„Verschwinde“, schnauzte Miro sie an, als diese sich anschickte, auch ihm erneut einzuschenken. Das Mädchen wich scheu zurück und verschmolz mit den Schatten der Wand hinter sich, froh, der Aufmerksamkeit der Gesellen zu entgehen.
„Am besten du reitest noch heute Nacht nach Chomotau“, riet Miro seinem Kumpan. „Dann kannst du keinen Fehler machen.“ Sein verschwörerischer Blick ging zu Zdenek.
Frantek wollte protestieren, doch der Gaugraf hob abweisend die Hände. „Nein, sag nichts. Ich weiß, dass es dir nicht passt, nach Hause zurückzureiten. Friedrich wird dich sicher nicht freudig an sein Vaterherz drücken, nachdem du daran schuld bist, dass sein geliebter Neffe hingerichtet wird. Aber wir müssen in der Tat jetzt aufpassen, dass niemand misstrauisch wird. Zdenek, auch du reitest nach Hause“, wandte er sich an seinen anderen Spießgesellen. Der Neubergker starrte missmutig auf den Tisch. „Ich weiß, du hättest gern gesehen, wie Falks schöner Kopf vom Rumpf getrennt wird.“ Er lachte böse. „Aber glaube mir, es ist besser, wenn ich morgen allein zu der Hinrichtung gehe. Falks Onkel wird mit Sicherheit versuchen, seinen Neffen in letzter Minute zu retten. Ich will nicht Gefahr laufen, dass euer Erscheinen noch irgendeinen Tumult hervorruft.“ Er machte eine kurze Pause. Seine Miene erstarrte zu einer rohen Maske. „Der Mörder meines Vaters soll endlich verrecken“, setzte er voller Hass hinzu.
Kapitel 2
Wie in Trance stieg Falk unter dem lauten Rufen und Johlen des versammelten Mobs die Stufen zum Blutgerüst hinauf. Ein Priester hielt ihm ein Kruzifix entgegen und plapperte unaufhörlich das Vaterunser vor sich hin, ohne den Verurteilten dabei wirklich anzublicken. Nachdem sein Onkel gegangen war, hatte er die gesamte Nacht auf dem Boden gesessen und vor sich hingestarrt, jegliche Gedanken vollkommen aus seinem Bewusstsein ausschließend. Er spürte nicht, wie die Kälte sich in seine Knochen fraß. Sein Inneres war regelrecht eingefroren und nicht mehr empfänglich für irgendwelche Reize von außen. Als sie ihn am Morgen aus seiner Zelle holten, ließ er sich widerstandslos nach draußen führen. Er hatte mit der Welt abgeschlossen und sämtliche Gefühle aus seiner Brust verbannt.
Die Waffenknechte zerrten an seinen Stricken, mit denen man ihm Hände und Füße zusammengebunden hatte. Sie stießen ihn vor einen Holzblock, der bereits von tiefen Scharten gezeichnet war. Nikel Jobst, der Amtmann des Gaugrafen, stand in einiger Entfernung vom Richtblock. Mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand gebot er einem Gerichtsdiener die Trommel zu schlagen, so dass die Menge langsam verstummte.
„Habt Ihr noch etwas zu sagen, Falk von Schellenberg?“, fragte er mit dröhnender Stimme, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Ohne den Mann anzusehen, schüttelte Falk stumm den Kopf. Langsam ließ er unter gesenkten Lidern heraus den Blick über den Platz schweifen. Die Hinrichtungen in Louny fanden auf dem Marktplatz des Fleckens statt, der von einfachen Fachwerkhäusern begrenzt wurde. Bei einem steinernen Haus, dass, etwas losgelöst von den anderen, direkt gegenüber der Richtstätte stand, verharrte er. An einem geöffneten Fenster im oberen Stockwerk des Gebäudes erkannte Falk Miro. Hier residierte der Gaugraf, wenn er zu Geschäften in Louny weilte. Langsam kam wieder Leben in Falk. Er hob stolz den Kopf und starrte seinen Erzfeind so eindringlich an, dass diesem ein Schauer über den Rücken lief. Ärgerlich gab Miro dem Amtmann ein Zeichen, endlich mit der Hinrichtung fortzufahren. Er wollte die Sache hinter sich bringen. Es schien ihm gefährlich, noch länger zu warten, denn mit Sicherheit würde Falks Onkel alles versuchen, seinen Neffen doch noch vor dem Tod zu bewahren. In seiner Angst, dass zu guter Letzt etwas schiefgehen könnte, hatte er nicht bemerkt, dass Friedrich von Chomotau in der Menge stand und traurig das Geschehen beobachtete, ohne Hoffnung, dass doch ein Wunder eintreten und Falk die Rettung bringen würde.
Die Knechte stießen den Ritter nach vorn und zwangen ihn, sich vor dem Richtblock niederzuknien. Wieder fuchtelte der Pfaffe mit dem Kreuz vor dessen Gesicht herum. „Lass es, zum Teufel“, zischte Falk mit drohender Stimme. Der Geistliche sprang erschrocken zurück und schlug mehrmals hintereinander das Kreuz.
„Heilige Mutter Gottes. Der Böse hat bereits Besitz von ihm genommen“, stieß er mit heiserer Stimme hervor. „Ihr solltet Euch sputen, Henkersmeister, bevor er uns alle verflucht.“ Hektisch flog sein von Panik gezeichneter Blick zwischen dem Scharfrichter und dem Amtmann hin und her.
„Waltet Eures Amtes, Meister Peter“, wies nun auch der Büttel den Henker an. Der Mann trat hinter Falk und ließ sich von seinem Gehilfen das Richtschwert reichen. Gerade hub er an, den Verurteilten um Vergebung zu bitten für sein Tun, da kam Bewegung in die Menge. Eine junge Frau zwang sich durch die Reihen und rannte direkt auf das Schandgerüst zu.
„Haltet ein!“, rief sie. Ihr Schleier war vom schnellen Laufen verrutscht. Lange glänzende Flechten fielen ihr über den Rücken. Mit einer Hand die Kopfbedeckung haltend, mit der anderen den Rock raffend, erklomm sie die Stufen des Schafotts. Die Waffenknechte wollten nach ihr greifen, doch wich sie ihnen geschickt aus. Nikel Jobst war zu verblüfft von dem Geschehen, als dass er der Sache Einhalt gebieten konnte. Oben angekommen, warf sich das Mädchen vor dem Scharfrichter auf die Knie und deutete auf Falk.
„Es ist mein gutes Recht, diesen armen Sünder vom Halsgericht loszubitten, wenn ich ihn zum Manne wähle.“ Demütig senkte sie den Kopf.
Meister Peter war ratlos. So etwas hatte er in seinen ganzen Jahren als Henker noch nicht erlebt. Doch wusste er, dass es Brauch war, den Verurteilten mittels Heirat freikaufen zu können. Aber eigentlich ging das nur, wenn der Henker selbst einer Delinquentin die Ehe antrug, eventuell konnte die Tochter des Scharfrichters einen Mann erbitten. Aber ein vollkommen fremdes Mädchen? Doch eigentlich war er es leid, sein ganzes Leben lang Menschen zu Tode zu befördern und für immer aus der Gesellschaft der ehrbaren Menschen ausgeschlossen zu sein. Er hatte sich seinen Beruf nicht ausgesucht, sondern ihn von seinem Vater übernommen. Die Gesetze forderten, dass der älteste Sohn des amtierenden Henkers bei dessen Tod diese Pflicht übernahm. Und so musste auch Peter bereits in jungen Jahren die „Geschäfte“ seines Vaters weiterführen. Welch wunderbare Gelegenheit, einmal etwas Gutes zu tun und sich wenigstens von einer Sünde reinzuwaschen, dachte er bei sich.
Durch die Menge ging ein Raunen. „So ist es Brauch!“
„Ja, lasst ihn frei!“
„Nein, wir wollen den Hurensohn sterben sehen!“
„Er muss büßen. Er hat unsre Kaufleute überfallen.“
„Das hat sich der Gaugraf bestimmt nur ausgedacht!“ Die Rufe wurden immer lauter. Es bildeten sich zwei Lager heraus, die einen wollten, dass Falk freikam, die anderen zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Sache. Nikel wies den Henker an, mit seiner Arbeit zu warten.
Miro von Louny beobachtete mit erstarrter Miene das Geschehen. Das durfte doch nicht wahr sein. Was sollte das nun schon wieder? Bekam er seine Rache nie? Er trat in den Raum zurück und rief nach seinem Diener. „Hole mir den Amtmann herauf“, wies er diesen barsch an, als der Bursche seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.
Nikel Jobst klopfte zaghaft an die Tür. Er wusste nicht, ob es Rechtens war, dass das Mädchen um das Leben des Verurteilten bat. Doch wollte er die Sache nicht allein entscheiden, das war Aufgabe des Gaugrafen.
„Kommt rein, Nikel“, rief Miro. „Und schließt die Tür. Ich brauche keine unliebsamen Zeugen unserer Unterhaltung.“
Der Amtmann trat vorsichtig in die Kammer, seine Kopfbedeckung nervös mit den Händen knetend. Ängstlich blickte er seinen Herrn an.
„Was wisst Ihr von so einem Brauch, Nikel Jobst?“, fragte der Gaugraf ungehalten, sah er doch jetzt seine gesamten Pläne in Gefahr.
„In meiner langen Zeit als Amtmann hatten wir so einen Fall noch nicht“, begann Nikel unsicher. „Doch in Prag ist es vor Jahren dazu gekommen, dass der Sohn des Stadtvogts, der wegen Todschlags auf das Rad geflochten werden sollte, von der Henkerstochter zum Manne gewählt wurde. Daraufhin ließ