Anne Douglas erhob sich, strich das elegante, knapp sitzende, ihre Körperformen optimal präsentierende Kostüm straff, trat vor die Versammelten und zeigte auf das Diagramm.
„Was Sie hier sehen, meine ...“
„Sir, wenn ich bitten darf“, fiel ihr Max Harford, der Verteidigungsminister, sich an den Präsidenten wendend ins Wort. Der so Angesprochene zog verwundert eine Braue hoch und schaute Harford fragend an: „Was soll das, Max? Wo tut’s denn weh?“
Er kannte Harford schon aus den Zeiten seiner Arbeit als Junior-Senator in Alabama. Harford hätte gut und gern der Vater des Präsidenten sein können, im Senat übte er dem jetzigen Präsidenten so etwas wie die Rolle eines wohlmeinenden Mentors aus. Daraus entstand späterhin eine echte Freundschaft, die Familien verkehrten miteinander nicht nur zu den jährlichen Festtagen und Feierlichkeiten. Der Präsident schätze Harford ungemein und verzieh ihm, dem altgedienten ehemaligen Generalmajor der Panzertruppen, deshalb auch diese und jene Schnoddrigkeit. So auch diesmal. Die Energieministerin hingegen ging mit Harfords ruppigen Benehmen eher nicht konform und verzog ungehalten die Mundwinkel, was der Präsident übersah.
„Ehm, yeh, Sir, könnte wir bitte erst einmal diesen Lappen da ausblenden“, grunzte Harford, wobei er mit seiner fleischigen linken Hand auf die fortwährende Verpflanzung der russischen Flagge in der Endlosschleife der Videowand verwies, „und wie sieht’s denn zweitens aus mit Feuer frei?“
Der Präsident betätigte wortlos die Fernbedienung, worauf die Videowand erlosch. Der Umstand, dass sie sich in einem fensterlosen Raum aufhielten, erleichterte ihm, den begeisterten Freizeitsportler und Gesund-Lebenden, die zweite Bitte des Verteidigungsministers abschlägig zu beantworten, was dieser freilich wieder mit einem Grunzen zur Kenntnis nahm. Anne Douglas hingegen vernahm es mit Genugtuung und setzte fort:
„Also noch mal, Gentlemen, was Sie da eben noch als Videoclip sahen, war das Absetzen einer russischen Flagge durch ein russisches U-Boot unter dem Eis punktgenau auf dem Nordpol. Der Clip dürfte aber für jeden von Ihnen eigentlich nichts Neues sein. Was Sie immer noch sehen, ist die Zusammenfassung meines Ihnen vorliegenden Skripts auf einem Blick. Lassen Sie es mich kurz so formulieren: Das Verhältnis des alljährlichen weltweiten Verbrauch an Erdöl zum derzeit geschätzten Weltvorrat, bekannte Ölschieferlagerstätten darin eingeschlossen, beläuft sich auf rund 2 Prozent. Daraus lässt sich leicht schlussfolgern, dass uns in spätestens 50 Jahren, so kein Wunder geschieht, das Licht ausgeht, und das im Wortsinn.“
Sie unterbrach kurz und blickte in die Runde, was das Gewicht ihrer Ausführungen unterstreichen sollte.
„Ergänzend und die aufgezeigte Problematik gleichzeitig verschärfend muss ich Sie darüber hinaus darauf hinweisen, dass sich zum einen der Ölverbrauch eher mehr denn weniger als prognostiziert entwickeln wird, denken wir dabei nur an den Energiehunger der BRICS-Staaten. Zum anderen müssen wir die durch die OPEC-Länder angezeigten Vorräte mit aller gebotenen Vorsicht bewerten. Ich verweise hierbei auf die in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts nach den Turbulenzen in den 70ern getroffene Vereinbarung dieser Länder, die Förderquoten auch auf der Basis der noch vorhandenen Vorräte festzulegen. Sie verstehen sicherlich sofort, dass sich die OPEC-Staaten mit dem Pushen ihrer Vorräte Vorteile hinsichtlich der zugelassenen Fördermengen erzielen ließen. So erstaunt es auch nicht besonders, dass sich unmittelbar nach dieser Entscheidung der OPEC die Weltvorräte urplötzlich auf wundersame Weise vermehrten. Bei allen Erörterungen sollten wir uns deshalb davon leiten lassen, die im Diagramm dargestellte grüne Linie der geschätzten Vorräte deutlich tiefer und die rote des jährlichen Verbrauchs etwas höher anzusetzen. Was uns mit mathematischer Konsequenz zu einem wesentlich früheren Schnittpunkt beider Linien führt. Das aber heißt schlichtweg, wir sollten, statt von 50 besser von 30 bis 40 Jahren bis zum Burndown ausgehen. Wobei, und das sollte uns ein erhebliches Maß an Denkarbeit wert sein, ich hinzufügen muss, dass die immensen Vorräte, welche vermutlich unter dem Eis der Arktis liegen, derzeit nur zu einem Bruchteil bekannt und folglich nicht Bestandteil der Grafik sind. Die Russen dürften freilich über die Lage und Größe der Vorkommen ziemlich genaue Vorstellungen haben. Ich denke, wir sollten ihnen im höchsteigenen Interesses aber das Feld nicht kampflos überlassen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“
Anne Douglas schritt , sich ihrer Ausstrahlung bewusst, zu ihrem Platz zurück, begehrlich verfolgt von sechs Augenpaaren. Der Präsident bemühte sich, den Blick auf dem Diagramm zu halten.
Der Präsident war nie ein Mann der großen Bühne und als solcher sein eigener Darsteller. Sein Führungsstil bestand eher darin, erst einmal die Meinung anderer einzuholen, danach die eingeholten Meinungen zu sortieren und letztendlich abzuwägen. So wusste er sich zumindest moralisch im Falle einer Fehlentscheidung auf der sicheren Seite: Seine Entscheidung ruhte stets auch auf den Schultern anderer, theoretisch wenigstens. Ganz in diesem Sinne verfuhr er auch heute.
„Soweit, so schlecht“, ließ er hören, lehnte sich zurück und blickte zu Dirk Clapton, den Chef der CIA. Der nahm das Heft in die Hand, erhob sich und sprach:
„Unsere Analysen haben ergeben, dass wir es in zunehmendem Maße mit Aktivitäten der Russen in der Arktis zu tun haben. Vorerst alles Aktivitäten freilich, die völkerrechtlich auch gedeckt sind, also immer in Übereinstimmung mit geschlossenen Verträgen und Vereinbarungen. Es zeichnet sich aber nicht nur eine wesentlich verstärkte wirtschaftliche Tätigkeit der Russen im arktischen Bereich selbst beziehungsweise mit Bezug auf diesen ab, dazu gehört zum Beispiel der Bau mehrerer schiffsgestützter Atommeiler zur Energiebereitstellung unter arktischen Bedingungen, sondern auch eine deutlich verstärkte militärische Präsenz, als da die Stationierung extreme Kälte vertragender schwerer Technik wären und so weiter. Aber wie ich schon sagte: Das alles im völkerrechtlichen Rahmen. Beschwerden bezüglich eines mutmaßlichen Bedrohungsszenariums zum Beispiel, die wir in der Verbindungsgruppe der Russen zur NATO hinterlegen könnten, sind nutzlos, da sowohl wir als auch die Kanadier in der arktischen Region mit gleicher oder ähnlicher Technik aufwarten. Zu denken gibt die Entwicklung allerdings schon. Und die uns anfänglich so nachdrücklich vor Augen geführte Einpflanzung des Lappens, wie es Max vorhin gerade so trefflich auszudrücken pflegte, ist technologisch zwar wahrlich kein Meisterstück mehr, seit schon zu Zeiten des kalten Krieges U-Boote beider Seiten wechselseitig den Pol unterquerten und sich dabei sogar begegneten. Aber wir sollten es schon als das betrachten, was es auch zeigen soll: Ein Ausrufezeichen im Sinne von „Hier bin ich, und ich erhebe Anspruch!“ Clapton nickte seine Worte damit unterstreichend und setzte sich.
Der Präsident begab sich zu Vizepräsident Edward Snow und wechselte mit ihm leise ein paar Worte, worauf sich Snow erhob und mit seinem nicht zu leugnenden irischen Akzent sprach: „Houston, wir haben da ein Problem. Seit Auflösung des Ostblocks mitsamt Comecon und Warschauer Pakt gilt zumindest theoretisch die Philosophie der weiteren schrittweisen Näherung zwischen den einstigen Gegnern. Das betrifft im Kern freilich nur die ehemalige Sowjetunion, da sich die anderen einstigen Satellitenstaaten ganz von selbst und mehr freiwillig als uns manchmal lieb sein konnte in NATO und EU drängten, aus welchen Motiven heraus auch immer. So bleibt das von uns fälschlicherweise tot geglaubte Russland und erscheint nun allmählich wieder wie Phönix aus der Asche. Nur eben nicht mehr als Konkurrent in Sachen Ideologie sondern, und das scheint mir unter den eben gehörten Umständen in hohem Grade maßgeblicher, in Sachen Ressourcen. Und erhebt zudem, auch wie eben vernommen, Ansprüche. Ansprüche, die wir nicht ohne weiteres vom Tisch fegen können, nicht mit Argumenten, mit Waffen schon gar nicht. An den gegebenen Umständen können wir auch nichts ändern, alle aktuellen Verträge der Russen vornehmlich mit der EU, aber auch mit anderen Ländern und Regionen haben langfristigen Charakter, daran lässt sich nichts rütteln, wollen wir wenigstens einigermaßen glaubhaft bleiben. Dies zumal in den Augen unserer europäischen Verbündeten, unabhängig wie miserabel wir deren Position und Haltung auch gegenwärtig einschätzen. Wo ich aber Möglichkeiten sehe und auch dringlichst