Vier Augen sahen sie mißbilligend an: zwei schwarze Hundeaugen und zwei blaue Jungenaugen. »Wie kannst du verlangen, daß das neue Mädchen ›Sie‹ und ›Fräulein Suse‹ zu dir sagt, wenn du noch solch ein Baby bist und nicht rauchen kannst«, brummte Herbert.
»Sie wird sich doch nicht gleich was von mir vorrauchen lassen – und, und – ach Gott, mir ist mit einem Male so eklig zumute – ganz Übel.«
»Mensch, kannste nicht mal 'ne halbe Zigarette vertragen?« Geringschätzig blickte der unentwegt paffende Herbert auf seinen Zwilling. »Grün und gelb kariert siehste aus, Suse. Geh auf den Balkon in die frische Luft«, lachte er sie aus.
Aber Suse kam nicht mehr so weit. Das Mittagessen, von dem ungewohnten Zigarettengenuss gehoben, ließ sich nicht länger im Magen zurückhalten. Suse erbrach es.
»Da haben wir die Bescherung und noch dazu in meinem Zimmer. Du bist wirklich noch nicht reif für die Untersekunda«, begann der Bruder zu räsonieren.
Suse hörte ihn gar nicht. Ihr war jämmerlich schlecht zumute. Sie wankte in ihr Zimmer, wusch sich, und legte sich auf ihr Bett. Nur nichts sehen, nichts hören.
Ihr Zwilling kam mit seiner Zigarette Nummer zwei auch nicht bis ans Ende. Gerade als er sich anschicken wollte, Minna zu bitten, sein Zimmer zu säubern, wurde ihm mit einem Male schwarz vor den Augen. Und dann erging es ihm ähnlich wie seinem Zwilling. Bubi begleitete sein Würgen mit Gejaule.
Als die Zwillinge nicht zum Kaffee erschienen, schüttelte die Mutter verwundert den Kopf. Unpünktlichkeit zu den Mahlzeiten war sie nicht von ihren beiden eßlustigen Sprösslingen gewöhnt. Noch dazu heute, wo der Vater der Versetzung zu Ehren Pfannkuchen zum Kaffee mitgebracht hatte.
Ach, Professors Zwillinge konnten die Versetzungspfannkuchen heute nicht genießen. Als die Mutter hinaufkam, zu sehen, wo sie geblieben, lag eins hüben und eins drüben als halbe Leiche. In der Verbindungstür aber saß miefend der Wache haltende Bubi.
Der Zigarettenrauch in dem Zimmer, die Bescherung auf dem Fußboden – da wußte die erfahrene Frau Bescheid. Ihre Zwillinge hatten heimlich geraucht, sie hatten ihren Tribut zollen müssen. Schadete ihnen gar nichts, den beiden, daß sie einen Denkzettel erhalten hatten.
»Ausbruch des Vesuvs«, erklärte Herbert mit Galgenhumor, trotzdem ihm noch hundsmiserabel zumute war.
Daß Minna mit ihrem Korb abzog, daß die neue Emma ihren Einzug hielt, machte kaum Eindruck auf die zwei. Was fragte Suse augenblicklich danach, ob man »Sie« und »Fräulein« zu ihr sagte. Gegen die Wand gerollt, lag sie da und wollte nichts sehen und nichts hören in ihrem Elend. Auch Herberts Großmannssucht hatte einen kleinen Dämpfer erhalten. Fürs erste hatten Professors Zwillinge genug vom Rauchen.
3. Kapitel
Der Sonntagsgast
Am Sonntag war Paul Liedtke ein für allemal Gast bei Professors. Die ganze Woche freute er sich auf das Sternenhaus, so hieß das hübsche Landhaus des Professors der Sternenkunde allgemein in Jena. Zeigte es doch rings um das Gesims in blauem Grunde die bekanntesten Sternenbilder.
Paul war eine Waise. Vor Jahren, als Professors Zwillinge noch in Berlin wohnten, war er mit Herbert und Suse, obgleich er älter war als sie, in der Waldschule befreundet gewesen. Später, als er nach dem Tode seiner Mutter in ein Waisenhaus kam, vergoldeten die Ferien, die der arme Junge bei Professor Winter verleben durfte, das graue Einerlei seiner schweren Kindheit.
»Unser Ferienkind« hieß Paul im Sternenhause. Dort kehrte er regelmäßig zu Weihnachten und für die Sommerferien ein. Der Professor und seine Frau hatten den strebsamen wohlerzogenen Knaben menschenfreundlich in ihr Haus geladen, damit dem blassen Jungen, der in den engen Mauern des großstädtischen Waisenhauses aufwuchs, die notwendige Erholung zuteil wurde. Für Professors Zwillinge war das längere Zusammensein mit Paul immer ein Fest. Von Ferien zu Ferien machte man Pläne, was man alles unternehmen wollte, wenn »Paulchen« wieder kam. Die Eltern hielten das Zusammensein ihrer Kinder mit dem armen Waisenknaben für sehr wünschenswert. Es war ganz ersprießlich, daß die beiden mal sahen, wie gut sie es in treuer Elternobhut hatten, wenn ihnen auch nicht immer jeder Wunsch erfüllt wurde. Erst beim Vergleichen erkennt man, was man besitzt. Außerdem wirkte auf Herbert, der öfter etwas vorlaut war, Pauls bescheidenes, höfliches Wesen jedesmal günstig.
Der Professor aber nahm noch ein besonderes Interesse an dem »Ferienkind«. Er hatte bald die gute geistige Veranlagung des Jungen erkannt, vor allem aber seine auffallende Begabung für Physik und Elektrotechnik. Als Paul eingesegnet und aus dem Berliner Waisenhaus entlassen wurde, setzte sich Professor Winter mit dem Direktor desselben in Verbindung. Dieser wollte den Jungen zu einem Uhrmacher in die Lehre geben. Professor Winter ließ ihn nach Jena kommen und verschaffte ihm eine Lehrstelle in den optischen Werken von Zeiß, die in der ganzen Welt bekannt und berühmt sind. Gleichzeitig verdankte Paul der Fürsprache des beliebten Universitätsprofessors Winter ein Stipendium aus der Carl-Zeiß-Stiftung; das waren Studiengelder, die besonders begabten Angestellten des Instituts technische und wissenschaftliche Weiterbildung erschlossen. Jeden Ersten des Monats bekam Paul eine kleine Summe ausgezahlt, die es ihm, zusammen mit dem Taschengeld, das er als Lehrling bezog, bei seinen geringen Ansprüchen ermöglichte, sich selbst zu erhalten. In einem der winkligen Gässchen der Altstadt Jena hatte er ein billiges Zimmer inne. Frau Professor Winter hätte Paul gern zu sich ins Haus genommen, um ihm die Miete zu ersparen; das Fremdenzimmer im Sternenhaus stand ja meistens leer. Aber der Professor, ein einsichtiger und überlegter Mann, gab seiner Frau zu bedenken, daß es nicht gut für Paul sei, ihm alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Paul war von klein auf Sorgen und Entbehrungen gewöhnt. Er mußte auf sich selbst gestellt sein, mit seinen bescheidenen Mitteln sich einrichten lernen. Das stählte den Charakter. Kämpfen stärkt die Muskeln, auch dem Leben gegenüber. Sogar der Mittagstisch, den die menschenfreundliche Frau Winter dem jungen Burschen gern gewährt hätte, erübrigte sich. Die jugendlichen Arbeiter erhielten aus der Angestelltenfürsorge des Werkes sechzig Pfennige pro Tag zur besseren Ernährung. In der Kantine wurde dafür nahrhaftes Essen gereicht. So blieben Paul nur die Sonn- und Feiertage für Besuche im Sternenhaus, in der Woche fand er keine Zeit dazu.
In dem kleinen Stübchen, das Paul bewohnte, brannte bis in die Nacht hinein Licht. Dort saß der fleißige Junge nach des Tages anstrengender praktischer Arbeit bei seinen Büchern. Dort lernte er Mathematik und Physik, rechnete und zeichnete, bis die Augen ihm zufielen. Er wollte, er mußte vorwärts kommen. »Freie Bahn dem Tüchtigen!« hatte ihm sein väterlicher Freund, Professor Winter, beim Eintritt in den Beruf als Wahlspruch auf den Weg gegeben. Daran dachte Paul unausgesetzt. Wie die einstigen Begründer der gewaltigen Zeißwerke, die jetzt zum Segen für Tausende geworden waren, sich aus den kleinsten Anfängen zu ihrem späteren Ansehen emporgearbeitet hatten, so wollte auch er es tun. Diese beiden Männer waren das Vorbild des armen Jungen, dem er nachstrebte. Da hieß es vor allem, seine noch lückenhafte Bildung ausfüllen. Paul sah ein großes Ziel vor sich, er wollte sich für das Fachabiturium vorbereiten. Auf diesen Gedanken hatte ihn Professor Winter gebracht, um ihm das Universitätsstudium zu ermöglichen. Er lieh ihm Bücher, gab ihm die notwendige Anleitung und nahm am Sonntag das, was Paul die Woche über gearbeitet hatte, mit ihm durch. Er erklärte, erläuterte und förderte damit den strebsamen Jungen in jeder Hinsicht. Dabei war der Professor immer wieder aufs neue überrascht von der scharfen Auffassung Pauls und von seiner speziellen Begabung für Physik und Mathematik.
Auch sein Junge, der Herbert, war außergewöhnlich für Naturwissenschaften begabt und immer einer der Ersten im Gymnasium. Sein Großvater schon war Professor der Naturwissenschaften. Da war diese Begabung kein Wunder wie bei dem armen Paul, der gar früh den Kampf um das tägliche Brot kennengelernt hatte und sich jetzt mit erstaunlicher Energie und Zielbewusstsein emporarbeitete.
Professors Zwillinge versuchten ebenfalls ihren Freund Paul zu fördern. Nur taten sie das auf ganz verschiedene Weise, ein jeder seinem Charakter entsprechend.
Herbert spielte sich allzu gern als Besserwisser auf. Er prüfte Paul als gestrenger Examinator und tat sehr überlegen, daß er