Die Tugend von Tokyo. Götz T. Heinrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Götz T. Heinrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844227055
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"Es wird auch nicht suchen", gab Toritaka zurück. "Zumindest nicht mehr heute. Heute wird es nur den Laden schließen. Und morgen hat sich dann herumgesprochen, dass der Laden geschlossen wurde." In einer Branche, in der das öffentliche Ansehen wichtiger als alles andere war, war so ein Gerücht gleichbedeutend mit einer Halbierung der Gästezahl.

       "Verdammt." Die Türe wurde zugeschlagen, und der Inspektor bekam gerade noch den Fuß aus dem Spalt, ehe an seinen Zehen unwiederbringlicher Schaden entstand. Das Klickern der Absperrkette war zu hören, dann ging die Türe richtig auf, und ein kleinwüchsiger, aber erschreckend breitschultriger Mann in einem reichlich billigen Straßenanzug mit nach hinten gegelten Haaren stand auf der anderen Seite. "Also gut, kommen sie rein", brummte er. "Aber kein Wort zu jemand anderem."

       Toritaka nickte freundlich, ehe er eintrat und sich umsah. Das Treppenhaus hier war so schmuddelig, wie er es sich vorgestellt hatte, und der Geruch, der in der Luft hing, verriet die beiden Nachtclubs. Die Tür zum ebenerdigen Laden war offen, und der breitschultrige Mann ging voraus. "Sie suchen Karai", sagte er. "Ich bin Karai."

       Amüsiert lächelte der Inspektor - er hatte auch nichts anderes erwartet. "Schön, sie kennenzulernen", sagte er. "Wie lange sind sie wieder aus dem Gefängnis heraus, Karai-san... sechs Monate? Sieben?"

       "Fünf." Karai schloss die Türe hinter sich und seinem Gast. "Aber deshalb sind sie sicher nicht hergekommen. Was zum Teufel wollen sie? Die Spielhalle wird es nicht sein."

       "Nein, die ist es nicht." Toritaka wurde etwas ernster. "Ich suche eine Information", sagte er. "Ich ermittle gerade in einem Todesfall, und der Tote ist... na, sagen wir einmal, einer ihrer früheren Geschäftskollegen."

       Der breitschultrige Mann zog einen Stuhl herbei und ließ sich darauf nieder. "Ich habe mit... diesen Leuten nichts mehr zu tun", sagte er finster. "Ich habe meine Lektion im Gefängnis lernen müssen. Die Yakuza ist mir keine Familie mehr."

       Abwehrend hob der Inspektor beide Hände. "Das meinte ich nicht", sagte er. "Ich will gar keine Informationen über solche Aktivitäten. Außerdem meinte ich gar nicht die Yakuza. Ich meinte die Kontakte, wegen denen sie damals hinter Gitter kamen."

       "Yoshioka?" Karai runzelte die Stirne. "Seit wann beschäftigt sich die öffentliche Sicherheit mit Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung?"

       "Ich habe mich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt", gab Toritaka zurück. "Es geht um einen Toten, wie ich schon sagte, und um die Frage, wie er zu Tode kam.

       Missmutig verschränkte der Spielhallenbesitzer die Arme. "Was hat das mit mir zu tun?" wollte er wissen.

       Der Inspektor zog die Liste seiner potentiellen Verdächtigen hervor. "Ich vermute", sagte er, "dass mir einer der Herren hier näheres zu der Sache sagen kann. Aber ich will nicht ihre... Familie in ein schlechtes Licht rücken, indem ich sie allesamt verhöre. Vielleicht wäre es möglich, die Liste ein wenig einzugrenzen und mir zu sagen, wer von ihnen in Anlagefragen von der Yoshioka-Bank beraten wird?"

       "Was bringt sie auf die Idee, ich könnte näheres darüber wissen?" konterte Karai, aber in seine Augen war ein unruhiges, verräterisches Flackern geraten.

       "Meine Sache", sagte Toritaka. "Ich weiß, was sie denken - vielleicht habe ich Informanten, vielleicht auch nicht. Ich werde meine Quellen nicht offenlegen. Aber ich lasse ihnen die Wahl - sie machen auf diese Liste hier ein Kreuz oder auch ein paar, oder ich sorge dafür, dass ihr Laden mehr öffentliche Beachtung findet, als ihm guttut."

       Mit schmalen Lippen warf der breitschultrige Mann einen Blick auf die Liste, dann nahm er sie dem Inspektor aus der Hand und stand auf. "Ich muss darüber nachdenken", brummte er. "Kommen sie um fünf wieder. Und jetzt machen sie, dass sie hier rauskommen."

       Toritaka verneigte sich leicht. "Verzeihen sie die Unannehmlichkeiten", sagte er, wieder mit ausgesuchter Höflichkeit, und er meinte es nicht einmal ironisch. Ihm war klar, dass er den Yakuza in eine schwierige Lage brachte - er würde abwägen müssen, ob er seiner Organisation besser half, wenn er eine möglicherweise von der Polizei gesuchte Person aus ihren eigenen Reihen belastete oder wenn er zuließ, dass sein Betrieb in Verruf geriet - und mit seinem die anderen in den Stockwerken über ihm, die unzweifelhaft auch Wirtschaftsbetriebe der Yakuza waren. Aber nur auf diese Weise kam man bei solchen Leuten zu Ergebnissen.

       Ruhig lief der Inspektor zurück zu seinem Wagen und sah auf die Uhr. Kurz nach halb vier. Er würde lieber ein wenig Verstärkung mitnehmen, wenn er nachher um fünf wiederkam. Außerdem interessierte es ihn, ob Kakiden bereits erste Ergebnisse hatte. Mindestens ein kleiner Anhaltspunkt wäre schon sehr schön gewesen und hätte Superintendent Asashi sicherlich auch ein wenig bezüglich des Einsatzes einer größeren Menge von Beamten im Umfeld der Yakuza überzeugt.

       Kaum war er in seinen Wagen eingestiegen und hatte die Türe hinter sich geschlossen, als ein schwarzer BMW 5er mit hohem Tempo durch die Tiefgarage angefegt kam und mit quietschenden Bremsen direkt hinter der Parklücke anhielt, wo Toritakas Honda stand. Die Ausfahrt war blockiert!

       Der Inspektor unterdrückte einen Fluch, zog mit einer Hand seine Dienstpistole, eine besondere Variante der SIG-Sauer P230, aus dem Mantel und aktivierte mit der andere Hand das Funkgerät im Wagen. Doch er hatte kaum den Knopf gedrückt, als ihn stetiges Rauschen und die Anzeige "No Freq" auf dem Display darüber informierten, dass er hier unten in der Tiefgarage, umgeben von Stahlbeton, keinen Empfang hatte. Verdammt - wer hätte auch damit gerechnet, dass die Yakuza innerhalb von fünfzehn Minuten so eine Aktion organisieren konnte?

       Im Rückspiegel konnte Toritaka beobachten, wie aus dem BMW auf der ihm entgegengesetzten Seite zwei Personen ausstiegen - clevere Leute; sie gingen nicht das Risiko ein, dass der Polizist den Rückwärtsgang einlegte und sie zwischen seinem und ihrem Auto einquetschte. Die Personen waren fast identisch aussehende Männer, auffallend gut gekleidet und offensichtlich mit der selben Konfektion ausgestattet, die man auch im Yoshioka-Bankhaus schätzte. Beide traten links und rechts hinter das Auto des Inspektors, machten aber weder Anzeichen, sich weiter zu nähern, noch waren bei ihnen irgend welche Waffen sichtbar.

       Fast eine Minute standen die Leute so regungslos da, bis Toritaka schließlich die Geduld verließ. Er ließ die Seitenscheibe herunter. "Ich würde gerne ausparken, meine Herren", rief er ihnen nicht ohne Sarkasmus in der Stimme zu. "Wären sie wohl so freundlich?"

       Es geschah, was er erwartet hatte. "Würden sie bitte aussteigen, Inspektor Toritaka-san?" rief ihm der Mann zu, der auf seiner Seite stand. "Wir sind hier, um sie abzuholen, und wenn sie wünschen, wird ihr Auto zu ihnen nach Hause gebracht."

       "Danke, ich verzichte", gab der Polizeibeamte zurück. "Ich habe für dieses Auto lange sparen müssen, da fahre ich es auch alleine. Was aber ihre erste Bitte angeht..." Er öffnete die Fahrertür und stieg aus. Die Dienstpistole ließ er im Wagen zurück. Besser dort, als wenn sie irgendwie in Verbrecherkreise geriet.

       "Ich freue mich, in ihnen einen so vernünftigen Menschen gefunden zu haben", sagte der Mann im Anzug, und sein Kollege öffnete die hintere Türe des BMW. "Bitte steigen sie doch ein."

       Toritaka murmelte ein "zu gütig", tat wie ihm geheißen, und der schweigsame Mann in Schwarz setzte sich hinten zu ihm. Der Wagen war innen luxuriös ausgestattet - Holzverkleidung, Lederpolsterung, getönte Scheiben, alles sehr gediegen. Hier waren jedenfalls keine niederen Ränge der Yakuza unterwegs. Wie hatten sie nur so schnell an ihn herankommen können? Wo saß der Informant? Hier in der Tiefgarage... oder im Polizeipräsidium?

       Vorerst verkniff sich der Inspektor noch diese Fragen - er nahm mit einer gewissen Berechtigung an, dass man sie ihm nicht beantworten würde. Eine Frage allerdings glaubte er stellen zu dürfen, und als auch der zweite Mann im Anzug vorne auf der Beifahrerseite eingestiegen und der BMW mit ihnen allen abgefahren war, tat er dies auch: "Darf ich mich erkundigen, wem ich diese Einladung hier verdanke?"

       "Selbstverständlich dürfen sie das", kam es vom Beifahrersitz. "Aihara-sama war so freundlich, sich kurzfristig Zeit für sie zu nehmen, um ihnen ihre drängenderen Fragen zu beantworten."

       "Aihara?" Toritaka presste die Lippen zusammen - es war also tatsächlich der Oyabun selbst, mit dem alles in Verbindung stand. Offensichtlich