»So eine Runde hat er jede Nacht gemacht, seitdem ich hierher übergesiedelt bin,« sagte sie. »Sein Herr hat es ihm befohlen. Er läuft hier herum und bewacht mich, er muß horchen, ob ich einen Liebhaber bei mir habe.«
Lotta entgegnete kein Wort. Sie gab allmählich jeden Widerstand auf.
»Du meinst, Eduard werde sich ändern, Lotta. Da siehst du es! Traut er mir etwa jetzt mehr als vorher? Durch seinen Knecht läßt er mich ausspionieren.«
Sie sprach mit erhobener Stimme. Das Mißtrauen ihres Mannes kränkte sie in tiefster Seele.
»Hiernach können sich die beiden nie mehr aussöhnen,« dachte Lotta. »Ich glaube, er hat ihre Liebe getötet. Und dann ist es ja nur gut, wenn sie geht.«
Das war der Grund, weshalb Lotta Hedman nicht länger Widerstand leistete: Die plötzliche Überzeugung, daß Sigruns Liebe erloschen war oder wenigstens am Erlöschen sei, obgleich sie sich das selbst nicht eingestehen wollte, ja, es vielleicht nicht einmal wußte.
Sie hörte auf, Sigrun zu widersprechen. Sie stimmte ihr zwar in keiner Weise bei, aber sie hörte auf, ihr zu widersprechen.
Danach verging eine geraume Zeit unter eiligen Vorbereitungen. Sigrun legte ihre Ringe ab und zog ein Kleid von Lotta an. Hierauf packte sie etwas Wäsche und ihre siebenhundert Kronen in eine kleine Ledertasche, die auch Lotta Hedman gehörte. Und ebenso mußte ihr diese einen Mantel und ein Kopftuch geben. Sämtliche Kleider von Sigrun mußten dableiben. Als sie fast fertig war, blieb sie vor Lotta stehen:
»Du verstehst doch, Lotta, daß Gott das alles so gefügt hat,« sagte sie. »Sei also nicht ängstlich, weder für dich noch für mich!«
Sigruns Mut und Geistesgegenwart waren in ihrer Art bewunderungswürdig. Sie zögerte keinen Augenblick und verriet auch nicht die geringste Angst.
Aber als alles bereit war, hatte sie doch noch einen schweren Augenblick.
»Ich verlasse vieles, was mir sehr lieb ist,« sagte sie unter strömenden Tränen. Und der ganze Ernst des für alle Zeiten entscheidenden Schrittes, den sie jetzt tat, schien ihr Plötzlich aufzugehen.
»Jetzt werde ich das kleine Bild des Stenbroträsker Pfarrhofes, das mir ein so großer Trost gewesen ist, nie mehr sehen. Und auch den kleinen Anhänger mit dem Bild meines Töchterchens wage ich nicht mitzunehmen.«
»Ach, das könntest du jedenfalls mitnehmen,« warf Lotta ein. »Aber du brauchst ja nicht fortzugehen,« fügte sie hinzu.
»Und, Lotta, du weißt, eine von den Kühen hab' ich so sehr gern. Gib ihr ein wenig gutes Futter, wenn du einmal Gelegenheit dazu hast!«
Mit diesen Worten ging Sigrun auf die Tür zu.
»Vergiß nicht, Lotta, meine Christrose auf Eduards Schreibtisch zu stellen, sobald sie aufblüht!«
Hierauf küßte sie Lotta Hedman zum ersten- und einzigenmal und machte sich dann auf den Weg.
* * *
Sigrun war noch kaum eine Viertelstunde gegangen, als Lotta Hedman abermals Schritte vor dem Brauhaus hörte. Diesmal waren es vorsichtige leichte Schritte, nicht das schwerfällige Trampen des Knechts, und Lotta dachte sofort: »Ach, welches Glück! Gott sei Lob und Dank! Sigrun kehrt zurück.«
Aber kaum hatte sie den Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet, als sie auch schon einem fremden Manne gegenüberstand. Man kann sich denken, wie sehr die Ärmste erschrak. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch niemals ein so schlechtes Gewissen gehabt.
»Ach, Lotta, Lotta!« dachte sie. »Nun fängt es schon an.«
Der Mann trug einen großen Schlapphut und war schlecht gekleidet. Es war irgendein Landstreicher, das sah Lotta sofort.
»Kommen Sie ums Himmels willen nicht hier herein!« warnte sie, indem sie ihm in den Weg trat. »Wir haben die schwarzen Blattern auf dem Hof. Dort drinnen in der Kammer liegt eine Tote.«
Aber der Mann lief nicht davon, wie Lotta erwartet hatte. Er stand noch immer unter der Tür und schaute ins Brauhaus hinein.
Und ehe Lotta erraten konnte, was er im Sinne hatte, war er schon mit ein paar Schritten an der Kammertür und erblickte die Tote.
Allein Lotta ließ ihm nicht viel Zeit, lange Beobachtungen anzustellen. Sie lief ihm nach, legte die Arme um ihn, riß ihn zurück ins Brauhaus und schloß die Kammertür ab.
Der Mann leistete keinen Widerstand. Er dachte gewiß, sie wolle ihn vor der Ansteckung schützen.
»O, es ist nicht gefährlich für mich,« sagte er. »Ich bin doch schon angesteckt, wenn ich überhaupt angesteckt werden soll. Die dort liegt, ist nämlich meine Frau. Vor ein paar Tagen ist sie krank geworden, und gestern ist sie mir im Fieberwahn davongelaufen.«
Der Mann sprach die Wahrheit, und Sigruns ganzer Plan war verfehlt. Lotta war das vollkommen klar, und sie meinte, das Dach stürze über ihr zusammen.
»Wer seid Ihr denn?« fragte sie.
»Im Pfarrhaus hier bin ich nicht ganz unbekannt,« sagte der Mann gelassen und mit gedämpfter Stimme. »Ich bin Scherenschleifer und hab' Euch vor etwa acht Tagen Eure Scheren und Messer geschliffen. Mit Pferd und Schleiferkarren und Schleifstein zieh' ich von Hof zu Hof und habe kein Krankenzimmer zu meiner Verfügung. Als Rut krank wurde, hatte ich die Absicht, sie in ein Krankenhaus zu bringen, aber dann ist mir das arme Ding davongelaufen. Den ganzen Tag bin ich umhergefahren und habe sie gesucht. Ich möchte wohl wissen, wie sie gerade hierher geraten ist?«
Nun stürzte nicht nur das Dach über Lotta Hedman ein, sondern auch die Wände mitsamt dem Boden, auf dem sie stand. Aber trotz ihrer Verwirrung machte sie doch einen Versuch, Sigrun zu retten.
»Aber die dort drinnen liegt, ist ja gar nicht Eure Frau,« sagte sie. »Es ist meine liebe Herrin.«
»Wie, ist die schöne Pfarrerin tot?« fragte der Scherenschleifer. »Und hat sie hier im Brauhaus krank liegen und sterben müssen?«
»Das hat sie selbst so haben wollen,« erklärte Lotta Hedman.
»Dann muß ich um Entschuldigung bitten, weil ich mich hier eingedrängt habe,« sagte der Mann. Seine eine Schulter hielt er in die Höhe gezogen, und das trug dazu bei, ihm ein mißvergnügtes und etwas säuerliches Aussehen zu geben. Lotta erinnerte sich sehr gut, daß er sich bei seinem letzten Besuch im Pfarrhaus laut und unhöflich aufgeführt hatte. Jetzt, angesichts von Tod und Krankheit, war er ruhig und bescheiden.
Zu Lottas großer Freude ging er wirklich dem Ausgang zu, hielt aber plötzlich jäh an. Mitten in seinem Weg stand ein Paar nasse, schneebedeckte Schuhe.
»Aber das da sind doch Ruts Schuhe,« sagte er. »Was soll das heißen?«
Jetzt war Lotta Hedmans Erfindungsgabe zu Ende, und sie wußte sich keinen anderen Rat mehr, als die Wahrheit zu sagen.
* * *
Sigrun war an der Kirche und dem Kirchhof von Algeröd vorbeigekommen und befand sich eben auf der Brücke über das Flüßchen, als sie Lotta Hedmans Stimme hinter sich rufen hörte.
Gleich darauf hielt ein Schlitten neben ihr, Lotta stieg heraus und erklärte ihr, was geschehen war. Zugleich berichtete sie, der Scherenschleifer habe versprochen, zu schweigen.
Der Scherenschleifer saß auf dem Schlittenrand, sah unwirsch und sauer drein, sprach aber ebenso ruhig und gelassen wie vorher.
»Die Sache ist die,« sagte er, »ich kann mich nicht darein finden, daß Rut nicht unter ihrem rechten Namen ins Grab kommen soll. Sonst aber bleibe ich bei dem, was ich versprochen habe. Die Frau Pfarrer soll sich in meinen Schlitten setzen, dann fahre ich sie ins Pfarrhaus zurück, niemand soll das geringste erfahren. Ich werde schweigen wie das Grab.«
Sigrun trat