»Warum gibst du sie nicht in die Werkstatt?« Wenn du das nächste Mal zu Hause bist, ist sie fertig und du kannst eine Runde drehen.«
Michael wandte sich zu Rudolf um und lächelte. »Ich könnte sie nicht fahren, wenn ich sie nicht selbst repariert hätte.«
»Versteh ich nicht.« Rudolf war an Michaels Seite getreten. »Wenn ich könnte, würde ich fahren, aber ich kann ja nicht, ich kann ja gar nichts.« Rudolf hielt seinen Armstumpf vorgestreckt. Wie immer hatte er den linken Ärmel seiner Jacke aufgerollt.
Michael sah zu ihm auf. »Was ist los, was willst du?«
»Ach, gar nichts, ich dachte nur, wenn die Maschine wieder läuft, könntest du mich mitnehmen, auf dem Sozius.«
»Na bitte, so hört sich das doch schon besser an. Mensch, Alter, grüß dich.« Michael war aufgestanden und umarmte Rudolf.«
»Und was gibt’s Neues aus Frankreich, hast du endlich mal eine kleine Französin aufgetan?«
Michael antwortete nicht. Bei der Frage musste er plötzlich an Renate denken. Rudolf schien es zu ahnen.
»Was hört ihr beim Militär eigentlich so aus Russland?«
»Nichts, nur das Offizielle.« Michael überlegte. »Die Wochenschau habe ich lange nicht mehr gesehen. Ich gehe in Lorient nicht so oft ins Kino, eigentlich gar nicht.«
»Ach, in der Wochenschau zeigen sie immer nur marschierende Verbände. Natürlich geht es stetig vorwärts, immer druf uf den Russen.« Rudolf schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das nicht vorstellen, der Russe wird sich doch auch wehren.« Er überlegte. »Von Renates Banker haben wir auch nichts mehr gehört. Ich glaube, sie weiß selbst nicht, wo der jetzt genau steckt. Im Mai geheiratet und im Juni musste der schon mit auf den Feldzug. Na ja, der ist wenigstens Offizier.«
»Und was ist mit Renate, lebt sie noch hier im Dorf?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Rudolf verächtlich. »Frau Renate Henschmann verkehrt doch jetzt in ganz anderen Kreisen, in Hamburg-Rotherbaum. Die ist der Partei jetzt ganz nahe. Da hat sie dieser Henschmann hingebracht. Der hat doch lauter so Leute in seiner Familie, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und ich glaube sogar einen Gauleiter, Bonzen eben.«
Michael dachte an die gemeinsame Zeit mit Renate. Er war davon überzeugt, dass sie schneller erwachsen geworden war als er. Irgendwann war es dann vorbei. Michael war schon bei der Marine, als Renate Walter Henschmann kennengelernt hatte. Die Heirat vor anderthalb Jahren hatte Michaels Mutter noch in einem Brief erwähnt, aber das war auch schon alles. Renate hatte bis jetzt kein Kind bekommen, das wusste Michael noch. Vielleicht war es ganz gut so, vielleicht aber auch nicht.
Rudolf kramte in seiner Jackentasche und zog ein Heft hervor. »Schau mal, das habe ich von Ennas Bruder, der hat es aus der Schule mitgebracht.«
Michael nahm das Heft, das in einen bunten Schutzumschlag steckte, und las den Titel laut vor.
»Aha! Was jeder vom deutschen U-Boot wissen sollte!«
Rudolf nickte. Er tippte auf den Umschlag. »Hier ist alles erklärt, also wie so ein U-Boot aufgebaut ist.« Er nahm Michael das Heft wieder aus der Hand, zog den Umschlag ab und klappte ihn auseinander. »Hier, jetzt sag mir doch mal, ob das alles so richtig ist.«
Auf dem Umschlag war der Querschnitt eines U-Bootes abgedruckt. Erklärungen dazu standen in einer Legende neben der Abbildung. Michael überprüfte einige der Beschreibungen und nickte dann.
»Im Großen und Ganzen ist das schon in Ordnung.«
»Wirklich?« Rudolf schaute Michael begeistert an. »Ich habe es mir auch durchgelesen. Ist schon ganz interessant.« Er überlegte. »Wie ist das mit den Wasserbomben, haben sie euch schon mal mit Wasserbomben beschossen? Bei diesem Bartsch klingt das alles so harmlos, als wenn die mit Knallerbsen auf so ein Boot losgehen.«
»Ja, das mit den Wasserbomben ist nicht so schön«, antwortete Michael verhalten. »Der Tommy ist ja ganz scharf darauf, so ein U-Boot zu knacken, besonders, wenn du ihm einen Frachter nach dem anderen wegballerst. Unser Kaleun hat das Boot aber bisher immer gut da raushalten können. Unter Wasser ist ein U-Boot schon recht sicher, aber man muss ja auch irgendwann mal wiederauftauchen und dann muss man sich vor den Fliegern in Acht nehmen. So einen Zerstörer mit seinen Wasserbomben, den kann man heranrauschen hören. Die Flieger kommen dagegen aus dem Nichts, da kannst du noch so gut den Himmel beobachten, irgendwann kommen die aus der Sonne oder aus den Wolken und dann wird es knapp mit dem Alarmtauchen.«
Rudolf nickte. »Von Fliegerangriffen schreibt Bartsch überhaupt nichts. Naja, es soll ja auch nicht abschrecken. Die suchen doch bestimmt immer Jungs, die zu den Unterseebooten wollen.«
»Schreibt Bartsch denn wenigstens, dass man mit einem U-Boot sogar bis nach Amerika kommt.«
»Warst du in Amerika?«, fragte Rudolf ungläubig.
»Also, vom Turm aus haben wir die amerikanische Küste gesehen, wir sind natürlich nicht an Land gegangen.« Michael dachte nach. »In diesem Jahr habe ich schon einiges hinter mir. Die erste Unternehmung, gleich im Januar, ging schon schlecht los. Nach zehn Stunden mussten wir zurück in den Stützpunkt. Der Kompass hat nicht mehr funktioniert und dann war auch noch die Drosselklappe der Dieselmaschine defekt. Wir haben noch mal drei Tage im Dock gelegen. Keiner durfte vom Boot runter. Etwas Langweiligeres gibt es nicht, man kommt nicht voran und es gibt auch nichts richtig zu tun.«
»Ja, aber dann ging es doch irgendwann los. Mensch, jetzt halt dich doch nicht mit dem Kram auf.«
Michael lachte. »Dann ging es tatsächlich los, stimmt, und zwar nach Mittelamerika, an die Mündungen der großen Flüsse. Ist ein gutes Jagdrevier. Anfang des Jahres hat der Ami noch nicht gewusst, was der Tommy längst weiß. Wir haben in zwei Wochen neun Pötte auf den Grund geschickt. Der Kaleun hat alles zusammen auf sechzigtausend Tonnen geschätzt. Es war auch ein dicker Fisch dabei, ein Tanker von bestimmt zehntausend Tonnen. Alle meine Torpedos haben gesessen und sind auch hochgegangen. Dafür bin ich schließlich verantwortlich, also, dass die Torpedos funktionieren. Mit Zerstörern gab es auf der ersten Fahrt keine Scherereien, wir konnten immer rechtzeitig tauchen und verschwinden. Es wurden zwar auch Wasserbomben geworfen, aber immer an den falschen Stellen. Die hatten es noch nicht so raus, die Amis, für die war der Krieg ja erst ein paar Wochen im Gange. Trotzdem waren wir natürlich froh, als der Kaleun dann die Rückfahrt befohlen hat. Mitten im Atlantik haben wir vom Feind nichts gesehen. Wir sind die ganze Zeit über Wasser gefahren, haben uns sogar ab und an auf Deck gesonnt. Nach Wochen konnten wir da endlich mal alles von uns strecken. Im Boot ist es natürlich schon sehr eng und stickig und auch immer recht feucht. Die Klamotten kriegst du da kaum trocken. Eigentlich ist es ein Scheißklima unten im Boot. Es gibt keine Heizung, nur im Maschinenraum ist es warm, zu warm und es stinkt nach Öl und Abgasen. Auf jeden Fall waren wir froh, dass wir mal für ein paar Stunden aus der engen Röhre raus konnten. Unangenehm wurde es erst wieder an der nordafrikanischen Küste. In der Biskaya wurde es dann sogar richtig brenzlich, da muss man nämlich wieder verdammt auf Flieger achtgeben. Es ist wirklich nicht einfach, sich diese Teufel mit der Flak auf Distanz zu halten.«
»Schießt du auch mit der Flak?«, fragte Rudolf.
»Natürlich könnte ich es, im Notfall, aber regulär machen es die Bordschützen. Die sind fixer und meinetwegen auch treffsicherer. Mit der Zehnfünfer musst du ein richtiger Artillerist sein. Mit der Flak kann eigentlich jeder schießen. Einfach draufhalten und abdrücken. Deine Leute müssen natürlich schnell mit dem Nachladen sein, damit es keine Unterbrechung gibt und der Flieger nicht entwischen kann.«
»Und das war dann deine erste Feindfahrt?«
»Unternehmung, wir nennen es Unternehmung«, betonte Michael. »Nach der ersten Unternehmung