ABBSD. Tuja Tiira. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tuja Tiira
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746711232
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wechseln, um mich dem Zugriff von Big Brother Inc. zu entziehen. Das Universum wird in weiten Teilen vom Big Brother-Konzern beherrscht. Ich war bis dahin ihr Werkzeug, das wollte ich aber nicht weiter sein. Vor einiger Zeit bin ich dann auf dein Internetforum 'All Big Brothers Shall Die' - ABBSD - gestoßen. Du hast mir geraten, zu fliehen."

      "Ich?" Ich konnte mich nicht an Nia erinnern.

      "Du hast gesagt, mich an ihnen abzuarbeiten würde mich nicht weiterbringen, ich müsste einen eigenen Sinn für mein Leben finden, dann würden alle großen Brüder irrelevant werden."

      Langsam begriff ich, wer Nia war. "Du bist 'Das Wesen der Zerstörung'?"

      "Das war mein Loginname."

      "Du hast geschrieben, dass du alles zerstören willst, dich, die Welt, alles."

      "Das erschien mir damals als die einzig richtige Konsequenz. Ich kannte bis dahin nur Big Brother Inc. und sonst nichts. Sie schienen überall zu sein und alles zu bestimmen. Und ich war eines ihrer Instrumente. Ich habe mich von ihnen benutzen lassen." Über ihr Gesicht zog für einen Augenblick ein Schauer, sie wirkte mit einem Mal blass, fast bleich und eine tiefe Verzweiflung blickte mich aus ihren Augen an, kurz darauf war davon jedoch nichts mehr zu bemerken. Sie sprach weiter, als hätte es diesen Moment nie gegeben. "Die Zerstörung des Universums erschien mir in der Analyse als die richtige Lösung. Ich habe keine Alternative gesehen, bis ich dein Forum fand. Das Internet der Erde ist erst vor kurzem mit dem universalen Hypernet verbunden worden. Ihr liegt abseits der Zentren und niemand interessiert sich für euch. Die Erde schien eine Alternative zu bieten. Aber ich will dir nicht zur Last fallen," ihre Lippe zitterte, als sie das sagte, "falls du das willst, kann ich auch wieder gehen."

      "Nein, im Haus ist genug Platz." Ich musste nicht überlegen. "Ich habe geschworen, allen zu helfen, die von großen Brüdern bedroht werden. Du kannst bleiben solange du willst."

      "Danke." Sie zitterte. "Sind deine Brüder auch Mitglieder von Big Brother Inc.?"

      "Nein, ich glaube nicht." Ich zog den Mantel über ihren Schultern zurecht. "Was genau ist Big Brother Inc.?"

      "Eine Art Konzernholding, so würdet ihr das wohl auf der Erde nennen. Und ich habe ihnen lange vertraut, da ich nichts anderes kannte, bis ich begriff, dass sie lügen und betrügen. Sie besitzen große Teile des Universums und versuchen, sich immer noch mehr einzuverleiben. Sie ..." Nia verstummte, ohne den Satz zu beenden, wieder nur kurz, dann fuhr sie fort: "Deshalb bin ich auch zu der Überzeugung gelangt, dass ich mich als eins ihrer Instrumente selbst zerstören muss, ich wollte aufhören zu existieren, bis ich dein Forum gefunden habe.

      Und nun bin ich hier, doch ich will dich nicht in Gefahr bringen. Big Brother Inc. wird mich suchen. Sie lassen nicht zu, dass sich ihnen jemand entzieht und sie werden alle, die mir helfen, angreifen. Ich will nicht, dass dir etwas passiert." Sie sah zu Boden.

      "Darum musst du dir keine Sorgen machen." Ich berührte ihre Hand. "Ich bin darin geübt, mich gegen große Brüder zu verteidigen. Nur wieso bist du gerade jetzt geflohen?"

      "Ich wusste lange nicht, wohin ich gehen sollte. Es schien keinen Ort zu geben, keine Alternative für mich außerhalb von Big Brother Inc. Und dann habe ich deine Einladung gelesen." Im Dunkel der Nacht strahlten mich nun wieder ihre großen Augen an.

      "Ich habe mit ABBSD abgeschlossen, das ist Vergangenheit."

      Sie sah mich an. "Dann hast du das, was du über den Platz in deinem Kleiderschrank geschrieben hast, gar nicht ernst gemeint?"

      Ich schluckte. "Das ist unwichtig, du bist jetzt hier und im Haus ist sogar ein Zimmer für dich frei." Den Kleiderschrank brauchte ich für mich. Und Nia in meinem Kleiderschrank war mir zu nahe. "Im Schrank war es dir doch auch zu dunkel." Ich brauchte Ruhe und Zeit zum Nachdenken.

      Nia schien immer noch zu befürchten, mir zu viel abzuverlangen. "Brauchst du das Zimmer wirklich nicht?"

      "Nein."

      "Du kannst ruhig sagen, falls du mich nicht hier haben möchtest. Du musst nicht so tun, als ob ich willkommen wäre, nur weil du dich dazu verpflichtet fühlst." Sie wirkte ruhig, doch in ihren Augen spiegelte sich eine tiefe Leere und sie zitterte trotz des Mantels leicht. "Ich kann verstehen, falls du nichts mit mir zu tun haben willst."

      "Nein, du bist dumm." Ich zitterte nun auch, ihre Unsicherheit übertrug sich auf mich. "Wie kommst du darauf? Du kannst hier bleiben, das habe ich gesagt und ich bin kein großer Bruder, ich lüge und betrüge nicht." Ich wusste mit einem Mal, dass ich wollte, dass sie blieb. Sie lehnte sich an mich. Ich würde Nia vor Big Brother Inc. beschützen, vor allen großen Brüdern, egal, wie mächtig sie waren.

      Ein Zupfen von Nia holte mich aus meinen Gedanken zurück. "Danke." Ihre Stimme war leise und zittrig.

      Eine Weile saßen wir still im Dunkel der Nacht, bis Nia mich wieder an der Jacke zupfte. "Wieso hasst du deine Brüder?"

      Einen Augenblick lang verlor sich mein Blick im Schwarz der Nacht und dunkle Gedanken zogen mich zurück in meine Vergangenheit. Ich erinnerte mich, wie ich als kleines Kind unbedingt mit den beiden älteren Jungen, die angaben meine Brüder zu sein, zusammen sein wollte, von ihnen akzeptiert werden wollte, als gleichwertig. Sie wollten indes meist nicht, dass ich mitkam oder bei Spielen mitmachte, was sollten sie mit einem kleinen Mädchen, also führten sie mich, wenn ich mitkommen wollte, in die Irre und ließen mich zurück. "Das ist nicht einfach zu beschreiben. Im Rückblick klingt vieles harmlos, kleine Ereignisse, nichts besonderes."

      "Ich höre zu." Nia blickte mich in den Mantel eingewickelt an.

      "Einmal, ich muss da vielleicht neun Jahre alt gewesen sein, probierte mein älterer Bruder sein Moped aus. Normalerweise wollte er mich nicht dabei haben. Umso überraschender war es für mich, als er mich von sich aus ansprach. 'Möchtest du mitfahren? Ich kann dich im Bollerwagen ziehen.' Ich wollte das furchtbar gerne, und doch war ich gleichzeitig misstrauisch und unsicher." In meiner Erinnerung tauchten die Bilder auf. "Zu oft hatte er mich bewusst verletzt. Trotzdem ließ ich mich überreden, ich höre ihn noch: 'Keine Angst, ich fahre vorsichtig.' Ich wollte es glauben und vergaß für den Augenblick alles, glücklich, dass er mich beachtete. Er fuhr zu schnell, ich überschlug mich und schürfte mir das Bein auf. Nicht der Schmerz war schlimm, sondern das ich den Eindruck hatte, er habe das absichtlich gemacht." Ich blickte zur Seite. Nia widmete mir ihre ganze Aufmerksamkeit, also fuhr ich fort. "Ich zog mich zurück, ich wollte nicht weiter mitspielen und doch gelang es ihm, mich erneut zu überreden. 'Bin ich zu schnell gefahren? Das tut mir leid. Willst du es nicht noch einmal probieren? Ich fahre auch langsamer.' Er versprach das. Er fuhr noch schneller und ich überschlug mich ein zweites Mal. Diesmal verletzte ich mich noch stärker. Ich war vor allem wütend auf mich selbst, dass ich ihm vertraut hatte. Doch er entschuldigte sich förmlich, das tat er sonst nie. Ich glaubte ihm erneut. Dann bat er mich, den Vergaser des Mopeds zu holen, der während der Fahrt abgefallen war. Der Vergaser war glühend heiß. Die Narben der Brandverletzung waren eine ganze Weile zu sehen." Ich wandte mich zu Nia. "Du siehst, es waren nur Kleinigkeiten." Ich schwieg.

      Nia schüttelte den Kopf. "Betrug ist keine Kleinigkeit."

      Ich schüttelte mich. "Das liegt alles lange zurück."

      Nia betrachte mich. "Trotzdem besitzt du die Dartscheibe, die du im Forum beschrieben hast, noch immer."

      "Ja, wenn ich mich schlecht fühle, ist sie immer noch hilfreich." Die Scheibe mit dem Schriftzug 'Kill Onii-Chan' hatte ich tatsächlich als einen der ersten Gegenstände in meinem neuen Zuhause in der Küche aufgehängt. Nia musste sie dort gesehen haben. Sie würde mir helfen, gut in den Tag zu kommen. Einige Würfe reichten aus, damit es mir gut ging. "Lass uns rein gehen, es wird kalt."

      Sie nickte und sah mich wieder mit ihren fragenden dunklen Augen an. "Hilfst du mir, den Sinn des Lebens zu finden und wirkliche Liebe? Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen sollte."

      "Ich weiß nicht,