Julia. Gunter Preuß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gunter Preuß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044362
Скачать книгу
muss. Wir müssen der Direktion zeigen, dass wir Herrn Rohnke brauchen. Mehr noch als die 12a. Wir wollen die Rosen nicht. Hand drauf!«

      Liebscher gab zuerst Julia die Hand. Dann ging er von einem zum anderen. Zuletzt stand Liebscher vor Pit.

      Pit war aufgestanden. Sie standen sich wortlos gegenüber, sahen sich in die Augen.

      Liebscher streckte etwas zögernd seine Hand vor.

      Julia forderte: »Schlag ein, Pit!«

      Pit sah Julia an. Sie meinte einen Vorwurf in seinem Blick gesehen zu haben.

      Pit setzte sich wieder. Er sagte: »Dafür gebe ich meine Hand nicht.«

      Pele rief aus sicherer Entfernung: »Hast du 'ne Macke, Mann! Wir sind doch alle gegen die Neue!«

      Pit verteidigte sich. »Ich kenne sie doch noch gar nicht. Ich weiß doch überhaupt nicht, wie sie ist. Ich kann mich nicht gegen jemanden stellen, den ich nicht kenne.«

      Liebscher schrie: »Du bist ein faules Ei, Janko! Du müsstest ... !«

      Julia stellte sich zwischen die beiden. Sie sagte: »Sieh doch mal, Pit: Herrn Rohnke kennst du aber. War er nicht immer wie ein Freund zu uns! Und dass er eine Menge kann, wirst du doch nicht abstreiten wollen. Alles verdanken wir Herrn Rohnke. Hat er dir nicht im letzten Jahr durch die Prüfung geholfen?«

      Pit rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Natürlich hat er mir geholfen. Aber das hat doch nichts mit der Neuen zu tun. Man muss ihr doch wenigstens eine Chance geben.«

      Liebscher ereiferte sich. »Eine Chance geben! Wenn ich so etwas höre! Wir sind hier schließlich nicht in deinem Boxring, Janko!«

      Pit war aufgesprungen. Julia sah es ihm an, dass er sich schwer beherrschen konnte. Er sagte: »Dort geht es aber wenigstens fair zu, Liebscher!«

      Julia versuchte noch einmal, Pit umzustimmen: »Denk doch nur mal nach, Pit! Findest du es etwa fair, dass man uns so mir nichts, dir nichts eine neue Lehrerin vor die Nase setzen will? Stell dir vor, dir würde man einfach deine Mutter - oder deinen Vater austauschen wollen ... «

      Julia sah, wie Pit zusammenzuckte, als hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen.

      »Lass mich mal«, sagte Liebscher. »Ich glaube, bei dem nützt die sanfte Tour nichts. Wir werden wohl wie Männer miteinander reden müssen, Janko!«

      Ellen ließ ihre Tasche fallen. »Du wirst dich doch nicht prügeln wollen, Werner?«

      Die Jungen und Mädchen umringten Liebscher und Pit.

      Pit war ein Stück von Liebscher zurückgewichen. Er wusste, dass er kaum eine Chance hatte, wenn er in den Bereich von Liebschers Zugriff kam. Er musste ihn auf Distanz halten, wenn er nicht von seinem Gegner mit einem Judogriff zu Fall gebracht werden wollte.

      Liebscher lauerte auf einen günstigen Moment. Der kam, als Julia Pit noch einmal ansprach, um die Angelegenheit friedlich zu lösen.

      Pit wandte sich Julia zu. Auf diesen Moment hatte Liebscher gewartet. Im Augenblick lag Pit auf den Dielen.

      Liebscher hatte seinen rechten Arm im Armhebel.

      Es war still im Klassenzimmer. Man hörte nur das heftige Atmen der beiden Kämpfenden.

      »Hör mir jetzt zu, Janko«, befahl Liebscher. »Ich sage nicht gern zweimal dasselbe. Ich frage dich noch einmal: Hältst du zur Klasse oder zu dieser Rosen?«

      Julia sah, dass Pit Schmerzen hatte, doch er sagte nichts. Seine Lippen waren ein schmaler Strich.

      Liebscher zog den Armhebel an. Er wurde immer wütender, weil Pit ihn zwang, ihm mit Gewalt etwas ganz Selbstverständliches abzuverlangen.

      »Hast du denn überhaupt nichts bei Herrn Rohnke gelernt?«, schrie Liebscher. Er ahnte, dass Pit sich lieber den Arm brechen lassen würde, als zu reden.

      Pit bäumte sich auf. Er hatte unerträgliche Schmerzen im Ellenbogen. Fest biss er seine Lippen zusammen, um nicht zu schreien.

      Julia hielt das nicht mehr aus. Auch die anderen wurden unruhig. Ellen hatte ihren Kopf in den Händen verborgen. Gerda Munkschatz riss vor Aufregung eine Seite aus ihrem Geschichtsbuch.

      »Auseinander!« rief Julia. »Sofort ... !«

      Von der Tür ertönte ein Pfiff. Pele hatte die Nerven behalten und Wache gestanden.

      »Herr Rohnke kommt ... !«

      Die Jungen und Mädchen sprangen auf ihre Plätze.

      Der Lehrer trat langsamer als gewöhnlich ins Klassenzimmer. Er hielt einer jungen Frau die Tür auf. Beide gingen zu Rohnkes Tisch.

      Liebscher und Pit lagen noch am Boden.

      Herr Rohnke wartete, ohne etwas zu sagen, bis die beiden aufgestanden waren und sich auf ihre Plätze gesetzt hatten.

      Pit biss noch immer die Lippen zusammen. Liebscher wusste mit seinen Händen nicht wohin. Er schob sie in die Taschen seiner Hose.

      Julia war es unangenehm, dass Herr Rohnke diese Prügelei gesehen hatte. Er hatte doch bestimmt genug Sorgen. Sie wollte schon eine Entschuldigung vorbringen, aber sie war dabei.

      So ernst die Situation war, Julia musste lächeln. Die Neue war klein, hatte eine gute Figur, hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wippte nervös auf den Zehenspitzen. Sie hatte braunes aufgestecktes Haar und große, etwas verträumte Augen.

      Hinter sich hörte Julia Röbel anerkennend sagen: »Klasse Puppe!«

      Julia dachte: Leute, fällt euch sonst nichts auf? Das könnte doch unsere große Schwester sein. Und die will unseren Herrn Rohnke ersetzen? Einfach lächerlich.

      Herr Rohnke ging zu einem Fenster und öffnete es. Er setzte sich auf das Fensterbrett und strich sich mit den Händen über die Stirn. Der Wind stieß kalt ins Klassenzimmer.

      Er sagte noch immer nichts. Es sah so aus, als suche er nach Worten und fände keine. So kannten sie ihn nicht. Er hatte stets das richtige Wort gefunden.

      Sie wurde immer unruhiger, begann aus ihrer breiten Ledertasche Bücher auszupacken. Als Herr Rohnke weiterhin schwieg, stellte sie sich vor: »Mein Name ist Rosen. Ich bin eure neue Klassenlehrerin.«

      Julia hörte, dass ihre Stimme gewollt fest klang. Die Rosen sprach mit norddeutschem Akzent. Julia spürte ihre Unsicherheit.

      Herr Rohnke war vom Fensterbrett aufgestanden. Er ging zur Neuen und sagte: »Entschuldigen Sie, Kollegin Rosen. Das ist sonst nicht meine Art ... «

      Er wandte sich der Klasse zu. Er stand etwas gebeugt, sah durch alle hindurch und sagte: »Also, die Zwölfte braucht mich nun. Macht mir und Frau Rosen keinen Kummer. Ich bin ja nicht aus der Welt. Und um meinen Sportunterricht kommt ihr nicht herum.«

      Herr Rohnke hatte zum Abschluss noch einen Scherz machen wollen. Aber der misslang. Er gab Frau Rosen die Hand und lief eilig aus dem Klassenzimmer.

      Julia legte sich die Arme um die Schultern. Ihr war kalt. Sie hatte Kopfschmerzen. Der Wind trieb Blätter und schmutziges Papier durchs Fenster.

      Die Mädchen und Jungen schwiegen, blickten zur Tür. Es sah aus, als warteten alle, dass sie sich jeden Moment öffnen und Herr Rohnke zurückkommen würde, als hätte er nur ein Stück Kreide aus dem Lehrerzimmer geholt. Aber Herr Rohnke vergaß nie die Kreide.

      Die Rosen packte noch mehr Bücher aus. Dann sah sie hoch. Sie suchte ein ihr zugewandtes Gesicht, einen freundlichen Blick, ein Lächeln. Aber sie fand nichts von alledem. Sie lief zum Fenster und schloss es.

      Das Keifen des Windes war verstummt. Nur die Schritte der Lehrerin, das harte Aufprallen der Absätze auf den Dielen, waren zu hören.

      Julia war wütend, enttäuscht. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, wie immer, wenn sie etwas nicht begriff und nicht weiter wusste.

      Das Fenster!, dachte sie. Das Fenster hat Herr Rohnke geöffnet! Wollte sie die