„Debra, das tut mir leid, ich wusste es nicht. Außerdem habe ich das Angebot zurückgezogen.“
„Ach?“
„Es ist wirklich nicht verfilmbar.“
„Was ist mit Verena?“
„Was hat sie damit zu tun?“
„Sie wollte dich überreden, mit uns zusammenzuarbeiten, aber du musstest ja unbedingt mit Leon reden.“
„Wer ist mit ‚uns‘ gemeint?“
„Proud Placement – die Konkurrenz zu Leons Produktionsfirma, bei der ich jetzt berate.“
„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich denke ‚Katzenhund‘ ist unverfilmbar.“
„Wir wollen nicht den Roman verfilmen, sondern nur eine Figur übernehmen, die für unseren Stoff genau passen würde. Wir sollten uns treffen und in Ruhe darüber reden.“
„Im Moment ist es sehr ungünstig, ich muss einen Termin einhalten. Ich melde mich. Ciao.“
Berger war es, als sei das Telefon zu heiß geworden und schmiss es förmlich von sich.
Hatte Debra sich nur auf ihn eingelassen, weil sie für einen Stoff einen Teil seines Buches nutzen wollte? War alles, was sie ausmachte, reines Kalkül? Das wäre nicht die Frau, die er als Vorlage gebrauchen konnte.
Ratschlag
Seit langer Zeit hatte er keinen Fuß mehr ins Moustache gesetzt. Dort wimmelte es von angehenden und Möchtegernschriftstellern. Mitunter verirrte sich auch ein halbwegs erfolgreicher Schreiber dorthin, um sich gebührend feiern zu lassen. Letzteres hatte Berger nicht im Sinn, als er dort einkehrte, eher ließ er sich unbewusst dahin treiben, um dem Redcliff auszuweichen. Hier würde er keine Filmleute treffen.
Er tauschte mit einigen Bekannten und ehemaligen Studenten die üblichen Belanglosigkeiten und Lästereien über Verlage und Lektoren aus. Obwohl ihn nichts wirklich berührte, fühlte er sich irgendwie zuhause, zurückversetzt in die Zeit, als einem als Anfänger alles möglich schien, man sich nur zwischen Ironie, Purismus oder Realismus entscheiden musste, um dann den Zaubertrank zuzubereiten, dessen Magie die Leser verfallen würden. Ihm fiel auf, dass die jungen Autoren oft noch dieselben unsterblichen Vorbilder hatten wie er seinerzeit – bis auf diejenigen, die an das Wunder der jungen deutschen Literatur glaubten und sich in den Fußstapfen eines Leberts oder Stuckrad-Barres sahen.
In einer Gruppe entstand eine Grundsatzdiskussion über den Einfluss der jungen russischen Autoren auf die deutsche Szene. Jemand warnte vor Epigonentum, da die russischen Verhältnisse unvergleichbar härter und gegensätzlicher seien. Ein anderer hielt dagegen, dass die deutschen Verhältnisse vielleicht sogar krasser und bizarrer seien, aber der wahrhafte Blick darauf fehle.
Berger fühlte sich diesen Grundsatzdiskussionen entwachsen, sie regten ihn einfach nicht mehr genug auf. Dennoch schloss er sich einer Gruppe an, die ihr Gespräch in einer Wohnung fortsetzen wollte. Er tat dies fast willenlos, denn er dachte nur daran, wie er den Verlust von Debra ausgleichen könnte.
Natürlich hätte er jede Figur selbst erfinden können, aber das Schmerzliche war, dass es einen realen Menschen gab, der, und das wusste er, sich absolut mit seiner Phantasie deckte. Alles andere wäre ihm dagegen schal und abgestanden vorgekommen. Warum zweifelte er eigentlich an ihr? Reagierte er nicht über, wenn er ihr vorwarf, dass sie ihn benutzte? Sie hatten sich doch rein zufällig getroffen. War es nicht normal, jemanden um etwas zu bitten, wenn man erfährt, dass man etwas von ihm gebrauchen kann? Ja, er hatte überreagiert!
In der großen Altbauwohnung, in der er sich mit der Gruppe einfand, interessierte sich Berger vor allem für die üppige Bibliothek. Er erfuhr, dass deren Besitzer Professor für Jura war und die Literaturliebhaberei zum Ausgleich für seine trockene Materie betrieb. Berger bemerkte bald, dass er nicht nur Literatur, sondern auch junge Autoren liebte. Von denen versammelte er diejenigen, die seine Neigungen erwiderten, auch alsbald um sich. Unter den Gästen befanden sich allerdings auch zwei offensichtlich heterosexuelle Pärchen.
Als ein älterer Kollege sich verabschiedete, war auch Berger versucht zu gehen, hätte ihn nicht die Bibliothek derart gefesselt. Die wichtigsten Klassiker, aber vor allem viele Exoten, die Berger gar nicht kannte oder von denen er nur gehört hatte. Inzwischen war er dort alleine, verschaffte sich einen Überblick, zog ab und an ein Buch heraus, um einige Zeilen darin zu lesen. Bis er schließlich auf ein Buch von Albert Paris Gütersloh stieß – was für ein Name! –, mit dem er sich unvermittelt in einem Lesesessel wiederfand und die Zeit um sich herum vergaß.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und gleich wieder zugeschlagen. Die Person drehte sich sofort wieder um, ohne ihn zu bemerken. Berger blickte auf den Rücken eines wohl ziemlich aufgeregten jungen Mannes, denn seine Schultern hoben und senkten sich zu kräftigen Atemzügen. Berger wollte sich räuspern, auf sich aufmerksam machen, aber noch wartete er, neugierig, wie der andere sich weiter verhalten würde. Der junge Mann ballte die Fäuste, hob einen Arm und holte aus. Da er jedoch kein Ziel vorfand, drehte er sich um, Berger hüstelte in dem Moment. Erschrocken hielt der junge Mann inne.
„Was? Wieso sagen Sie denn nichts?“
„Ich habe gelesen.“
„Was? Ach so. Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht stören.“ Er schickte sich an, den Raum wieder zu verlassen.
„Warten Sie, ich wollte sowieso gehen. Hatte mich fest gelesen.“ Berger stand auf, sah jetzt, dass der junge Mann Tränen in den Augen hatte. Berger entschuldigte sich, ging an dem anderen vorbei, griff zur Türklinke.
„Er ist ein Schwein!“, sprach der andere.
Berger hielt inne. „Sie sind wütend!“
„Das ist offensichtlich!“
Eine Zeit lang blickten sich beide ratlos an. Berger spürte, dass das noch nicht alles war, vielleicht wollte sich da jemand aussprechen. Aber dazu war er nicht in der richtigen Verfassung, hätte selbst jemanden gebraucht. Er wollte gehen, aber da ging die Tür wieder auf. Diesmal stand eine der jungen Frauen da, blickte beide Männer abwechselnd an und fragte den jungen, ob alles in Ordnung sei.
„Ja, schon gut, wir unterhalten uns nur“, sagte er genervt. „Geh!“
Sie schloss die Tür, ohne weiteren Kommentar.
„Bitte bleiben Sie noch einen Augenblick", forderte der junge Mann Berger auf.
Berger lag es auf der Zunge nach dem ‚Warum‘ zu fragen. „Nun gut, meinetwegen, wenn ich Ihnen damit helfen kann.“ Er ging zurück in die Mitte des Raumes. „Eine außerordentliche Bibliothek, finden Sie nicht?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich bin zum ersten Mal hier.“
„Aber sie sagten doch, er sei ein Schwein.“
„Ach, Sie meinen ... Nein, ich kenne Täuber gar nicht, außerdem bin ich nicht einer von seiner Sorte. Wenn Sie wissen, was ich meine.“
„Ich kann es mir denken.“
„Vielleicht gibt es unter Schwulen viel weniger Schweine als bei den Heteros. Bei ihnen ist der Gemeinschaftssinn viel stärker ausgeprägt.“
„Mag sein. Ich weiß es nicht.“
„Hat Ihnen schon mal jemand eine Frau ausgespannt?“, fragte der junge Mann.
„Aber ja.“
„Was haben Sie getan?“
„Gekämpft!“
„Wie?“
„Mit Worten.“
„Und?“
„Schließlich