»Hm! Ich kann freilich nichts dagegen sagen; aber es ist ein Gefühl in mir, welches mich direkt nach Albuquerque treibt.«
»Ich weiß, daß mein Bruder zuweilen solche unbestimmte Gefühle hat, die ihn selten täuschen; aber in diesem Falle bitte ich ihn, nicht auf eine solche Ahnung, sondern auf die Stimme der Berechnung zu hören.«
»Wenn Winnetou dies thut, so weigere ich mich nicht länger, ihm zu folgen. Reiten wir also der Jüdin nach!«
Wir kauften in Henrietta noch einige Gegenstände, welche dazu dienten, unsere Ausrüstung zu vervollständigen, und verließen den Ort, indem wir zunächst eine westliche Richtung einhielten, bis wir des Abends einen Nebenfluß des Red River erreichten, über welchen wir am andern Morgen setzten. Von da ging es nach Norden, auf den South Fork of Red River zu. An diesem langten wir am nächsten Mittag an.
Hier war die Dryfurt, von welcher wir gehört hatten. Die Furt hat den Namen erhalten, weil hier der Fluß so breit und seicht ist, daß ein Reiter, falls nicht Überschwemmung ist, hinüberkommen kann, ohne einen einzigen Tropfen Wasser an seinen Körper zu bekommen.
Wir hatten bisher immer genügende Weide für die Pferde gehabt und sahen auch die Spur des Wagens, welchem wir folgten. Jetzt aber wendete sich letztere so nach Nordwest, daß der nördliche Arm des Flusses und die Quelle desselben östlich liegen blieb, und wir mußten uns darauf gefaßt machen, eine Zeitlang kein Futter für unsere Pferde und kein Wasser für sie und uns zu finden. Es verstand sich daher ganz von selbst, daß wir uns satt tranken und auch die Tiere tüchtig trinken ließen. Dann ging es weiter.
Viel vorteilhafter wäre der Weg über den Camp Radzimsky und Fort Elliot gewesen; aber Jonathan Melton hatte aus naheliegenden Gründen bewohnte Orte vermieden. Je weniger er auf seiner Flucht gesehen wurde, desto besser war es für ihn.
Ich habe schon gesagt, daß die Jüdin einen Vorsprung von acht Stunden vor uns gehabt hatte, und leider war es uns bisher nicht gelungen, denselben zu verringern; es schien vielmehr, als ob er bedeutend größer geworden sei. Sie hatte zwar den schweren Wagen, genoß dafür aber den Vorteil, daß sie ihre Pferde wechseln konnte, was bei uns nicht der Fall war.
Das Grün, welches wir zwischen den Nebenflüssen des Red River gefunden hatten, verschwand; die Prairie ward zur Wüste, und zwar zur Sandwüste, durch welche wir einen ganzen Tag lang ritten, ohne einen Grashalm zu erblicken.
Am andern Morgen verwandelte sich der Sand in festen Stein, der eine solche Härte besaß, daß die Spur, welcher wir folgten, beim besten Willen und trotz allen Scharfsinns nicht mehr zu erkennen war, zumal wir jetzt annehmen mußten, daß die alte Ueberlandpostkutsche nun einen Vorsprung von einem Tage besaß. Glücklicherweise kamen wir, als wir kreuz und quer nach der Spur suchten, an eine große Lache, deren Wasser uns sehr willkommen war, obgleich es eine nicht sehr appetitliche Farbe hatte. Wir tranken, indem wir unsere Taschentücher als Seiher vor den Mund hielten, und ließen dann auch die Pferde schlürfen, bis kein Wasser mehr, sondern nur noch Schlamm vorhanden war.
Wir fanden die verlorene Spur erst dann wieder, als der Boden abermals sandig wurde, doch hatten wir mit dem Suchen einen zweiten Tag verloren. Die Fährte war also nun zwei Tage alt und infolgedessen nur stellenweise zu erkennen.
»Dumme Geschichte!« meinte Emery. »Wenn das so fortgeht, holen wir das Weibsbild im ganzen Leben nicht ein!«
»Wenigstens bis Albuquerque nicht«, antwortete ich.
»So hast du doch recht gehabt, daß es besser sei, der Spur nicht zu folgen, sondern lieber gleich direkt nach Albuquerque zu reiten.«
»Diese Einsicht kommt leider nun zu spät. Wir können nicht zurückkehren.«
»Und wenn dies möglich wäre, würde Winnetou es nicht thun,« fiel der Apatsche ein. »Es ist ja möglich, daß Jonathan Melton unterwegs angehalten hat, um auf die Jüdin zu warten. In dem Falle holen wir den Wagen sicher ein.«
»Und wo meint mein Bruder, daß er angehalten hat?«
»Da, wo Wasser ist, also oben am Canadianflusse, bis zu welchem wir noch zwei Tagesreisen haben.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich achtete den Scharfsinn und die Erfahrung des Apatschen zu hoch, als daß ich ihm hätte in Gegenwart Emerys scharf widersprechen mögen. Ich war anderer Ansicht gewesen, als er, hatte mich aber der seinigen gefügt, und so wären Nörgeleien oder gar Vorwürfe überflüssig gewesen. Er aber bemerkte mein Kopfschütteln und fragte:
»Ist mein Bruder anderer Meinung, als ich?«
»Ja. Ich meine, daß wir die Jüdin nicht einholen werden.«
»Auch dann nicht, wenn Jonathan Melton auf sie wartet?«
»Auch dann nicht. Er wartet doch nur so lange, bis sie kommt, und geht dann sofort mit ihr weiter.«
»Uff! Vielleicht giebt er ihr Zeit, auszuruhen!«
»Gewiß nicht, denn er wird ja von ihr erfahren, daß wir hinter ihr her sind.«
Da senkte er den Kopf und sagte kleinlaut:
»Mein Bruder hat recht. Wir hätten seiner Stimme und nicht der meinigen folgen sollen. Winnetou ist ein Thor gewesen.«
Es that mir innerlich förmlich wehe, daß dieser Mann sich einen Thor nannte; es sollte ihm später allerdings auch die Rechtfertigung werden, daß wir trotz meiner Behauptung die Kutsche doch noch einholten, leider aber unter ganz andern Umständen, als der Apatsche vorausgesetzt hatte.
Also bis zum Canadian-River hatten wir noch volle zwei Tagereisen, und die waren sehr schlimm. Wir befanden uns auf der schon erwähnten Hochebene; unsere Pferde wateten im tiefen Sande, und die Sonne brannte so heiß auf uns, daß wir uns in einem Backofen denken konnten. Dennoch brachten wir den ersten Tag glücklich zu Ende und wären dann nach kurzer Rast gern weiter geritten, um die Kühle des Abends und der Nacht zu benutzen, aber das konnten wir nicht, da wir in der Dunkelheit die Spur verloren hätten.
Glücklicherweise kamen wir am andern Morgen wieder an eine Lache, welche wir von den Pferden austrinken ließen, und gegen Mittag erreichten wir eine Stelle, welche von stacheligen Kakteen bestanden war. Die runden Früchte derselben enthalten einen wässerigen Saft, welcher zwar nicht sehr wohlschmeckend ist, aber dem Dürstenden doch das Wasser zu ersetzen vermag. Das wissen auch die Tiere.
Wir tranken also so viel solchen Saft, bis unser Durst gelöscht war, und entstachelten auch für die Pferde einen ganzen Haufen von Früchten, welche von ihnen mit Begierde verzehrt wurden. Dann ging es weiter.
Wir rechneten, daß es möglich sei, bis zum Abend irgend ein Nebenflüßchen des Canadian zu erreichen. Da gab es gewiß so viel Wasser und Gras, daß dann alle Entbehrung zu Ende war.
Bald nach Mittag wurde die Luft so schwül, daß man sie kaum zu atmen vermochte, und der Horizont im Süden nahm einen rötlichen Schimmer an. Winnetou blickte sich einigemale nach dieser Richtung um.
»Das sieht fast genau so aus, wie wenn in der Wüste ein Samum zu erwarten ist,« bemerkte Emery.
»Wird auch wohl einer werden!« antwortete ich. »Es ist ein Glück, daß wir uns nicht allzu weit vom Flusse befinden. Mit den Stürmen des Llano estacado ist nicht zu scherzen.«
»Mein Bruder Shatterhand hat recht,« stimmte Winnetou bei. »Wenn der Geist des Llano aus der Tiefe steigt, so stürmt er ergrimmt über die Wüste hin, wirft den Sand bis zum Himmel empor und stürzt, wenn er fruchtbare Gegenden erreicht, ganze Wälder um.«
»Alle Wetter! Und Ihr denkt, daß wir es wirklich mit diesem bösen Geiste zu thun haben?«
»Er kommt. Winnetou weiß es ganz genau. Meine Brüder mögen ihren Pferden die Sporen geben. Wenn wir nicht unter den Wolken und Wogen des Sandes begraben werden wollen, müssen wir uns beeilen, einen Ort zu finden, in welchem uns die Gewalt des Sturmes nicht voll zu treffen vermag.«
Wir ließen also die Pferde laufen, was sie nur laufen konnten. Sie merkten infolge ihres Instinktes selbst, welch eine große Gefahr sich hinter ihnen