Ob wir uns wiedersehen, liebe Elisabeth, weiß ich nicht. Vielleicht im Himmel . . . John McFinn, dieser bärige Schotte, ist noch wohlauf, kümmere Dich bitte um ihn, wenn er wieder wohlbehalten nach England zurückgekehrt sein sollte. Wenn Treue einen Namen hat, dann ist es der von John McFinn. Schenke ihm ein Schiff, mit dem er in seine schottische Heimat segeln kann! Er hat es mehr als verdient. Grüße bitte unsere vertraute Freundin, die Königin, von mir, von ihrem treuen Untertan, Kapitän und Seeräuber. Ich habe mein Leben als Seemann ihr und ihren Plänen gewidmet. Ich wünsche ihr weiterhin große politische Erfolge und den schnellen Aufbau eines mächtigen Empire . . . und grüße unseren lieben Freund William Shakespeare, den unsteten Wirrkopf, das große Genie. Ich hoffe, er wird eines Tages den großen Erfolg bekommen, den er verdient - und sein eigenes großes Theater, sein Globe . . .
Ich muss eine Pause einlegen, meine geröteten Augen schmerzen. Tränen trüben den Blick . . . Ich verfluche meinen Zustand, meine Schwäche . . . wie klein ein großer Held doch sein kann, wenn er verkümmert . . . im Angesicht des Todes ist ein Held kein Held, sondern ein hilfloser Mensch. Ich habe lernen müssen: Nicht jeder große Held ist ein großer Mensch. Ich muss für meine vielen Fehler um Vergebung bitten . . . Elisabeth, bete für mich!
Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht. John behauptet, es sei eine lange Ohnmacht gewesen. Ich versuche wieder zu schreiben . . . Habe ich nicht schon alles gesagt? Es ist ein merkwürdiger, ein langer Brief geworden, konfus und lang. Aber es muss sein, immer wieder: Ich liebe Dich sehr, ich vermisse Dich, Dein Lachen und Deine Zärtlichkeit . . . Deine Küsse . . . Deinen wunderschönen Leib, Deine gute Küche ebenso, alles an Dir . . . und ganz besonders Deinen Babybauch. Wir werden endlich ein Kind haben . . . und ich bin nicht dabei. Nenne den Sohn Tristan, wird es eine Tochter, nenne sie Vivian . . . ich bitte Dich.
Ich bin heute sehr depressiv. Ich glaube, ich habe den Verstand verloren. John tröstet mich, indem er von unserem Haus erzählt, von Dir, von unseren Reisen, von der Königin. Ich leide. Ich fluche. Ich sterbe. Mich plagen Gewissensbisse, Sorgen um Dich und um unser Kind, um England. Um die Zukunft. Das Schicksal nagt nun heftig an mir, ich verfluche es nicht, aber ich hasse es . . . so weit fort von Dir, meiner großen Liebe zu sein, von Euch! Erzähle unserem Kind von seinem Vater, der ein Pirat, ein Seemann und ein Patriot gewesen ist. Lese ihm meine Memoiren vor, eines Tages, wenn es soweit ist! Denke an mich, denke an unsere Liebe, an unsere Nächte!
Ich schrieb einfach nieder, was mir so einfiel. Vielleicht war es nicht richtig, manche Dinge so offen und ehrlich preiszugeben. Aber es war mein Leben. Ich bereue nichts! Die Frage, die mich hier, weit von England entfernt, neuerdings quält: War ich nur eine der Schachbrettfiguren unserer Königin? Wurde ich benutzt als ein williger Spielball ihres Hofes? Hintergangen von ihr, von Elisabeth? Niemand wird mir darauf Antworten geben können. Daher war es richtig, mein Leben niederzuschreiben, bevor andere es beurteilen werden. Ich bin eitel genug, Dich zu bitten, mir ein Standbild aus Bronze errichten zu lassen - an der Kaimauer von Plymouth. Stelle es bitte so auf, dass mein Blick nach Westen gerichtet ist, nach Amerika, wo ich die Zukunft Englands sehe. Ich weiß, es ist der eitle Wunsch eines eitlen, sterbenden Mannes. Gerade die Vielseitigkeit eines lieben Menschen aber ist es, die in Erinnerung bleibt. Es ist – wie ich es gerne nenne - die „kleine Unsterblichkeit“ eines jeden Menschen, es sind seine Taten und seine Werke. Das hat Bestand! Ich bin sehr traurig, leide unter den dunklen Gedanken, aber ich sage auch: Ich habe gelebt! Vielleicht habe ich der neuen Welt, trotz einiger Pleiten und Pannen, etwas geben können, was Bestand hat. Nicht nur die Kartoffel! Jedenfalls ist England keine verarmte Insel mehr! Im Gegenteil, England wird eines Tages der Stolz des alten Europa sein, mächtig, reich, unübersehbar. Eine große Nation. Ich hoffe nur, sie gerät nicht in die Hände von verantwortungslosen Hasardeuren.
Wenn ich Euch in diesen Tagen . . . von oben . . . betrachte, werde ich Euch optimistisch zurufen: „He, Ihr da! Grad in der schönsten Lebenspracht war es vorbei - es wurde Nacht. Doch strahle oben ich als Stern. Schaut auf! Ich grüße Euch von fern.“
Ich spüre, wie mein Leben zerrinnt. Elisabeth, Liebes . . . ein letztes Aufbäumen, ein letztes Lebewohl. An meiner . . . Schrift erkennst Du meinen Zustand. Die Kraft geht zu Ende . . . ich bin irgendwie schon tot. Ja, John muss den Brief . . . vollenden . . . . Elisabeth . . . ich liebe Dich! Ich küsse Dich! Dein Ehemann für immer . . . Dein sterbender, Dein schon gestorbener Francis.
VORBEMERKUNG. . . - 1
. . . des Sir Francis Drake, Admiral Ihrer Majestät, als erste Eintragung und als Beginn seiner geplanten Lebenserinnerungen - zwölf Tage nach seinem 50. Geburtstag - am 3. Januar des Jahres 1591. Nach einer sehr unruhigen Nacht, in der ich keinen Schlaf fand. Ich bin in Sorge, habe den Blick verloren, den Überblick über unser Land. Zu viele unterschiedliche Informationen landen auf meinem Tisch. Der Kirchenstreit, eher ein Krieg zwischen Katholiken und Protestanten, droht zu eskalieren. Wird die Nation weiter gespalten? Zu viel Unheil haben die Kirchen in den vergangenen Jahrhunderten angerichtet. Soll sich diese Situation nun wiederholen, da die Menschen aufgeklärter sind, da sie Lesen können, sich selbst ein Bild machen und nicht mehr von der Laune eines Priesters abhängig sind? Auch das Kirchenvolk ist – wie das Volk – kritischer geworden. Die Menschen wollen mitreden, informiert werden, bevor sie für das Vaterland sterben sollen, in einem Krieg sterben sollen, der nicht ihr Krieg ist. Vielen Menschen ist es egal, ob sie katholisch oder protestantisch sind. Und ich, der Admiral, mitten in diesen Konflikten.
Meine Stimmung: Aufgeregt. Mürrisch. Verzweifelt.
Erste Erfahrung: Ich habe kein Schreibtalent!
Zweite Erfahrung: Lass doch diesen Unsinn sein!
Dritte Erfahrung: Reiß dich zusammen!
Drei Personen, denen ich sehr zugetan bin, die zudem behaupten, mich zu bewundern und sogar zu lieben, sagten in einem kurzen Zeitraum von vielleicht sechs Monaten hintereinander folgende Sätze zu mir. Und sie meinten es durchaus ehrlich:
Meine Frau Elisabeth: „Du solltest Deine ungewöhnlichen Lebenserinnerungen niederschreiben, lieber Francis! Welcher Mann hat so ein aufregendes, interessantes und gefährliches Leben geführt! Überlass die Wertschätzung Deiner großen Abenteuer, die Bilanz Deiner Leistungen für England nicht irgendwelchen Schreibern, die nie zur See gefahren sind und Dich nicht wirklich kennen!“
Meine Königin Elisabeth: „Dein Leben ist so vielseitig und ereignisreich, Du solltest es eines Tages aufschreiben, um es der Nachwelt zu hinterlassen! Damit alle wissen, wie unsere Zeit wirklich gewesen ist. Ich traue nämlich diesen Chronisten nicht über den Weg, sie schreiben nur das auf, was ihnen gefällt, und sie dichten hinzu: Scheinwahrheiten, Schmeicheleien und Unwahrheiten!“
Mein Freund William Shakespeare: „Was für ein reiches Leben! Was für ein Mann! Was wären das für Memoiren – geschrieben von dem größten und mutigsten Seeräuber der Neuzeit, von Admiral Sir Francis Drake! Francis, schreibe so, wie Du sprichst – und es gelingt Dir ein wichtiges Werk. Denke immer daran: Schreiben bringt neue Lebenskraft, es ist wie eine positive Therapie, wie eine Befreiung aus dem Dunkel ins Licht.“
Hätten sie diese schmeichelnden Worte doch nie gesagt!
Was fiel ihnen dabei nur ein?
Ich glaube, nein, ich bin fest davon überzeugt, mein innerer Frieden wäre gewahrt geblieben. Meine Gelassenheit. Mein Selbstbewusstsein. Sie haben etwas in mir entfacht, was ich nicht richtig erklären kann. Etwas Unbekanntes. Ist es die Eitelkeit? Stolz vielleicht? Nun aber plagen mich ständig Zweifel. Ich träume schlecht, ich kann oft nicht einschlafen. Ich bin nervös und ärgerlich. Ich bin ein anderer Mensch geworden, besser, mein Leben, mein Alltag verändert