Aber noch merkwürdiger als die Männer und die Frauen, war die Stadt selber. Jedes einzelne Haus war so gebaut, daß es den Giebel nach der Straße kehrte, und diese Giebel waren so verziert, daß man glauben sollte, sie wollten miteinander wetteifern, welcher von ihnen der feinste sei.

      Wer auf einmal so viel Neues zu sehen hat, kann es nicht alles in seinem Gedächtnis bewahren. Aber der Junge konnte sich trotzdem später erinnern, daß er zackige Giebel gesehen hatte, wo auf jedem Absatz Bilder von Christus und seinen Aposteln standen, Giebel, wo eine Nische neben der andern lag, bis zur Spitze hinauf, alle mit geschnitzten Figuren darin, Giebel, die mit bunten Glasstücken eingelegt waren, und Giebel aus weißem und schwarzem Marmor, gestreift und gewürfelt.

      Während der Junge umherging und dies alles bewunderte, befiel ihn auf einmal eine fürchterliche Eile. »So was hab' ich mein Lebtag nicht gesehen, und so was bekomme ich auch nie wieder zu sehen,« sagte er zu sich selber. Und dann begann er, die ganze Stadt zu durchlaufen, Straße auf und Straße ab.

      Die Straßen waren eng, aber nicht dunkel und leer wie in den Städten, durch die er auf seiner Reise gekommen war. Überall wimmelte es von Menschen. Alte Frauen saßen vor ihren Türen und spannen, ohne Spinnrocken, nur mit einer Spindel. Die Läden der Kaufleute waren wie Marktbuden nach der Straße zu offen. Alle Handwerker standen mit ihrer Arbeit unter offenem Himmel. An einer Stelle wurde Tran gekocht, an einer andern Stelle wurden Häute gegerbt, an einer dritten Stelle befand sich eine lange Reiferbahn.

      Hätte der Junge nur Zeit gehabt, so hätte er alle möglichen Handwerke erlernen können. Hier sah er, wie der