11. Praktischer ausgedrückt: Eine jede Lebensäußerung und eine jede leibliche Befindlichkeit hat an sich immer schon Bedeutung (bzw. ist bedeutsam), und zwar insofern, als die Befindlichkeit unseres Leibes auf unsere Stellvertreterfunktion im leibhaftigen Dienst an den Eltern zurückgeht und Bezug nimmt auf das, was im Leben unserer Vorfahren verfehlt worden ist. Die Kontinuität, die zwischen den Generationen und Geschlechtern durch das Band der zeitlichen Relationalität erzeugt wird und die in der Komplementarität der Funktionen und Verantwortlichkeiten wirksam wird, ist (unter günstigen Bedingungen erst an der Schwelle des Erwachsenwerdens, aber unter ungünstigen Bedingungen auch schon im Kindesalter) pathogen insofern, als sie Unmögliches um den Preis der leiblichen Gebrechlichkeit erzwingt. Die Bedeutung jeglicher Erkrankung liegt in der Verwirklichung des Unmöglichen (V. v. Weizsäcker 1967, 249 ff), das sich in der Erkrankung zeigt: Das Symptom zeigt die Gebrechlichkeit unseres Leibes als Grenze unserer Macht an, indem es offen die Unmöglichkeit unseres leibhaftigen Strebens ausdrückt und zum heimlichen Symbol vergangener „Schuld“ und zukünftiger Schuldigkeit wird.
12. Was in Krankengeschichten als Ausgleichsbewegungen vergangener „Schuld“ symptomatisch in Erscheinung tritt, ist als unbewusstes Bemühen um die nachträgliche Lösung ererbter Aufgaben immer frustran und damit virtueller Natur. Aus diesem Grund sind solche Lösungsversuche ebenso maßlos wie aussichts- und besinnungslos. Sie folgen einem inneren Drang der szenisch Beteiligten, auch wenn - oder: gerade weil - sie lediglich Ausdruck von deren Miss-Verständnissen sind: Es wird nicht verstanden, wer oder was es sei, den oder das man da aneinander missen muss. Und so sucht man dann auch das Verständnis vergeblich. Die daraus resultierenden Symptome treten als blindlings vollzogene Äußerungen der die Generationen- und Geschlechtergrenzen überschreitenden Dynamik in Erscheinung, wenn in einer Familie die Toten aus dem Blick geraten sind, wenn die Augen der Lebenden für die Welt der Toten trüb geworden, wenn sie nicht von Licht der Geistigkeit erfüllt werden und wenn sich daraufhin das Verhältnis dieser Lebenden zu ihren Toten ganz aus ihrer unmittelbar leiblichen Dienstbarkeit heraus gestaltet - gewissermaßen als unbewusster Götzendienst. Durch die dargestellte, auf die geheime Komplementarität und Relationalität der Leiber eingehende Form der Untersuchung wird die wirkliche, nämlich leibliche Genese, d.h. der körperlich-seelische Erbgang der „aetia“ (der „Ursache“ und der „Schuld“), erkennbar, auf dem sich einem Kranken die Erkrankung überträgt.
Teil II
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