Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Perschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783738022933
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da es 1951 in Deutschland noch keine Radargeräte für Küstenmotorschiffe dieser Größe gab, musste ein Mann als Ausguck vorn auf der Back stehen und nach Typhongeräuschen von entgegenkommenden Schiffen „aushorchen“ bzw. nach entgegenkommenden Lichtern Ausschau halten. Von achtern brüllte alle drei Minuten das blöde Typhon der ACHILLES. Ein Heidenkrach, bei dem man ganz bestimmt nicht vorn unter der Back schlafen konnte. Also brauchte man mich am nächsten Morgen erst gar nicht zu wecken, da ich ab Mitternacht kein Auge zugemacht hatte. Morgens um 5 Uhr war ich bereits in der Kombüse, hatte kurz darauf das Feuer im Herd angezündet und den Wasserkessel aufgesetzt. Das Frühstück musste für den Alten, der die ganze Nacht auf der Brücke war, sowie für den von der 00-06 Uhr Wache gehenden 2. Steuermann, den Rudergänger und den Ausguck und für die nächste Wache vorbereitet werden. Ab 4 Uhr war es auch schon hell, also die Sonne längst aufgegangen. Je weiter man im Sommer nördlich fährt, desto kürzer wird die Nacht

      Wir hatten die ganze Nacht spiegelglatte See und, nachdem der Nebel sich gelichtet hatte, wurde auf Anweisung des Kapitäns der Ausguck von der Back abgezogen. Der 1. Steuermann musste selbst ans Paddel, denn der Alte hatte an diesem Morgen viel auf dem Zettel stehen. Seine Order lautete: Vermessungsluke auf, also abdecken. Das heißt, beide Persenninge und die Holzlukendeckel entfernen und an der Seite der Vermessungsluke stapeln. Anschließend wurde eine Art Rutsche in den Raum gebaut, die bis auf das Deck der Zwischendeckluke reichte. Der Matrose, die Maaten von der 06-12 Wache, alle drei mussten jetzt von der Deckladung Briketts in Säcke füllen, die Säcke auf der Rutsche in die Vermessungsluke runterrutschen lassen und auf dem Zwischendeck von der inneren Bordwand aus die Briketts aufstapeln. Und damit hatten sie den ganzen Tag zu tun. So eine günstige Gelegenheit kam für Fritz von Busch während meiner Zeit an Bord nie wieder. Ein Schlitzohr war er schon immer gewesen. Es war „vom Kapitän angeordneter Ladungsdiebstahl“.

      Während die Jan Maaten in der Vermessungsluke eine Lage Briketts nach der anderen aufstapelten, musste der Steuermann oben auf der Brücke sowohl das Kümo steuern als auch noch den Standort der Achilles bestimmen. Auf Dauer war das nervig, denn der Alte hatte sich ein paar Stunden in sein Kabuff zurückgezogen. Wie konnte man diesen nervigen Job erleichtern? Man krallt sich den Moses und stellt ihn vorübergehend an das Steuerrad! Doch am Vormittag konnte man das nur zwischendurch für kurze Zeit machen, da der Moses ja auch noch das Mittagessen kochen musste. Also lief es dann so ab: „Mooses, komm gliigs up de Brüch und bring n’ Muck Kaffä mit no bobn.“ Die Kaffeezeit war immer von 10:00 bis 10:30 Uhr. Und da ich für die Werktätigen der Christlichen Seefahrt den Kaffee schon gekocht und in der Kombüse auf dem Kombüsentisch Brot, Butter, Wurst und Käse angerichtet hatte, konnte ich mit einem Tablett mit einer Muck Kaffee, Milchkännchen und Zuckerdose auf die Brücke entfleuchen. Dort angekommen, stellte ich das Tablett auf dem Klapptisch ab und wollte sofort wieder umkehren. Doch der alte Bohning ließ mich nicht laufen. Stattdessen stellte er mich ans Ruder, und ich musste steuern lernen. Er unterwies mich nun in der Kunst des Steuern, weil er mich dringend brauchte.

      Zuerst erklärte mir der Steuermann den Magnetsteuerkompass: Die Kompassrose bildet einen Kreis und ist in 360 Bogengrad unterteilt, beziehungsweise auch in 32 Striche. Ein Strich hat 11,25 Bogengrad. Dann wies er auf die „Vorausanzeige des Schiffes“, ein schwarzer Strich, der an der weißen Innenseite des Kompasskessels angebracht ist. Weiter erklärte er mir, dass die schwimmende Kompassrose mit Magneten ausgestattet ist und sich aus diesem Grund immer zum magnetischen Nordpol ausrichtet und dass man, um ein Schiff auf Kurs zu halten, immer versuchen muss, den schwarzen Steuerstrich am Kompasskessel mit dem angegebenen Kompasskurs auf der Rose in Deckung zu bringen. Manche lernen es schnell, und manche lernen es nie. Und wie gut man als Rudersmann steuert, kann man durch einen Blick achteraus auf das Schraubenwasser des Schiffes kontrollieren. Steuert man gut, ist das Schraubenwasser achteraus eine ganz leicht geschlängelte Linie. Steuert man miserabel, dann sieht es aus, als ob man seinen Namen schreibt.

      Und bei gutem Wetter, also bei Windstille und schwach bewegter See, kann man ein Schiff mit ganz wenig „Ruder geben“, also Drehungen mit dem Ruderrad, auf Kurs halten. Eigenartiger Weise hatte ich das schnell kapiert. Ich hielt den befohlenen Kompasskurs auf der Rose mit der Vorausanzeige des Schiffes fast immer in Deckung, hatte also ganz geringe Abweichungen vom Kurs und kassierte mein erstes Lob.

      Nachdem der 1. Steuermann mich mehrere Male mit einem Blick auf das achteraus aufwirbelnde Schraubenwasser kontrolliert hatte, konnte er sich kurzfristig der Ortsbestimmung widmen, in diesem Fall der Funkpeilung. Wir fuhren quasi auf einem Funkstrahl, den ein Richtfunkfeuer von Kalmar pausenlos aussendete. Wichen wir von unserem Kurs nach Backbord-Seite ab, dann sendete das Funkfeuer den Morsebuchstaben A, also Punkt Strich, kam ich dagegen nach Steuerbord vom Kurs ab, dann sendete das Funkfeuer den Morsebuchstaben N, also Strich Punkt. Der Steuermann stand praktisch hinter mir im Kartenraum, hatte den Kopfhörer auf korrigierte somit den Ansteuerungskurs zum Funkfeuer von Kalmar. Je näher die ACHILLES sich Kalmar näherte, desto diesiger wurde es. Die Sicht betrug drei bis vier Seemeilen. Man konnte jetzt schwarze Fahrwasserpricken erkennen, die ich alle an der Steuerbordseite lassen musste. Wir hatten aber auch entgegenkommenden Schiffsverkehr, also andere Kümos, die mit Schnittholz an Deck aus Nordschweden Richtung Kiel-Holtenau wollten.

      Als der Alte auf der Brücke erschien, war er erstaunt und natürlich ärgerlich Aber der Steuermann beruhigte ihn sofort. „He mokt dat ganz good, he is gor nich so dusselig, as ick dacht. He stüert as son Profi“. Offenbar war auch er von meinen Steuerkünsten überzeugt. „De dusselige Moses kann stüern as’n Profi, kaum to gleubn. Villicht ward he joa doch noch n Seemann.“ Trotzdem war er gar nicht so einverstanden, dass der Steuermann so eigenmächtig gehandelt hatte. Ein Moses gehört in erster Linie in die Kombüse und wenn Not am Mann ist an Deck. Doch in diesen Fall brauchte der Steuermann bei der engen Ansteuerung von Kalmar Unterstützung, denn die anderen Jan Maaten wühlten in der Vermessungsluke und an Deck rum. Also wurde ich kurzfristig von einem der Brikettsverlegergang abgelöst und tauchte wieder in die Kombüse ab. Genug gab es für mich ja zu tun. Da die engste Stelle bei Kolmar ungefähr so breit ist wie der Kielkanal, musste mein Ablöser, der Jungmann, bei diesen Sichtverhältnissen höllisch auf den entgegenkommenden Schiffsverkehr aufpassen.

      Nach dem Passieren von Kolmar ging es weiter auf einem durch Pricken eingerichteten Zwangsweg durch den Kolmarsund in Richtung Südansteuerung der Stockholmer Schären. Aber außerhalb des nördlichen Kalmar Sunds passierte plötzlich etwas Unfassbares: Der neue Deutz-Hauptdiesel blieb plötzlich stehen. Er gab seinen Geist auf. Herr Richters wurde von Fritz von Busch in den Keller geschickt und sollte ihn wieder zum Laufen bringen. Herr Richters ging nach einer Checkliste vor, die ihm der Garantieingenieur von Deutz, Herr Allerding, übergeben hatte. Nichts wurde übersehen oder ausgelassen. Der Tagestank war voll Marine-Diesel, die Kompressionsluftflaschen waren auch voll aufgepumpt, trotzdem wollte er nicht anspringen. Fritz von Busch wurde ungeduldig und ließ den Matrosen zusammen mit der restlichen Deckgang ein so genanntes Großsegel, welches er aus der abgesoffenen BERTA VON BUSCH geborgen und reparieren lassen hatte, aus dem Kabelgatt an Deck holen und am Vormast auf der Back anbringen. Eine Knochenarbeit. Doch am Ende stand das Segel im vollen Wind, und man konnte die ACHILLES sogar auf Kurs halten. Nach dem Segelsetzen tauchte Herr Richters noch einmal in den Maschinenraum ab, kam auf den Gedanken, noch einmal die Kompression durchzutörnen, den Motor auf Betrieb zu stellen, blies ihm noch einmal eine Ladung Pressluft vor’n Arsch - und tatsächlich!, der alte Bock startete wieder. Und hielt auch durch. Der Alte ließ das Großsegel wieder bergen, änderte aber den Kurs zurück nach Kalmar, wo wir einliefen und er eine Maschinengang kommen ließ, die die Deutz-Hauptmaschine unter die Lupe nahm und erstaunlicherweise einen Nockenwellenschaden feststellte. Dieser konnte nach einem Tag behoben werden. Danach ging es weiter in Richtung Stockholmer Schären, um die Route nach Gävle abzukürzen.

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