Der Debütant im Ruhestand. Heidi Hollmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Hollmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847637554
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sie sich zurecht. Rudolf hatte sie allesamt in sein verkümmertes Herz geschlossen. Mit ihnen ließ sich reden, ohne dass er auf Widerworte oder Missverständnisse gestoßen wäre. Katzen waren für ihn einfach die besseren Menschen.

      Das empfand Herta ganz und gar nicht. Diese kleinen Biester hatten die Angewohnheit, sie als erste zu wecken, was ihnen regelmäßig gelang. Das über beide Betten von Rudolf angebrachte Regal, auf dem vor allem Hertas Abendlektüre ihren Platz fand, diente den Katzen als Liegeplatz, sobald sie aufgewacht waren. Von dort bombardierten sie speziell die Herta mit den Büchern, die sie im Liegen mit ihren Tatzen ein wenig schoben, bis sie herunterfielen, geradewegs auf Herta, die sich unter dem Oberbett in Sicherheit brachte. Stand dann immer noch niemand auf, sprang der schwarze Kater auf Hertas Nachtisch, wo er sich an ihrem Schmuck zu schaffen machte. Herta räumte das Zeug so gut wie nie weg, was aber für sie meist der ordentliche Rudolf besorgte. Schon aus dem Grund, weil die Katzen den Verschluss aus kleinen Diamanten an der Perlenkette (ein Erbstück) mir nichts, dir nichts, immer wieder anknabberten. Ihr ehemaliger Glanz war erloschen, was Herta aber nicht störte. Die Kette war deshalb ja nicht unbrauchbar und ließ sich gut schließen.

      Das erste, dieser für ihn beinahe anbetungswürdigen Tiere, ein halbverhungerter kleiner Tiger war Rudolf kurz vor Mitternacht vor seinem fünfzigsten Geburtstag entgegengelaufen. Eigentlich eher der Herta. Vorher hatte es einen kleinen Umtrunk mit wenigen Freunden gegeben. Man war nach Hause geeilt, um den Geburtstag dort mit den beiden fast erwachsenen Kindern zu feiern. Auf dem Weg am völlig im Dunklen gelegenen Bahndamm schrie Herta auf. Ihr war irgendetwas über ihre offenen Schuhe gelaufen. Sie vermutete, eine Maus und schrie gellend durch die Nacht. Wieder diese Berührung, die sich eine Maus niemals erlauben würde. Beim genauen Hinsehen, entdeckten sie den kleinen Kerl, der nahezu dreizehn Jahre bei ihnen blieb, bis ihn eine Tierärztin von seiner Krebserkrankung erlöste.

      Zwei seiner „Lieblingstiger,“ hatte Rudolf mit denen er besser konnte, als mit jedem Menschen, schon beerdigen müssen. Die kleinen Gräber wurden von ihm mit Steinen markiert und auf jedes Grab pflanzte er winterharte Stauden aus Zuneigung und auch zur Markierung.

      Herta beschlich der Gedanke, Rudolf müsse doch ein Herz haben und sie freute sich im Grunde genommen über seine Liebe zu diesen Pelztieren, die er sogar öffentlich zeigte. Sie selbst verbot sich, auch nur das kleinste böse Wort fallen zu lassen, wenn es um seine Katzen ging. Kurz vor Rudolfs Pensionierung hatte ihr Schwiegersohn ihnen ein Junges gebracht, das partout nicht aus seinem Motorraum zu entfernen war. Während er an seinem Auto bastelte, saß das Tierchen wie angeklebt dort und beobachtete sein Tun. Wohin nur mit dem maunzenden Beobachter?

      Zur nächsten Auffangstation, also zu Rudolf. Herta weigerte sich vehement, das Tierchen ins Haus zu nehmen, was zu erbitterten Diskussionen mit ihm geführt hatte.

      „Hier kommt mir kein Tier mehr rein, Rudolf, nicht mal `ne Scheißhausfliege!“ verneinte sie drastisch.

      Schließlich erbarmte Herta sich doch und gönnte Rudolf die Strapazen, die das Tier ihm später aufbürdete.

      Zunächst benahm es sich recht ordentlich, das heißt, es schlief sehr viel, aß sehr wenig und war kaum wahrzunehmen. Mit wachsendem Vertrauen ging es Rudolf aber tüchtig auf sein ohnehin nervöses Gemüt.

      Das Tier war urplötzlich nicht mehr mit seinem Dasein zufrieden, der Garten schien ihm zu klein zu werden und es verstand es, mit großem Erfolg, auszubüchsen. In einer verkehrsreichen Strasse ist eine Katze Freiwild für Autofahrer. Bisher hatten alle ihre Getigerten Glück, fielen keinem Auto zum Opfer. Bei dem Verkehr und dem Gesetz der Serie zufolge musste irgendwann mal irgendetwas passieren. Gegenüber ihres Hauses befand sich ein Haselnussbaum, den ein Nachbar vor ewigen Zeiten dort gepflanzt hatte, weil er keinen Platz mehr in seinem Reihenhausgarten für ihn fand.

      Dieser Baum zog vor allem Eichhörnchen magisch an und so manches Braune lag zur Flunder mutiert auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn.

      Das befürchtete auch Rudolf für sein kleines Findelkind. Sein sonst so üppiger Nachtschlaf wollte ihn vor lauter Sorge nicht mehr beehren. Normalerweise brauchte er nur ins Bett zu klettern, ein „Gute Nacht“ zu brummeln, falls ihm das noch gelang, bevor Morpheus ihn in seine Arme nahm.

      Er sann darüber nach, was er tun könnte, um die Kleine, wie er sie voller Zärtlichkeit nannte, vor diesem Unheil, vor dem sie anscheinend noch nicht einmal bewahrt sein wollte, zu retten.

      Er zog ringsum mit viel Mühe und viel Geld, was ihn besonders schmerzte, einen Zaun hoch, einen, mit einem Überhang, wie er es bei den Affen im Zoo gesehen hatte. Das Tier würde es kaum schaffen, das Hindernis zu überbrücken.

      Denkste! Schon nach wenigen Minuten war die liebe kleine Henry, die eigentlich eine Henriette war, verschwunden. Rudolf hatte beim ersten Tierarztbesuch erfahren, dass es sich um ein weibliches Tier handelte. Dennoch behielt er den Namen Henry bei, um sein Tierchen nur ja nicht zu irritieren.

      Seine Henry intelligent, wie fleißig, strich geschäftig an den Zäunen entlang, schaute verdächtig oft nach oben, plante mal wieder einen Ausbruch aus „Alcatraz.“ Prompt war sie kurz darauf auch schon wieder verschwunden. Rudolf wurde es ganz übel vor Aufregung. Tagelang bastelte er an den Schwachstellen. Unter anderem fällte er den einzigen Fliederbaum, entfernte einige Zypressen und ihr kleiner Garten wirkte, wie von Heuschrecken heimgesucht und „kahlgefressen“.

      Es half alles nichts, der kleine Ausreißer, leicht wie eine Feder, hangelte sich am Efeu des Zaunes hoch und schwupp, war er mal wieder auf Reisen. Wegen seiner Winzigkeit hatte Rudolf davon abgesehen, sein Herzblatt kastrieren zu lassen. Er fürchtete aber, in kurzer Zeit „Großvater“ zu werden, wenn das „Vögelchen“ weiterhin auf Wanderschaft ging. Herta musste schmunzeln. Wie sehr er sich doch mit diesen Biestern identifizierte, dachte sie halb gerührt und halb verärgert. Auch sie liebte die Katzen, obwohl es ihr so manches Mal über die Hutschnur ging, wie sehr sich ihr Mann um diese beiden Wesen ein Bein ausriss.

      Sie durften so gut wie alles. Ob sie mit ihren Schmutzpfoten auf den Tisch sprangen, dort unappetitliche Spuren hinterließen, an der Butter schleckten, wenn Herta mal vergessen hatte, sie abzudecken, oder auch, wenn sie schon mal ihr dünnes übelriechendes Geschäftchen auf den Treppenstufen tätigten, wurde alles von Rudolf geduldet und erlaubt. Kurzum, vor ihren Machenschaften in Sachen Unhygiene war nichts sicher. Vor allem Rudolfs Mutter ekelte sich sehr vor den Tieren. Seinetwegen und weil ihr Sohn sie vermutlich niemals mehr empfangen hätte, strich sie mal kurz auf sein Verlangen hin über das „ach so weiche Fell“ wie Rudolf zurecht behauptete. Danach wusch sie sich im Gästeklo stundenlang die Hände, bis sie krebsrot wurden.

      Katzen merken sehr wohl, wenn sie nicht angenommen werden. Henry machte da keine Ausnahme und mit einem gehörigen Bocksprung wich sie Rudolfs Mutter aus, als wenn sie mit einem Elektrozaun in Berührung gekommen wäre.

      In dem Moment bekam Rudolf eine zündende Idee, während die Katze aus Protest noch einmal den Tisch aufsuchte und ihren Schwanz um die Kaffeetasse der Angeekelten schlang, deren Antlitz grün wie eine Seegurke wurde. Damit nicht genug, schleckte das Tier auch noch an dem Sahnehäubchen der alten Dame und ihr Sohn Rudolf, der dies alles mit Argusaugen verfolgte, tat nichts, um dieses Untier zu vertreiben, im Gegenteil, er tauchte auch noch seinen Kaffeelöffel in die Sahne und ließ seinen Liebling davon schlecken. Das war ja nun doch die Höhe!

      „Ja, so werde ich es machen!“ dachte Rudolf und ihm kam eine Idee. Dabei stippte er seinen Kaffeelöffel in Gedanken nochmals, gerade jenen, an dem dieses Biest gerade geschleckt hatte, in den Zuckertopf. „Welche Schweinerei!“ dachte seine Mutter erregt.

      Nachdem Rudolf alles Grün radikal abgeschnitten hatte in ihrem Gärtchen, setzte er seine Gedanken in die Tat um.

      Er würde den Draht unter Strom zu setzen, damit diese Ausbruchsversuche ein Ende nähmen.

      Es ging seiner ungehorsamen Henry offensichtlich nicht darum, umherzustreunen, sie blieb nur wenige Minuten aus, sondern vielmehr darum, ihrem Herrchen zu beweisen, wer der Schlauere von beiden war. Niederlagen konnte Rudolf, wie sattsam bekannt, noch nie ertragen. Er würde seiner Henry jedenfalls beikommen.

      Zum Glück war sie bisher immer wieder