Lass dir aber vom Führer berichten, wie Alles entstanden,
Und das phantastische Bild lös’t in Vernunft sich dir auf!
Friedrich Hebbel
Auf dem Canal Grande
Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.
Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne,
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.
In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.
Eine kurze, kleine Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.
Conrad Ferdinand Meyer
[An der Brücke stand]
An der Brücke stand
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang;
goldener Tropfen quolls
über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik –
Trunken schwamms in die Dämmrung hinaus . . .
Meine Seele, ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu,
zitternd vor bunter Seligkeit.
– Hörte jemand ihr zu?
Friedrich Nietzsche
San Marco
Venedig
In diesem Innern, das wie ausgehöhlt
sich wölbt und wendet in den goldnen Smalten,
rundkantig, glatt, mit Köstlichkeit geölt,
ward dieses Staates Dunkelheit gehalten
und heimlich aufgehäuft, als Gleichgewicht
des Lichtes, das in allen seinen Dingen
sich so vermehrte, dass sie fast vergingen – .
Und plötzlich zweifelst du: vergehn sie nicht?
und drängst zurück die harte Galerie,
die, wie ein Gang im Bergwerk, nah am Glanz
der Wölbung hängt; und du erkennst die heile
Helle des Ausblicks: aber irgendwie
wehmütig messend ihre müde Weile
am nahen Überstehn des Viergespanns.
Rainer Maria Rilke
Spätherbst in Venedig
Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder,
der alle aufgetauchten Tage fängt.
Die gläsernen Paläste klingen spröder
an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt
der Sommer wie ein Haufen Marionetten
kopfüber, müde, umgebracht.
Aber vom Grund aus alten Waldskeletten
steigt Willen auf: als sollte über Nacht
der General des Meeres die Galeeren
verdoppeln in dem wachen Arsenal,
um schon die nächste Morgenluft zu teeren
mit einer Flotte, welche ruderschlagend
sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend,
den großen Wind hat, strahlend und fatal.
Rainer Maria Rilke
Siehst du die Stadt?
Siehst du die Stadt, wie sie da drüben ruht,
Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?
Es gießt der Mond der Silberseide Flut
Auf sie herab in zauberischer Pracht.
Der laue Nachtwind weht ihr Atmen her,
So geisterhaft, verlöschend leisen Klang:
Sie weint im Traum, sie atmet tief und schwer,
Sie lispelt rätselvoll, verlockend bang . . .
Die dunkle Stadt, sie schläft im Herzen mein
Mit Glanz und Glut, mit qualvoll bunter Pracht:
Doch schmeichelnd schwebt um dich ihr Widerschein,
Gedämpft zum Flüstern, gleitend durch die Nacht.
Hugo von Hofmannsthal
Venedig
Im Norden
Frieren die Götter.
Hier
Strahlt jeder Gauner: ein heisser Gott.
Seines Tempels Stufen
Steigen aus dem Canale grande.
Er opfert
Sein südliches Herz sich selbst.
Die Sbirren schleichen
Zur Dämmerung.
Am Himmel segelt
Eine Gondel.
Die Adria
Brandet an meine Brust.
Der Markusplatz
Tönt wie eine Harfe.
An vergitterten Fenstern,
An freigelassenen Menschen vorbei:
Auf einer weissen Piazza
Entfaltet sich wie eine rote Mantille dein Lächeln.
Ists Tag? So ist die Sonne,
Ists Nacht? So ist der Mond
Am Herzen
Aufgegangen.
Klabund
Karneval
Freudiger und lichter
Wird mir mit jeder Wiederholung
Dieses bunte Getümmel.
Wohltuend, befreiend,
Wirkt so die Torheit
Froh und ungestört geübt,
Sie löset