Da merkte ich, daß mein Schrei nicht geträumt war. Schritte hasteten auf meine Tür zu, jemand öffnete sie mit heftigem Stoß, und ein Licht schimmerte durch die Fenstervierecke meines Bettes. Schaudernd saß ich da und wischte den Schweiß von der Stirn. Der Hereingekommene zögerte, flüsterte etwas und sagte vor sich hin: »Ist jemand hier?« Ich erkannte Heathcliffs Stimme und wollte mich lieber melden, damit er nicht überall herumsuchte. Ich schob die Täfelung auseinander, und nie werde ich das Bild vergessen:
Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, die Kerze tropfte über seine Finger, sein Gesicht war weiß wie die Wand hinter ihm. Das Geräusch, das ich verursachte, durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Das Licht flog ihm aus der Hand, und er vermochte sich kaum danach zu bücken.
»Ich bin's, Ihr Gast!« Ich wollte ihm die Demütigung ersparen, mich noch länger zum Zeugen seiner Schwäche zu machen. »Leider habe ich im Schlaf geschrien, da mich ein schrecklicher Alpdruck aufregte. Ich bedaure sehr, Sie gestört zu haben.«
Er antwortete mit einem Fluch und stellte die Kerze, die er nicht halten konnte, auf einen Stuhl: »Wer hat Sie in dies Zimmer gewiesen, Mr. Lockwood?« Er bohrte seine Nägel in die Handflächen und biß die Zähne zusammen, um das Zucken seiner Kiefer zu unterdrücken. »Wer tat das? Ich werfe ihn auf der Stelle aus dem Hause!«
»Es war Ihre Magd, Zillah.« Eilig erhob ich mich und suchte meine Kleider zusammen. »Ich hätte nichts dagegen, sie verdient es reichlich. Mir scheint, sie wollte auf meine Kosten wieder einmal beweisen, daß es an diesem Orte spukt. Allerdings! Hier wimmelt es von Geistern und Gespenstern! Sie müßten den Raum endgültig zumachen. Für einen Schlaf in solcher Höhle wird Ihnen niemand Dank wissen.«
»Was meinen Sie damit? Was machen Sie da überhaupt? Legen Sie sich hin und bringen Sie die Nacht hinter sich, da Sie einmal hier sind. Aber seien Sie still, um des Himmels willen! Ein solches Geschrei wäre nur zu entschuldigen, wenn Ihnen jemand die Kehle durchschnitte!«
»Die kleine Unholdin hätte mich wahrscheinlich erwürgt, wäre sie durchs Fenster hereingekommen. Ich will die Verfolgungen Ihrer gastlichen Ahnen nicht noch einmal erdulden. Sagen Sie, war nicht der hochwürdige Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und diese Hexe Catherine Linton oder Earnshaw oder wie sie hieß, muß ein Wechselbalg gewesen sein, das tolle Ding. Sie hat mir erzählt, seit zwanzig Jahren finde sie keine Ruhe auf Erden. Gerechte Strafe, vermutlich, für ihre Sünden in dieser Welt.«
Die Worte waren mir kaum entfahren, als ich mich erinnerte, wie eng Heathcliffs und Catherines Namen in jenem Buche miteinander verknüpft waren. Seit ich erwacht war, hatte ich das vollkommen vergessen. Ich errötete über meine Unüberlegtheit, ließ mir aber die Reue nicht anmerken und fuhr hastig fort: »Tatsächlich, lieber Herr, habe ich den ersten Teil der Nacht damit zugebracht –« wieder hielt ich ein, denn ich hatte sagen wollen: »– in den alten Büchern dort zu lesen.« Dann hätte ich verraten, daß ich den Inhalt, auch den geschriebenen, kannte. Ich fügte also lieber hinzu: »– den Namen zu buchstabieren, der immer wieder in den Fenstersims eingeritzt ist. Eintönige Beschäftigung, um mich einzuschläfern, ebenso wie durch Zählen oder –«
»Wie können Sie es wagen, davon mit mir zu sprechen?« donnerte Heathcliff. »Unter meinem Dach wagen Sie das? Herr im Himmel, er ist verrückt, daß er so redet!« Und er schlug sich wie rasend vor die Stirn.
Ich wußte nicht, ob ich eine solche Sprache meinerseits übel nehmen oder meine Erklärung fortsetzen sollte. Aber er war so leidenschaftlich erregt, daß ich auf jeden Fall weiter reden mußte. Ich versicherte ihm, daß ich den Namen Catherine Linton nie zuvor gehört hätte. Da ich ihn allenthalben las, habe er offenbar Gestalt angenommen, und schließlich sei meine Vorstellungskraft nicht mehr in meiner Gewalt gewesen. Während dieser Worte zog sich Heathcliff immer mehr in den Schatten des Bettes zurück, setzte sich und war fast dahinter verborgen. An seinen unregelmäßigen Atemzügen merkte ich, daß er gegen einen furchtbaren Ausbruch ankämpfte. Um ihm nicht zu verraten, daß ich seine Gemütsbewegung wahrnahm, kleidete ich mich geräuschvoll weiter an und hielt nach einem Blick auf die Uhr ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht:
»Noch nicht drei! Ich hätte geschworen, es sei schon sechs. Die Zeit steht hier still. Wir haben uns doch schon um acht hingelegt.«
»Um neun, im Winter. Um vier stehen wir auf«, sagte er, ein Stöhnen unterdrückend. Der Schatten seines Arms bewegte sich, als wischte er eine Träne aus den Augen. »Mr. Lockwood, Sie können in mein Zimmer gehen. In der Frühe würden Sie uns nur im Wege sein, und Ihr törichter Aufschrei hat meinen Schlaf verjagt.«
»Meinen auch«, antwortete ich. »Ich will im Hof umhergehen, bis zur Dämmerung, und dann abziehen. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß ich hier nochmals eindringen werde. Jetzt bin ich von meinem Wunsch geheilt, Umgang zu suchen, sei es auf dem Lande oder in der Stadt. Ein vernünftiger Mensch sollte Gesellschaft genug an sich selbst haben.«
»Herrliche Gesellschaft!« murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie die Kerze und verfügen Sie sich, wohin Sie wollen. Den Hof vermeiden Sie besser, die Hunde sind nicht angekettet. Sie können sich nur im Treppenhaus und in den Gängen aufhalten. Weg, weg! In zwei Minuten komme ich!«
Ich verließ zwar das Zimmer, blieb aber draußen stehen, weil ich nicht wußte, wohin der schmale Flur führte. So wurde ich unfreiwillig Zeuge einer Anwandlung von Aberglauben, der in auffallendem Gegensatz zum sonstigen Gehaben meines Wirtes stand.
Ich hörte ihn den Fensterflügel aufstoßen. Er brach in leidenschaftliche Tränen aus und schluchzte: »Komm herein, komm herein! Cathy, komm doch! Oh, komm nur noch ein einziges Mal! Oh, Liebste! Catherine! Diesmal endlich höre mich!«
Das Gespenst zeigte sich launisch, wie Gespenster sind. Es gab kein Zeichen seines Daseins, nur Schnee wirbelte im Wind herein, bis zu meinem Standort. Das Licht erlosch.
Sein Aufschrei aber war so schmerzlich gewesen, daß mein Mitleid seine Närrischkeit übersehen wollte. Ich ärgerte mich, daß ich gelauscht und ihm überhaupt meinen lächerlichen Traum erzählt hatte. Ich begriff freilich nicht, warum er darüber so verzweifelt war. Vorsichtig stieg ich in die unteren Räume hinab und landete in der Küche, wo ich mit der zusammengescharrten Glut meine Kerze wieder anzündete. Nichts regte sich, außer einer graugefleckten Katze, die aus der Asche kroch und mich mit kläglichem Miauen begrüßte. Ich streckte mich auf einer der Bänke aus, die den Herd im Halbkreis umschlossen; das Tier sprang auf die andere.
Wir schlummerten beide, als uns Josef in unserm Unterschlupf aufstörte. Schlürfend kam er eine Holzleiter herunter, aus einer Dachluke, die vermutlich der Ausgang seiner Bodenkammer war. Er warf einen schiefen Blick auf die Flamme, für deren Erhaltung ich gesorgt hatte, stieß die Katze von der Bank, setzte sich an ihre Stelle und begann, eine dreizöllige Pfeife mit Tabak zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum galt ihm offenbar als eine neue Aufdringlichkeit, zu schmählich, um sie auch nur zu bemerken. Schweigend schob er die Pfeife zwischen die Lippen, kreuzte die Arme und paffte. Ich gönnte ihm diesen Genuß bis zum letzten Zug, den er mit einem tiefen Seufzer begleitete. Dann erhob er sich und verschwand ebenso steif, wie er gekommen war.
Leichtere Schritte näherten sich, und ich wollte schon »Guten Morgen« sagen, unterließ es jedoch. Denn Hareton Earnshaws Morgengruß äußerte sich sotta voce durch eine Reihe von Flüchen, mit denen er jeden von ihm angefaßten Gegenstand belegte. Er suchte nach Spaten oder Schaufel, um den Schnee wegzuschaffen. Dabei starrte er mit geblähten Nüstern über die Lehne der Bank herüber und bedachte mich ebensowenig mit irgendeiner Höflichkeit wie meine Katze. Aus seinen Vorbereitungen schloß ich, daß man jetzt hinausgehen dürfe. Als er bemerkte, daß ich ihm folgen wollte, zeigte er mit dem Ende seines Spatens auf eine ins Innere führende Tür. Mit einem wortlosen Knurren deutete er an, ich müsse dort hineingehen, wenn ich meinen Platz zu wechseln wünsche.
Drinnen waren die Frauen schon an der Arbeit. Mit einem mächtigen Blasebalg fachte Zillah das Feuer im Kamin an, daß die Funken sprühten. Daneben kniete Mrs. Heathcliff und las beim Schein der Flammen in einem Buch, wobei sie die Augen mit der Hand schützte. Sie unterbrach sich