Die Fahrt durch das norddeutsche Hochland war angenehm gewesen, das Land war wirklich topfeben. Rechts und links flogen immer wieder Felder, vereinzelte Bäume und grandiose Natur vorbei, oder sie durchfuhren kleine Dörfchen.
Als sie nun die dänische Seite erreicht hatten, änderte sich daran nicht viel. »Ich bin froh, dass wir die Landstraße genommen haben. Das hier ist viel schöner, als wenn man der A7 gefolgt wäre«, sagte Franziska mit der Kamera in der Hand. »Du vergisst die spannenden Leitplanken, die uns mittig begleitet hätten«, sagte Hell und senkte seine Sonnenbrille, um Franziska kurz anzuschauen.
Gut gelaunt begann Hell, das schon bekannte Lied zu pfeifen.
Franziska schaute sich die Fotos an, die sie in Husum aufgenommen hatten. »Hier, dieser Husumer Schlosspark ist wirklich total schön«, sagte sie und drehte die Kamera so, dass Hell das Foto sehen konnte.
Er sagte nichts, sondern fügte einen begeisternden Pfiff in sein Lied ein. Franziska lachte kurz in sich hinein.
Hell mit dem Schloss im Hintergrund, Franziska als Spiegelbild im Wassergraben, die weißen Butzenfenster neben den rotbraunen Ziegeln, aus denen das Stadtschloss von Husum errichtet war, die Kuppel des Turmes aus allen möglichen Blickwinkeln – Hell liebte es, Türme zu fotografieren – und sie beide neben dem Löwenwächter oder neben der Büste des Dichters Theodor Storm, der in Husum geboren wurde. Sie konnten den Weg verfolgen, den sie durch die Stadt genommen hatten. Eines der Fotos zeigte auch Franziska vor dem ‚Husumhus‘, dem Haus von Husum. Auf einem Betonvorsprung, der an diesem Haus angebracht war, stand die Skulptur eines Hahnes, der hier liebevoll ‚Go Go‘ genannt wurde, die Abkürzung für ‚Goldener Gockel‘. Franziska stand darunter und hielt die Hände auf, als wolle sie etwas auffangen, das von oben herunterfallen könnte. Bei einem Hahn machte das natürlich keinen Sinn, weil er keine Eier legte.
»Weiß doch keiner, dass es ein Hahn sein soll«, hatte sie entschuldigend gesagt.
Sie klappte den Sucher der Spiegelreflex ein und legte die Kamera wieder neben sich.
»Weißt du was, ich bin müde«, sagte sie, »Darf man auch während der Fahrt auf dem Bett liegen?«
»Setz dich nach hinten, da kannst du dich anschnallen. Bett ist zu gefährlich«, antwortete Hell.
Sie löste den Sicherheitsgurt, zwängte sich zwischen den beiden Sitzen durch und machte es sich auf der Sitzbank bequem.
»Weck mich, wenn wir angekommen sind«, murmelte sie noch.
»Wollen wir jetzt noch nach Rømø fahren oder möchtest du doch lieber direkt durchfahren?«, fragte Hell, doch er erhielt nur noch ein unverständliches Murmeln als Antwort.
Die nächste Stadt, Tonder, ließen Hell links liegen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er keine Lust, sich über den langen Damm auf die Insel Rømø zu quälen. Er hatte in dem Reiseführer gelesen, dass es neben dem fantastischen Strand, auf dem viele mit Kites unterwegs waren, nicht viel zu bestaunen gab. Auch kulturell hielt die Insel keine Überraschungen bereit.
Er beschloss, falls Franziska, nachdem sie die Stadt Skaerbaek erreicht hatten, noch schlafen sollte, nicht auf den Rømøvej zu wechseln, der sie auf die Insel brächte, sondern auf dem Ribevej zu bleiben, auf dem sie sich dann der nächsten Stadt, Ribe, nähern würden. Hinter dem Ort Bredebro verwandelte sich die Straße in einen grauen Strich. Schnurgerade führte die Straße wieder vorbei an Feldern und kleinen Häusern, die sich nur ein wenig von den deutschen unterschieden. Erst weiter im Norden würde sich der Baustil merklich verändern. Hell musste auch gegen die Müdigkeit ankämpfen.
Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht gewesen. Hell bedauerte, dass er Franziska beim Schlafen nicht beobachten konnte. Wenn es mein WoMo wäre, dann würde ich einen Rückspiegel auf dem Armaturenbrett anbringen, damit man das Geschehen im Wohnmobil auch während der Fahrt beobachten konnte. Sie näherten sich der Stadt Skaerbaek, Franziska schlief immer noch. Hell rollte durch die Stadt hindurch. Am Ende der Stadt rollte er langsam durch den Kreisverkehr, auf dessen Seitenstreifen ein kleines Schild den Weg zur Insel Rømø wies. Wenn die Insel toll wäre, dann wäre auch das Schild größer, dachte Hell. Er blickte auf das Navigationsgerät, das noch 116 Kilometer bei einer Fahrzeit von einer Stunde und fünfundvierzig Minuten anzeigte, dann wären sie in Hvide Sand angekommen. Es war nun viertel vor drei Nachmittags.
Der Unsicherheitsfaktor war die Stadt Ribe. Da er nicht wusste, wie lange sie dort verweilen würden, konnte er noch keine SMS mit der voraussichtlichen Ankunftszeit an Stephanie Beisiegel schicken. Es sollte nicht allzu spät am Abend sein, schließlich wollten sie noch gemütlich zusammensitzen. Hell verspürte wieder das schöne Gefühl in der Magengegend, das zweite Mal auf der Tour.
*
Hvide Sande
Das Glöckchen über der Eingangstür zu Kjell Klofts Laden klingelte. Kloft rief aus dem Hinterzimmer: »Ich komme sofort, einen Moment bitte!«
Als er den Vorhang, der seinen Laden von der kleinen Stube dahinter trennte, beiseiteschob, stand bereits sein Freund Petter Johansson vor ihm. Er sah in sein sorgenvolles Gesicht.
»Der Retriever ist verschwunden«, sagte er ohne einen Gruß.
»Was?«
»Der Hund ist weg. Ich wollte ihm eben frisches Wasser geben und ihn füttern, da habe ich gesehen, dass die Tür aufgebrochen wurde.« Er hob die Arme und ließ sie wieder fallen.
»Aufgebrochen?«
»Hör mir doch zu! Ja, aufgebrochen.« In seiner Stimme mischte sich Aggression mit Verzweiflung.
»Ob das die Polizei war? Was denkst du?«, fragte Kloft, ohne weiter nachzudenken.
»Dann wären die auch schon bei uns gewesen, klar. Es steht ja auch unser Name dran«, sagte er kopfschüttelnd, zog aber trotzdem besorgt die Augenbrauen zusammen.
»Stimmt. Die alte Kate ist keinem von uns zuzuordnen, wie sollten die dann auf uns kommen? Du hast recht. Aber wer war es dann?« Kloft schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken.
»Jemand, der zufällig vorbeigekommen ist. Und dann hat er den Hund gesehen und ihn mitgenommen. Der geht ja mit jedem mit, das Schaf.«
Kloft nickte. »Ob es die Besitzer waren?«
»Blödsinn. Die geben ihn nicht erst in unsere Hände, damit sie ihn dann wieder stehlen. Nein. Und außerdem wussten sie nicht, wo wir den Hund untergebracht hatten.«
»Dann kann es nur jemand gewesen sein, der zufällig vorbeikam«, sagte Kloft und räumte die Dosen mit Tomaten ins Regal, die er aus dem Lager geholt hatte.
»Nein, wir haben bisher eine Möglichkeit außer Acht gelassen«, sagte Petter Johansson und presste seine Lippen aufeinander.
»Welche denn?«
»Jemand hat uns beobachtet. Der hat sich auch den Hund geholt.«
»Was? Warum? Wer soll uns denn beobachtet haben? Wir alle sind doch immer so vorsichtig. Nein, das glaube ich nicht.« Er schüttelte energisch den Kopf.
»Wir beiden wissen, dass wir vorsichtig sind. Aber was ist mit Merit?«
Kloft riss die Augen auf. »Merit? Nein, das glaube ich nicht. Wir können ihr vertrauen, auch wenn sie keine Dänin ist.«
»Das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Ich habe mich deinetwegen darauf eingelassen, sie mit ins Team zu holen. Das weißt du, Kjell«, sagte Johansson.
»Und? Was soll ich jetzt sagen? Sollen wir ihr sagen, dass wir auf ihre Mitarbeit verzichten, weil ein Hund verschwunden ist? Solch eine blöde Idee kannst du nicht wirklich haben.«
»Wir müssen ein