"Seht, meine Geschichte ist noch nicht zuende. Laßt mich erzählen: Der Tagelöhner läuft zurück ins Dorf, in seine armselige Hütte. Er zerrt die Ziege aus dem Stall, steckt die Hühner in einen Korb und läuft auf den Markt. „Was gebt ihr dafür,“ ruft er. „Ich will es verkaufen!“ Verstört eilt seine Frau ihm nach: „Was tust du,“ ruft sie. Aber er läßt sich nicht beirren. „Rasch, hol auch die Schlafmatten, die Töpfe! Verkaufe alles!“ Sie zögert. Doch sie sieht, wie seine Augen leuchten vor Freude. Da gehorcht sie. Dann ist alles verkauft. Er eilt ins Gasthaus, trifft auf den Fremden, der ihm den Auftrag gegeben hat: „Du wolltest den Acker doch verkaufen,“ fragt er. „Ich könnte ihn gebrauchen. Hier - soviel könnte ich dir geben.“ Erstaunt blickt der Fremde auf das Geld. Ein guter Preis, denkt er. Er hält die Hand hin, und der andere schlägt ein. Nun ist der Acker sein Eigentum. Der Acker - und der Schatz darin."
Der alte Jizchak lächelt verschmitzt: "Ganz schön schlau, dieser Mann in deiner Geschichte. Aber es war doch ein Risiko."
Da fällt ihm Josafat ins Wort: "Ja, er war klug. Aber er wußte, was er tat. Dieser Schatz war es wert. - Ein solcher Schatz ist es allemal wert," fügt er leise hinzu. "Nicht wahr, Meister, das meinst du doch? Wenn wir Gott entdecken - da, wo wir ihn gar nicht erwarten, mitten in unserem Alltag; wenn wir plötzlich eine Hoffnung spüren, die uns durchdringt - dann wird alles andere unwichtig. Der Tagelöhner konnte von diesem Schatz leben - ja, er konnte abgeben, seine Freude teilen. So ist es doch: Plötzlich ist mein Leben etwas wert. Nein - nicht ich habe ihm diesen Wert gegeben, sondern er ist ein Geschenk. - Das ist stärker als alle Enttäuschungen, als meine Verzweiflung. Plötzlich gibt es eine Hoffnung: Wir können etwas ändern, auch in dieser Welt, denn der Schatz und der Acker... Gott und die Welt gehören zusammen. Gott gehört in unsere Welt."
Er hält einen Augenblick inne, selbst erstaunt über das, was er sagt. Doch dann fährt er fort: "Die Steine im Acker bleiben, und der Boden bleibt oft hart. Das ist wahr. Aber es gibt da nun etwas, was mir Mut machen kann. Das habe ich verstanden: Ich kann mich offenhalten für das Unerwartete, und das ist kein Traum. Ich kann sogar mittun bei dem, was erst noch Hoffnung ist. Willst du das sagen, Meister? Wir haben Gott nicht. Aber wir können ihn immer neu entdecken - denn er ist uns ganz nahe."
Der Rabbi ist aufgestanden. "Ich habe euch nur eine Geschichte erzählt," sagt er. "Aber ihr habt recht: Es ist eine Geschichte von Gott. Nun ist es nicht mehr meine, sondern eure Geschichte. Und das ist gut." Er wendet sich. Er geht. Aber sie sind nun nicht mehr allein.
Kommentar
Die Perikope besteht aus zwei gleichsam in Telegrammstil formulierten Gleichnissen ähnlichen Inhalts: Um einen glücklichen Fund in Besitz zu bekommen, muß das vorhandene Eigentum verkauft werden. Ich habe drei wichtige Vorentscheidungen getroffen:
1. Diese knappe Angabe muß in eine echte Geschichte zurückverwandelt werden: Ich versetze mich dafür in die Zeit Jesu zurück, um ein Szenario zu entwickeln, so wie es Jesus sicherlich ähnlich geschaffen hätte, damit seine Erzählung das erforderliche Interesse und die nötige Spannung erzeugt, um als Gleichnis zu dienen.
2. Ich kann nur eine Geschichte entfaltend erzählen, muß also ein Gleichnis auswählen. Ich entscheide mich für das erste.
3. Ich muß in meiner Erzählpredigt Jesus für seine Geschichte eine Ausgangssituation, einen Anknüpfungspunkt schaffen, auf die hin er erzählen kann. Ich muß mich also auf die Suche nach einem "Sitz im Leben" machen.
Aus diesen vorab getroffenen Entscheidungen ergeben sich folgende Konsequenzen:
1. Auf der Suche nach einem Anknüpfungspunkt prüfe ich das Bildmaterial des Gleichnisses: Der Acker als Lebensgrundlage der bäuerlichen Gesellschaft Palästinas kann zum Bild für das Leben überhaupt werden. Er ist Symbol der Erwartungen und Hoffnungen des Menschen im Warten auf das Aufgehen der Saat und das Reifen der Ernte. Er ist zugleich Symbol für alle Mühe und Anstrengung ("Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen"), aber auch für Enttäuschung und Resignation ("Dornen und Disteln soll er dir tragen"). Da es um den im Boden verborgenen Schatz geht, wähle ich als Gegenbild die Steine, die in vielen Äckern Palästinas in großer Zahl zu finden sind, oft dicht unter dem dünnen Mutterboden.
2. Ich muß weiterhin einen Zuhörerkreis schaffen, der die damaligen Erwartungen und Enttäuschungen artikuliert und somit die Frage nach der kommenden Herrschaft Gottes stellt, auf die Jesus mit seinem Gleichnis antwortet.
3. Schließlich muß diese historische Situation transparent werden für den heutigen Menschen, der ja eben nicht in Hoffnung auf den Messias und die lebt, wohl aber nach Gerechtigkeit, Frieden und Lebenssinn fragt und der ähnliche Enttäuschungen kennt. Erst dann wird ja aus einer Erzählung auch eine Erzählpredigt.
So entwickelt sich meine Geschichte: Repräsentanten unterschiedlicher Lebenshaltungen benutzen und entfalten das vorgegebene Bild des steinigen Ackers als "Acker des Lebens", und an dieses Bild knüpft Jesus an, um seine Hörer langsam zu einer neuen und überraschenden Erkenntnis zu führen. Indem sie Zweifel äußern, hellhörig und nachdenklich werden und letztlich selbst die Schlußfolgerung aus der Gleichniserzählung ziehen, können sich meine Predigthörer mit ihnen identifizieren und ihren Weg zu einer neuen Einsicht mitgehen. Wenn ich es recht erinnere, hat für die Ausgestaltung der Gleichniserzählung Jürgen Seim Pate gestanden, auf dessen Band ich gerne und empfehlend hinweise. (Seim, Jürgen: Die große Entdeckung. Geschichten von Jesus, Göttingen 1980)
Beispiel 2: 1. Mose 3, 1 - 19 (in Auszügen)
Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN zwischen den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß? Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß. Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.
Es war ein Garten voller Blütenduft. Ringsum wuchsen Früchte und Beeren an Bäumen und Sträuchern. Sonnenlicht flutete hindurch, reine Luft lud zum Atmen ein. Aus einer Quelle sprudelte kristallklares Wasser. Zwischen den Zweigen bewegten sich zwei Menschen, ein Mann und eine Frau. Mit leichter Hand schlug der Mann die Hacke in den weichen Boden, lockerte die Erde zwischen den Büschen, an denen leuchtende Trauben hingen. Er pfiff leise vor sich hin. Die Frau lachte und winkte ihm zu. Sie trug lange Blätter in ihrem Arm, um daraus eine Matte zu flechten.
"Es