Seine Eltern forschten sicher nach seinem Verbleib, doch bislang hatten sie ihn nicht gefunden und Mark hoffte, dass dies auch eine Weile so blieb. Während einer Zwischenstation seiner Reise hatte er einen Brief an seine Mutter geschrieben und ihr mitgeteilt, dass es ihm gut gehe. Das Schreiben hatte sie beruhigen sollen, doch Mark kannte seine Mutter und spürte, dass sie sich in jeder Minute um ihn und seinen Vater sorgte.
Manchmal fragte er sich, ob sein Entschluss richtig gewesen war, doch wie hätte er zu Hause bleiben können, während sein Vater und so viele andere um den Erhalt der Union kämpften? Eigentlich wollte er ebenfalls in den Krieg ziehen, doch nun hatte es ihn ins Indianergebiet verschlagen. Vielleicht war dies sogar der bessere Weg. Im Osten und im Süden kämpfte Vater gegen Sohn und Bruder gegen Bruder, hier, an der Indianergrenze, schützte Mark hingegen weiße Siedler vor der Gefahr durch Indianer.
Mark hatte aus den Schilderungen seines Vaters Matt schon viel über die verschiedenen Indianervölker gehört und hütete sich vor dem Schwarz-Weiß-Bild, welches das Denken der meisten Menschen beherrschte. Wie bei den Weißen, so gab es auch bei den Roten Ehre und Heimtücke, und man konnte Niemandem hinter die Stirn blicken. Sein Vater berichtete ihm in den vergangenen Jahren von Apachen, Comanchen und Kiowas, die Stämme der Sioux waren Mark hingegen fremd und er war neugierig, welchen Gebräuchen sie wohl folgen mochten. Er wollte von ihrer Kultur lernen und sie nicht unbedingt bekämpfen, aber er war entschlossen, dies zu tun, wenn es erforderlich wurde. So, wie sein Vater es ihm immer vorgemacht hatte. Ein Mann von Ehre zu werden, der seinem Gewissen folgte und sich auch im Krieg die Menschlichkeit bewahrte.
Im Augenblick verfügte die „H“-Kompanie über eine Gesamtstärke von zwei Offizieren, einem First-Sergeant, zwei Sergeants, vier Corporals und, Mark als Hornist eingeschlossen, siebenundvierzig Privates. Somit fehlten vierundvierzig Soldaten, um das eigentliche Soll zu erfüllen. Einigen Regimentern gelang es, die volle Kriegsstärke von 1.000 Mann zu erreichen, doch das waren Ausnahmen. Wenigstens war es gelungen, die acht Kompanien der fünften Wisconsin auf eine Stärke von 544 anzuheben. Das war vor allem dem rührigen Captain Trumball zu danken, dem es in Winnebago gelungen war, zwei Milizeinheiten in Stärke von 180 Mann für das Regiment zu rekrutieren. Jenen Milizionären mochte es an etwas Disziplin mangeln, doch dafür waren sie ausgezeichnete Schützen und Reiter. Der Rest des Regiments hatte diesbezüglich noch einigen Nachholbedarf, obwohl die Männer im vergangenen Vierteljahr intensiv gedrillt worden waren. Vor allem die Schussleistungen waren Verbesserungsfähig und Larner hoffte, mit dem nächsten Nachschub genug Munition zu erhalten, um ein begrenztes Schießtraining durchführen zu können. Er würde es mit gemischten Gefühlen anordnen, denn Siedler und Indianer konnten es als Kampfvorbereitung werten, was es ja im Grunde auch war. Aber Larner stand in der Verantwortung für den Frieden und für seine Schutzbefohlenen. Sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, wollte er seine Männer dem Feind nicht zum Fraß vorwerfen.
First-Sergeant Jim Heller und Sergeant Billings kamen zum Tisch der beiden Offiziere. Larner schob seinen Teller zur Seite und bot den beiden Unteroffizieren Platz an. Die Männer kannten sich schon aus der Zeit vor der Aufstellung des Regiments und hatten wesentlichen Anteil daran, dass die Kompanie zu einer Einheit zusammenwuchs, so unterschiedlich die Soldaten auch sein mochten und so viele Muttersprachen sie auch ihr Eigen nannten. Obwohl bei vielen Freiwilligen-Regimentern ein eher lockerer Umgangston herrschte, denn in vielen wählten die Mannschaften ihre Offiziere, legte Larner großen Wert auf formalen Umgang. Die Formen zu wahren half, nach seiner festen Überzeugung, die Disziplin zu stärken.
„Ein freundschaftlicher Umgangston mag zu einem kameradschaftlichen Verhältnis untereinander beitragen“, hatte der Captain seinen Standpunkt erklärt, „aber er kann auch dazu verleiten, dass eine Truppe zum Debattierclub verkommt. 1861 hat man das 39th New York Volunteer Infantry Regiment aufgestellt. Die Männer tragen rote Hemden und nennen sich „Garibaldi Guards“, nach irgendeinem Freiheitskämpfer in Europa. Lauter gute Kumpels, Gentlemen, die über alle wichtigen Dinge demokratisch abstimmten. Leider auch über Befehle im Gefecht und die Leute haben das mit viel Blut bezahlen müssen. Inzwischen sind sie von der Demokratie abgerückt und folgen der Befehlsstruktur. Unsere Männer, Gentlemen, werden bei Befehlen nicht diskutieren, sondern sie ausführen.“
Getreu diesem Motto führte der alte Captain seine Truppe. Da er sich zugleich jedoch auch nahezu väterlich um ihre Belange sorgte, akzeptierten die Soldaten ihn als harten, aber auch sehr fairen Offizier.
„Private Hermann und die Deutschen haben gefragt, ob sie nach dem Dienst nach Farrington reiten dürfen“, berichtete Heller.
Zehn der Soldaten stammten aus deutschen Ländern und hatten kaum ein Wort Englisch gesprochen, als sie im Hafen von New York amerikanischen Boden betraten. Inzwischen beherrschten sie die englischen Kommandos, blieben aber oft unter sich, da ihr allgemeiner Sprachschatz noch immer begrenzt war.
Larner runzelte die Stirn. „Vielleicht keine schlechte Idee. Es könnte zur Entspannung beitragen.“
Prentiss hob eine Augenbraue. „Sir?“
Der Captain seufzte vernehmlich. „Jack, die Leute aus Farrington sind nicht gerade glücklich über unsere Anwesenheit. Dieser Town-Mayor von Trauenstein und seine Siedler sind zwar durchaus höflich, aber auch sehr distanziert. Es wäre jedoch gut, wenn wir, wie man so schön sagt, das Eis brechen könnten, denn wir benötigen die volle Unterstützung der Stadtbewohner.“
„Ich verstehe, Sam. Die Siedler hier sind Deutsche, genau wie Hermann und seine Jungs.“
Larner nickte. „Sagen Sie Hermann, er kann mit seinen Jungs nach Farrington reiten. Schärfen Sie ihm ein, dass ich keine Klagen hören will.“
Der First-Sergeant lächelte. „Es sind gute Jungs, Sir. Die werden keinen Ärger machen.“
Sergeant Billings schielte begehrlich auf den Nachtisch, den Larner kaum angerührt hatte und der Captain lachte leise und schob den Teller hinüber. „Besten Dank, Sir“, murmelte er, „Sie haben ein Herz für schwer arbeitende Kavalleristen.“
„Die zudem schwer duften“, spottete Prentiss.
Billings nickte. „Der Captain hat uns eingeschärft, den Männern mit gutem Beispiel voranzugehen, Sir. Also habe ich bei den Latrinen auch selbst eine Schaufel in die Hand genommen.“
„Recht so“, stimmte Larner zu. „Also schön, wie gut kommen wir voran?“
Die beiden Sergeants schoben die Gedecke zur Seite und Prentiss entrollte den Plan auf dem Tisch. „Wir sind gut vorangekommen. Die Grabenteile für die Palisaden werden bis heute Abend fertig. Die ersten Fuhren für die Einfriedung sind vorbereitet und wir können morgen mit dem Aufstellen des ersten Palisadenteils beginnen.“
Sam Larner beugte sich ein wenig vor und strich nachdenklich über den langen grauen Bart. „Wir haben Frühjahr und recht angenehme Temperaturen. Da lässt es sich gut in den Zelten aushalten. Die Unterkünfte an der Südseite haben also noch Zeit. Ich schlage vor, dass wir mit der nordwestlichen Ecke beginnen. Dort soll ja auch einer der beiden Wachttürme entstehen. Entlang der Nordseite ziehen sich der Küchenbau, das Vorratslager und das Magazin, dazu das Haupttor, die Wachstube und die Kommandantur mit den Offiziersquartieren. An der Ostseite befinden sich später die