Die causa sui ist der beste Selbst-Widerspruch, der bisher ausgedacht worden ist, eine Art logischer Notzucht und Unnatur: aber der ausschweifende Stolz des Menschen hat es dahin gebracht, sich tief und schrecklich gerade mit diesem Unsinn zu verstricken. Das Verlangen nach »Freiheit des Willens«, in jenem metaphysischen Superlativ-Verstande, wie er leider noch immer in den Köpfen der Halb-Unterrichteten herrscht, das Verlangen, die ganze und letzte Verantwortlichkeit für seine Handlungen selbst zu tragen und Gott, Welt, Vorfahren, Zufall, Gesellschaft davon zu entlasten, ist nämlich nichts Geringeres, als eben jene causa sui zu sein und, mit einer mehr als Münchhausenschen Verwegenheit, sich selbst aus dem Sumpf des Nichts an den Haaren ins Dasein zu ziehen. Gesetzt, jemand kommt dergestalt hinter die bäurische Einfalt dieses berühmten Begriffs »freier Wille« und streicht ihn aus seinem Kopfe, so bitte ich ihn nunmehr, seine »Aufklärung« noch um einen Schritt weiterzutreiben und auch die Umkehrung jenes Unbegriffs »freier Wille« aus seinem Kopfe zu streichen: ich meine den »unfreien Willen«, der auf einen Missbrauch von Ursache und Wirkung hinausläuft. Man soll nicht »Ursache« und »Wirkung« fehlerhaft verdinglichen, wie es die Naturforscher tun (und wer gleich ihnen heute im Denken naturalisiert –) gemäß der herrschenden mechanistischen Tölpelei, welche die Ursache drücken und stoßen läßt, bis sie »wirkt«; man soll sich der »Ursache«, der »Wirkung« eben nur als reiner Begriffe bedienen, das heißt als konventioneller Fiktionen zum Zweck der Bezeichnung, der Verständigung, nicht der Erklärung. Im »An-sich« gibt es nichts von »Kausal-Verbänden«, von »Notwendigkeit«, von »psychologischer Unfreiheit«, da folgt nicht »die Wirkung auf die Ursache«, da regiert kein »Gesetz«. Wir sind es, die allein die Ursachen, das Nacheinander, das Für-einander, die Relativität, den Zwang, die Zahl, das Gesetz, die Freiheit, den Grund, den Zweck erdichtet haben; und wenn wir diese Zeichen-Welt als »an sich« in die Dinge hineindichten, hineinmischen, so treiben wir es noch einmal, wie wir es immer getrieben haben, nämlich mythologisch. Der »unfreie Wille« ist Mythologie: im wirklichen Leben handelt es sich nur um starken und schwachen Willen. – Es ist fast immer schon ein Symptom davon, wo es bei ihm selber mangelt, wenn ein Denker bereits in aller »Kausal-Verknüpfung« und »psychologischen Notwendigkeit« etwas von Zwang, Not, Folgen-Müssen, Druck, Unfreiheit herausfühlt: es ist verräterisch, gerade so zu fühlen – die Person verrät sich. Und überhaupt wird, wenn ich recht beobachtet habe, von zwei ganz entgegengesetzten Seiten aus, aber immer auf eine tief persönliche Weise die »Unfreiheit des Willens« als Problem gefaßt: die einen wollen um keinen Preis ihre»Verantwortlichkeit«, den Glauben an sich, das persönliche Anrecht auf ihr Verdienst fahren lassen (die eitlen Rassen gehören dahin –); die andern wollen umgekehrt nichts verantworten, an nichts schuld sein und verlangen, aus einer innerlichen Selbst-Verachtung heraus, sich selbst irgendwohin abwälzen zu können. Diese letztern pflegen sich, wenn sie Bücher schreiben, heute der Verbrecher anzunehmen; eine Art von sozialistischem Mitleiden ist ihre gefälligste Verkleidung. Und in der Tat, der Fatalismus der Willensschwachen verschönert sich erstaunlich, wenn er sich als »la religion de la souffrance humaine« einzuführen versteht: es ist sein »guter Geschmack«.
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Man vergebe es mir als einem alten Philologen, der von der Bosheit nicht lassen kann, auf schlechte Interpretations-Künste den Finger zu legen: aber jene »Gesetzmäßigkeit der Natur«, von der ihr Physiker so stolz redet, wie als ob – – besteht nur dank eurer Ausdeutung und schlechten »Philologie« – sie ist kein Tatbestand, kein »Text«, vielmehr nur eine naiv-humanitäre Zurechtmachung und Sinnverdrehung, mit der ihr den demokratischen Instinkten der modernen Seele sattsam entgegenkommt! »Überall Gleichheit vor dem Gesetz – die Natur hat es darin nicht anders und nicht besser als wir«: ein artiger Hintergedanke, in dem noch einmal die pöbelmännische Feindschaft gegen alles Bevorrechtete und Selbstherrliche, insgleichen ein zweiter und feinerer Atheismus verkleidet liegt. »Ni dieu, ni maître« – so wollt auch ihr's: und darum »hoch das Naturgesetz!« – nicht wahr? Aber, wie gesagt, das ist Interpretation, nicht Text; und es könnte jemand kommen, der, mit der entgegengesetzten Absicht und Interpretationskunst, aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen, gerade die tyrannisch-rücksichtenlose und unerbittliche Durchsetzung von Machtansprüchen herauszulesen verstünde – ein Interpret, der die Ausnahmslosigkeit und Unbedingtheit in allem »Willen zur Macht« dermaßen euch vor Augen stellte, daß fast jedes Wort und selbst das Wort »Tyrannei« schließlich unbrauchbar oder schon als schwächende und mildernde Metapher – als zu menschlich – erschiene; und der dennoch damit endete, das gleiche von dieser Welt zu behaupten, was ihr behauptet, nämlich daß sie einen »notwendigen« und »berechenbaren« Verlauf habe, aber nicht, weil Gesetze in ihr herrschen, sondern weil absolut die Gesetze fehlen, und jede Macht in jedem Augenblick ihre letzte Konsequenz zieht. Gesetzt, daß auch dies nur Interpretation ist – und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? – nun, um so besser. –
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Die gesamte Psychologie ist bisher an moralischen Vorurteilen und Befürchtungen hängen geblieben: sie hat sich nicht in die Tiefe gewagt. Dieselbe als Morphologie und Entwicklungslehre des Willens zur Macht zu fassen, wie ich sie fasse – daran hat noch niemand in seinen Gedanken selbst gestreift: sofern es nämlich erlaubt ist, in dem, was bisher geschrieben wurde, ein Symptom von dem, was bisher verschwiegen wurde, zu erkennen. Die Gewalt der moralischen Vorurteile ist tief in die geistigste, in die anscheinend kälteste und voraussetzungsloseste Welt gedrungen – und, wie es sich von selbst versteht, schädigend, hemmend, blendend, verdrehend. Eine eigentliche Physio-Psychologie hat mit unbewußten Widerständen im Herzen des Forschers zu kämpfen, sie hat »das Herz« gegen sich: schon eine Lehre von der gegenseitigen Bedingtheit der »guten« und der »schlimmen« Triebe macht, als feinere Immoralität, einem noch kräftigen und herzhaften Gewissen Not und Überdruss –, noch mehr eine Lehre von der Ableitbarkeit aller guten Triebe aus den schlimmen. Gesetzt aber, jemand nimmt gar die Affekte Haß, Neid, Habsucht, Herrschsucht als lebenbedingende Affekte, als etwas, das im Gesamt-Haushalte des Lebens grundsätzlich und grundwesentlich vorhanden sein muß, folglich noch gesteigert werden muß, falls das Leben noch gesteigert werden soll –, der leidet an einer solchen Richtung seines Urteils wie an einer Seekrankheit. Und doch ist auch diese Hypothese bei weitem nicht die peinlichste und fremdeste in diesem ungeheuren fast noch neuen Reiche gefährlicher Erkenntnisse – und es gibt in der Tat hundert gute Gründe dafür, daß jeder von ihm fernbleibt, der es – kann! Andrerseits: ist man einmal mit seinem Schiffe hierhin verschlagen, nun! wohlan! jetzt tüchtig die Zähne zusammengebissen! die Augen aufgemacht! die Hand fest am Steuer! – wir fahren geradewegs über die Moral weg, wir erdrücken, wir zermalmen vielleicht dabei unsern eignen Rest Moralität, indem wir dorthin unsre Fahrt machen und wagen – aber was liegt an uns! Niemals noch hat sich verwegnen Reisenden und Abenteurern eine tiefere Welt der Einsicht eröffnet: und der Psychologe, welcher dergestalt »Opfer bringt« – es ist nicht das sacrifizio dell' intelletto, im Gegenteil! – wird zum mindesten dafür verlangen dürfen, daß die Psychologie wieder als Herrin der Wissenschaften anerkannt werde, zu deren Dienste und Vorbereitung die übrigen Wissenschaften da sind. Denn Psychologie ist nunmehr wieder der Weg zu den Grundproblemen.
Zweites Hauptstück: Der freie Geist
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O sancta simplicitas! In welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch! Man kann sich nicht zu Ende wundern, wenn man sich erst einmal die Augen für dies Wunder eingesetzt hat! Wie haben wir alles um uns hell und frei und leicht und einfach gemacht! wie wußten wir unsern Sinnen einen Freipass für alles Oberflächliche, unserm Denken eine göttliche Begierde nach mutwilligen Sprüngen und Fehlschlüssen zu geben! – wie haben wir es von Anfang an verstanden, uns unsre Unwissenheit zu erhalten, um eine kaum begreifliche Freiheit, Unbedenklichkeit, Unvorsichtigkeit, Herzhaftigkeit, Heiterkeit des Lebens, um das Leben zu genießen! Und erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheit durfte sich bisher die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf dem Grunde eines viel gewaltigeren