HerausgeberInnen
ABBSD
'All Big Brothers Shall Die'
2016
Eine Light Novel (raito noberu)
HerausgeberInnengemeinschaft Irrliche
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In der Light Novel 'Inu to Hasami wa Tsukaiyō' heißt es sinngemäß, dass nicht wichtig ist zu wissen, wer oder was die AutorIn ist - wichtig ist der Text und die LeserInnen. Interessant ist vielleicht nur, weshalb ich schreibe: Weil ich mich nirgends in der Literatur wiederfinde, dort nicht vorkomme und nicht bereit bin zur Normalisierung meines Fühlen und Denkens.
Tuja
Kapitelübersicht
Prolog
Kapitel 1 - Die Suche nach dem Sinn des Lebens kann auch im Kleiderschrank beginnen
Kapitel 2 - Die Bibliothekarin ist eine Halbtagskraft
Kapitel 3 - Du bist nicht die, die du warst, du bist die, die du bist!
Kapitel 4 - Wenn du die Tür schließt, wird die Nacht für immer währen
Kapitel 5 - Sie weiß mit Küchenmessern umzugehen
Kapitel 6 - Vergiss nicht, dass ich dich liebe!
Prolog
Ich bin eine Außerirdische und allein auf dieser Welt. Mit zwölf Jahren begriff ich dies, ich fühlte mich meist einsam und nun wusste ich warum. Ich war unter Fremden und dies würde immer so bleiben. Ich ging zu dieser Zeit in die Mittelstufe. Mir war kalt und ich fror, als ich an die Zurückweisungen dachte, die mein Alltag waren, und doch konnte ich mich nicht anpassen, ich wollte das auch gar nicht. Die Tränen, die auszubrechen drohten, schluckte ich herunter, als Außerirdische brauchte ich kein Mitleid, auch nicht von mir selbst.
Auf meinem Schulweg in die Stadt und zurück verflossen täglich fast zwei Stunden, da die Familie, in der ich aufwuchs, einige Kilometer im Umland im Haus der Großeltern lebte. Zeit zum Träumen und Nachdenken. Zur Schule musste ich ein Stück zu Fuß gehen und dann mit Bus und Bahn fahren. Der Fußweg von der Bushaltestelle zu dem Ort, in dem ich wohnte, führte über freies Feld und wenn ich nach der Schule noch Zeit in der Bibliothek verbrachte, war es im Winter bereits dunkel und die Nacht umgab mich. Niemand begegnete mir hier um diese Zeit. Nur ab und an fuhr ein Auto vorbei.
Ich lief allein durch die kühle Nachtluft, ich fühlte meine Einsamkeit und doch gab gerade dies mir Kraft. Immer wieder schluckte ich meine Tränen herunter und sagte mir: "Ich brauche sie nicht." Der dunkle schwarze Himmel nahm mich auf und beruhigte mich, wie ein großes Betttuch, in dem ich mich verkriechen konnte.
Mit jeder Faser meines Körpers spürte ich, dass ich eine Außerirdische war, ich spürte dies am Zittern und an der Sehnsucht, ich wusste dies, ich war auf mich gestellt, eine Außerirdische, zwölf Jahre alt. Deshalb verstand mich auch niemand. Ich hatte keine Freundin, mit der ich hätte reden können, es gab niemanden. Ich blickte in den Nachthimmel, suchte mein Zuhause, und die Sehnsucht überwältigte mich wieder, irgendwo dort musste es sein. Das Gefühl der Fremdheit hatte mir schon lange verraten, dass die Familie, bei der ich aufwuchs, gar nicht meine Familie war, dass die Eltern und Großeltern gar nicht meine Verwandten waren, obwohl sie dies behaupteten, sie hatten mich wohl irgendwo gefunden und verschwiegen dies nur, wie Menschen, die eine junge Wildkatze im Wald finden und als Findelkind adoptieren. Sie dachten sicher, ihre Lügen wären zum Besten für alle, doch ich hatte ihre Täuschungen durchschaut. Sie waren Fremde, sie wussten vielleicht nicht einmal, dass ich eine Außerirdische war. Trotzdem spürte ich Dankbarkeit dafür, dass sie sich um mich kümmerten, doch sie würden mir niemals nahe sein. Ich sah mit einem Mal alles klar vor mir.
Auch die beiden älteren Jungen, mit denen ich zusammen in der Familie aufwuchs, hatten also nichts mit mir zu tun. Zwar wurde behauptet, sie wären meine Brüder, ich wusste es jedoch schon lange besser. Sie hatten mich ihren Hass zu oft spüren lassen. Sie konnten unmöglich meine großen Brüder sein und ich war auch nicht ihre kleine Schwester. Ich war für sie nur ein Kuckuckskind und sie versuchten alles, um mich loszuwerden. Das Wissen um meine außerirdische Herkunft machte für mich vieles einfacher, ich wusste nun, wieso sie mich hassten und ich musste mich nicht mehr um ihre Liebe bemühen.
Irgendwo dort im Dunkel am schwarzen Firmament lag mein wirkliches Zuhause. Unstillbare Sehnsucht kroch mir beim Blick zum Nachthimmel in die Glieder, ich zog mich zusammen, und trotz der Einsamkeit, die mich umgab, fühlte ich mich aufgehoben, ein Gefühl, das ich aus der Familie, in der ich lebte, nicht kannte. Tränen liefen mir nun trotz aller Bemühungen, sie zurückzuhalten, über das Gesicht. Schnell wischte ich sie weg.
Ich wusste nun absolut sicher, dass ich nicht von der Erde kam. Und dann fühlte ich mit einem Mal, dass dort irgendwo im Schwarz zwischen den Sternen ein Mädchen lebte, das mich so vermisste wie ich sie, meine Zwillingsschwester. Unsere außerirdischen Eltern waren wohl ums Leben gekommen, ich spürte Trauer, aber sie sah ich vor mir. Und irgendwann würde sie kommen, vielleicht war sie schon auf dem Weg hierher durch die Nacht des Weltalls, wir würden uns finden und wiedersehen und umarmen, wir würden zusammen kämpfen und uns durchsetzen und ich würde nicht mehr einsam sein, nie mehr einsam sein.
Natürlich wusste ich, dass dies alles nicht stimmte, dass dies nur ein Traum war, und doch fühlte er sich für mich realer als die Realität an und war ein Grund zur Hoffnung, ein Grund zu leben. Dies war mein Traum, niemand konnte ihn mir nehmen.
Die einzige Zeit, in der ich damals wirklich glücklich war, war die Zeit, in der ich Bücher las und in ihnen abtauchen konnte. In der realen Welt schwankte ich dauernd zwischen Anpassung und Aufruhr, immer in Gefahr, mich zu verraten.
Schon als Kind im Kindergarten und in der Grundschule fiel es mir nicht leicht, Freundinnen und Freunde zu finden. Die anderen Kinder wussten nicht, wie sie mich einordnen sollten, also blieben sie meist auf Distanz.
Trotzdem versuchte ich Freundschaften zu schließen, doch sobald ich Freundinnen und Freunde mit nach Hause brachte, waren da meine Feinde, die beiden älteren Jungen, die behaupteten, meine großen Brüder zu sein. Als Älteren war es ihnen ein Leichtes, das Interesse auf sich zu lenken. Sie nutzten ihre Überlegenheit aus, um meine Freundinnen und Freunde auf ihre Seite zu ziehen und sich mit ihnen gemeinsam über mich lustig zu machen, eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Und alle verrieten mich. Der Ablauf war mit kleinen Abwandlungen ab da immer der gleiche: Mir kamen die Tränen, doch meine Freundinnen und Freunde lachten nur weiter und sie hörten auf meine Freundinnen und Freunde zu sein, also wurde auch ich gemein und versuchte, sie rauszuwerfen, doch sie blieben einfach und achteten nicht auf mich, irgendwann lief ich weg und schloss mich ein, bis sie gegangen waren. Ich wollte niemanden mehr sehen. Danach hatte ich keine Freundinnen und Freunde mehr. Auch ich wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Dabei war das Ganze doch nur Spaß, das behaupteten zumindest meine Brüder. "Verstehst du keinen Spaß?"
Oft gaben sie mir auch demütigende Spitznamen, sie wussten, wie ich das hasste, der Hass war mir anzusehen, mein Zittern und die nur mühsam unterdrückten Tränen, sie taten es gerade aus diesem Grund. Sie fanden das lustig, mich zittern zu sehen. Spaß war es nach ihrem Dafürhalten auch, wenn sie versuchten, mich mit körperlicher Gewalt zu zwingen, für sie aufzuräumen oder etwas aus dem Keller zu holen. Ich tat es nicht, ich wehrte mich, doch sie waren viel stärker und mir kamen ob meiner Hilflosigkeit