Sternengeflüster. Mara Janisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mara Janisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783737544528
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und ich begleite ihn mit meiner Sopranstimme. Die Menschen werden aber doch aufmerksam auf uns, sie legen ihre Zeitungen weg und lächeln uns an.

      Aber in dem Moment ändert sich auch unser Verhalten und wir nehmen die Zuneigung aus einem gewissen Theaterinstinkt sofort an und singen, was wir nicht vorhatten, mit voller Stimme.

      Von den Tischen, die um die Ecke der Meierei stehen, kommen Menschen neugierig hervor. Den Serviererinnen merkt man an, dass sie nicht so recht wissen was hier vorgeht. Es ist mir fast schon peinlich, dass wir jetzt so im Mittelpunkt stehen.

      Jetzt fangen wir mit der dritten und letzten Strophe an, die mit einem hohen langen Ton endet. Umberto steht automatisch auf, um diesen letzten Ton besser stützen zu können. Ich lasse ihn alleine weiter singen bis über den hohen Ton hinaus, damit man seine Stimme gut hört. Der Schlusston – lang ausgehalten hallt förmlich im Park der Meierei.

      Die Menschen applaudieren und kommen zu unserem Tisch.

       „Das war wunderschön, so wohltuend, vor allem so überraschend. Einen Klavierspieler haben wir schon oft gehört, aber noch nie Sänger. Kommen Sie morgen wieder hierher, um welche Zeit?“, fragen sie.

      „Nein, nein, wir treten hier nicht auf, das war wirklich ein Zufall“, sage ich. Aber niemand glaubt uns; in dem Moment sehe ich Umberto von einer Schar junger Mädchen umringt, die ein Autogramm von ihm wollen.

      Plötzlich fangen einige Menschen wieder zu applaudieren an, die anderen stimmen ein.

      „Bitte noch eine Zugabe“, hören wir eine Frau sagen.

      „Ja, bitte eine Zugabe“, wiederholt sie. Wir stehen vor ungefähr 30 Menschen, die von uns noch eine Zugabe wollen!

      Ich versuche den Menschen zu erklären, dass wir hier private Gäste sind und keine Zugaben vorbereitet haben.

       „Dann wenigstens eine Strophe noch einmal“, hören wir aus der Gruppe jemand sagen.

      Umberto und ich schauen uns hilflos an, in dem Moment ruft die Mädchengruppe um Umberto

      „Bitte noch eine Strophe!“.

      Also gut, wir singen noch einmal die letzte Strophe. Ich merke wie nervös Umberto wird, weil jetzt die Erwartung der Menschen eine Forderung nach „gut sein müssen“ fast erzwingt, deshalb singe ich mit meinem Orpheus gemeinsam den letzten hohen Ton und er dankt es mir mit seinem Blick. Es ist gutgegangen! Sehr gut sogar! Die Menschen applaudieren wieder begeistert – langsam löst sich die Gruppe auf mit den Worten:

      „Morgen kommen wir wieder.“

      Ich habe es aufgegeben, den Menschen zu erklären, dass wir hier nicht auftreten und langsam beruhigt sich alles wieder. Da Umberto mehr als überfordert aussieht, rufen wir die Serviererin, um zu zahlen und aufzubrechen. Ich entschuldige mich bei ihr und sage ihr, dass unser Auftritt nicht beabsichtigt war. Sie erwidert, dass wir nichts bezahlen brauchen, weil es eine sehr gute Werbung für die Meierei war und die Bestellungen nach unserem Auftritt sich verdoppelt haben. Zum Abschied sagt sie: „Vielleicht will der junge Mann bei uns im Sommer ein paar Lieder singen, dem Geschäft täte es auch gut!“

      Wir verabschieden uns höflich und Umberto verlässt ein wenig fluchtartig mit mir die Meierei.

      Hymnus an das Ohr

      Vielgepriesen und verherrlicht wurdest du nie. Obgleich DU die Krönung des Menschen bist. Nicht so das Auge. Du Ohr bist still, hast keinen stechenden Blick, bist leise und hörst alles. Du lauschst in die Welt hinaus und bist für die wohligsten Klänge geschaffen. Tief ragst du in den Menschen hinein. Auf gewundenen, verschlungenen Wegen entfaltest du das Wunderwerk des Hörens. Doch verloren haben wir die Ohren, sie sind voll mit Geschwätz, Lärm und Missklang.

      Ich höre nicht mehr auf dich, sagt der Nachbar, weil ich dich nicht mehr hören kann. Das Horchen habe ich verloren, das Gehorchen nicht. Liebes Ohr, Ohrenschmaus bekommst du keinen, aber bitte öffne dich wieder, sonst sind wir verloren, ohne Ohren!

      Bereite dich vor, gib uns zurück, was wir verloren. Hilf uns, den Weg zu dir wieder zu finden. Du liebes Ohr, verschlossen sind deine Pforten, stumpf und grob bist du geworden.

      Arme Menschheit, auf was hörst du, wem gehörst du?

      Und du Auge, du bist jetzt der König der Welt?

       Im Auge prangt Stärke

       es tötet mit Blicken

       ohne sich zu verstricken

       setzt Urteil und Werte

       gemächlich in Liebe

       zuvorderst nur Triebe

       Getriebe, Getriebe, Getriebe

       und wo bleibt die Liebe?

      Du Auge, stich alles weg, was dir nicht gefällt, wenngleich du die Schönheit noch erschauen kannst. Verloren hast du ihn nicht, den Blick für die Schönheit.

      Und du Ohr, du bekommst die Schönheit nicht mehr zu hören, weil du im Handy verglühst, der Kunst entrissen wirst, in Torheit verloren bist, ent-eignet, ent-geistet bist.

      Verblendetes Auge sucht Ohr mit Schallschutz zur gemeinsamen Genesung! Vielleicht können wir wieder zusammenarbeiten unter deiner Führung geliebtes Ohr!

      Geliebtes Ohr, singe uns wieder von den Schönheiten des Lebens. Lausche – du wirst sie hören. Du wirst das erste sein, das sie hört. Wann kehrst du wieder ohrenvolle Zeit? Wer gibt uns das Ohr zurück?

      Verloren sind die Ohren du Tor!

      Musentempel

      Es ist kurz nach Mitternacht. Ich husche ins Haustor meines ehemaligen Wohnhauses in der Helftorgasse in die Dunkelheit hinein und ich schleiche Stufe um Stufe das Stiegenhaus hinauf. Zum Glück muss ich nur das Hochparterre erreichen. Was sagst du, wenn du jemanden triffst?

      „Ah, so ein Zufall, guten Morgen!“, scherze ich mit mir selbst. Dann beruhige ich mich schnell.

      „Dich erkennt niemand, heute hast du dich ja verkleidet mit einer blonden Perücke mit schulterlangen Haaren und für den Notfall hast du eine große dunkle Sonnenbrille mitgenommen. Außerdem, das Haus hat vier Stockwerke mit einem Lift, der in den Keller zum Garagenausgang führt, den von innen jeder öffnen kann. Wenn du jemanden triffst, gehst du unauffällig bis zum Lift und fährst in den Keller und verschwindest durch den Garagenausgang. So einfach ist es!“, sage ich mir immer wieder.

      Mit dieser Beruhigung erreiche ich die Wohnungstüre, ich sperre vorsichtig auf und schon bin ich in Sicherheit. Kaum fällt die Türe ins Schloss, so höre ich – es ist kaum zu glauben – Singen in der Wohnung. Das gibt es doch nicht! Vielleicht kommt es von nebenan? Ich lege mein Ohr an die Wand – nein, es kommt aus meiner Wohnung. Umso näher ich mich zum Musikzimmer taste, umso stärker wird der Klang. Jetzt ist es eindeutig! - Das Singen kommt aus dem Musikzimmer. Es ist eigenartig, wenn man nichts sieht und nur hört; das sind ja mindestens zehn Stimmen, die ich höre!

      „Bitte, hört auf zu singen, man hört das doch im ganzen Haus, ihr verratet mich, dass ich hier bin!“, empöre ich mich.

      „Wer seid ihr eigentlich, was macht ihr hier?“, bringe ich hervor.

      „Ich kann euch nicht einmal sehen.“

      „Das ist nicht wichtig, dass du uns siehst, hören sollst du uns. Du brauchst keine Angst zu haben, nur du kannst uns hören!“, beschwichtigen die Stimmen und stimmen einen mantrischen Gesang an. Er kommt mir bekannt vor, ein wunderschöner Gesang ist es. Jetzt erinnere ich mich, ich habe das Lied mit meinen Schülern im Singkreis oft gesungen.

      „Lied für die Erde“ heißt es. Der Text des Liedes stammt aus