Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Heller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847679462
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ganzen Tag unterwegs gewesen und ganz kaputt auf den Beinen."

      Sie strahlt ihn an. Er spürt ein Kribbeln, ganz leicht nur, aber es ist da.

       Mädchen, warum siehst du mich immer nur so an? Du machst mich ganz irre.

      "Prost Anna, vielen Dank, auf dein Wohl."

      Er versucht zurückzustrahlen, ohne Ahnung, ob es gelingt. Der Schnaps brennt das Kribbeln etwas weg, aber es kommt gleich wieder.

      "Also Anna, du siehst wieder so was von fesch aus, fast wie heute morgen."

      Sie lacht.

      "Danke, aber wieso nur fast wie heut morgen?"

      "Ich sag nur: heute morgen Dirndl. Da konnte ich mich gar nicht auf 's Frühstück konzentrieren. Das steht dir wie... also wie soll ich sagen..."

      "Danke, vielen Dank. Wenigstens einer, der mich anschaut."

       Wenn du wüsstest, wie oft ich dich anschaue.

      "Du willst mir doch nicht erzählen, dass dich Hans nicht ansieht – oder?"

      Das Strahlen in ihrem Gesicht reduziert sich auf ein leichtes Lächeln.

      "Du, ich bin eine Frau und freue mich über Komplimente – aber Hans schaut mich natürlich auch an, er hat einen guten Geschmack. Nur mit den Kommentaren ist er recht sparsam, vielleicht muss ich mir für ihn mal etwas Besonderes überlegen."

      Sie lacht wieder, steht auf und füllt, diesmal ohne zu fragen, die Gläser ein zweites Mal, jetzt aber beide voll, zweiter Alarm.

      "Prost Bruno, das müssen wir ausnutzen, dass wir beide solo sind."

       Was wird 'n das jetzt hier?

      Der zweite Schnaps scheint das Kribbeln eher zu verstärken.

      "Warum schaust' eigentlich so ernst und nachdenklich drein? Du wirkst irgendwie traurig, so kenn ich dich ja gar nicht. Geht es dir nicht gut?"

       Mist, was hat sie denn? Soll ich ihr jetzt meine Gefühlslage erklären? Gibt doch nur Stress.

      "Nee, wie kommst du darauf? Es geht mir gut, keine Sorge."

      Schlagartig verschwindet ihr Lächeln und sie zeigt, dass sie auch ernst kann, will man gar nicht glauben.

      "Aber irgendetwas hast du. Das sehe ich dir an."

      "Nein, es ist nichts. Ganz normale Alltagsproblemchen. Muss man nicht drüber reden. Besser, wenn ich das für mich behalte, anstatt dich damit zu belasten."

       Scheiße, was rede ich hier? Das ist ja geradezu eine Einladung, da einzuhaken.

      Sie schaut ihm zu, wie er den letzten Schluck Wein trinkt, ein paar Sekunden lang und dann siegt ihre Neugier.

      "Hat das was mit deiner Carla zu tun?"

      Meine Carla, pah. Meine Carla, Deine Carla, Carla ist für alle da. Nur nicht für mich.

      Schweigend steht er auf und füllt neuen Wein in die Karaffe. Als er wieder seinen Platz eingenommen hat, sieht sie ihn wieder an, immer noch steht der Schalter auf ernst. In der einsetzenden Dämmerung wandelt sich das grüne Strahlen ihrer Augen in einen eher matten Glanz undefinierbarer Farbe.

       Mädchen, Mädchen, du kannst einen anschauen, da kommt der beste Dackel nicht mit. Ich werde dir jetzt was erzählen!

      "Mein Gott, Anna, was soll ich sagen? Du sitzt hier mit mir, wir trinken Schnaps, du siehst zum Anbeißen aus und strahlst mich an, wie ich es sonst nur träume - ich bin doch nicht aus Holz! Auch wenn ich Dein Vater sein könnte, ich habe doch nicht alles vergraben und vergessen, was zwischen Mann und Frau so abgeht, sagen wir mal, abgehen kann."

       Und Platon geht mir am Allerwertesten vorbei...

      Er trinkt sein Glas mit einem Zug aus.

      "Ist doch traurig genug, dass meine Gefühle für die Katz sind. Du bist so oder so für mich unerreichbar. Aber lass mich wenigstens ein wenig spinnen und wenn ich vielleicht mal einen Spruch mache, der dir zu weit geht, nimm es mir nicht übel, ich meine es ehrlich, auch wenn es sinnlos ist. Vielleicht bin ich auf eine gewisse Weise ein bisschen verknallt in dich, aber nur ein wenig und nur so für mich, das geht keinen was an. Und keine Angst, keiner wird etwas merken. Ich werde dich auch nicht belästigen und wenn ich dir auf den Senkel gehe, sage es mir. So, nun weißt du alles, mehr ist nicht. Das reicht ja nicht mal für 's Vorabendprogramm. Aber ich will dir noch eines sagen: in mir kribbelt es. Ein wunderbares Gefühl, dass ich lange nicht hatte und von dem ich gar nicht wusste, dass es noch in mir schlummert. Du hast es geweckt und dafür mache ich mich gerne zum Clown. Und Clowns sind doch immer traurig oder ?"

       So, jetzt bist du dran.

      Jetzt lacht er. Ob das nun vom Kribbeln kommt oder vom Wein, ist nicht zu klären und irgendwie auch egal.

      "Ich hab mich also nicht getäuscht. Was soll ich sagen? Ich habe ja nicht geahnt, was in dir vorgeht. Dass du immer gerne hier bist, weiß ich natürlich. Aber ich habe das nie auf mich bezogen. Ich dachte es sei alles Mögliche, das Tal, die Berge, die Menschen, das Skifahren, was weiß ich?"

      Sie macht eine kleine Pause, so als hoffe sie auf seine Antwort. Bruno schweigt.

      "Und was machst du nun, wie gehst du jetzt damit um? Einfach so ertragen und hoffen, dass es vergeht?"

      Wieder eine Pause, dritter Alarm.

      Sie sieht ihn nicht mehr an, schaut auf ihr leeres Glas. Das Kribbeln wird für ihn unerträglich. Er steht auf, will sich einen weiteren Schoppen Wein holen, aber sie erhebt sich in diesem Moment ebenfalls, so dass sie fast zusammenstoßen. Ganz kurz stehen sie sich sehr nah gegenüber und verharren in dieser Position, sozusagen Film gerissen. Jetzt die Nähe, wieder das Parfum, grüne Augen lächeln ihn an und schon ist Alarmstufe rot. Das Herz wummert bis zum Hals, die Welt dreht sich nicht mehr.

       Ist das jetzt Casablanca oder was? Ich halte es nicht aus, Anna, bitte mach was!

      "Ich glaube, ich muss jetzt gehen."

      Anna schiebt sich an ihm vorbei, Richtung Tür. Hier dreht sie sich noch mal lächelnd um und dann ist sie weg.

       Das war knapp. Aber knapp daneben ist auch vorbei, leider...

      Er stellt die Karaffe auf den Ecktisch, kein Wein mehr. Dafür öffnet er den Kühlschrank, holt die Schnapsflasche raus und gießt sich einen doppelten Obstler ein. Er muss unbedingt seinen Puls runterfahren, muss seine Emotionen unter Kontrolle bringen. Er setzt sich wieder und versucht, in seinem Krimi voranzukommen. Nach der dritten Seite stellt er interessanterweise fest, dass seine Seelenverwandtschaft mit dem Commissario Montalban um eine weitere Gemeinsamkeit ergänzt werden muss. Auch Montalban hat in seinem aktuellen Fall das Vergnügen mit einer wesentlich jüngeren, bildschönen Frau, die ihn sehr gekonnt um den Finger wickelt. Als Leser merkst du das, als Kriminalkommissar nicht, sozusagen Beruf verfehlt. Auch Montalban brodelt innerlich, hat Probleme, sich in den Griff zu kriegen, taumelt zwischen der süßen Versuchung und dem wirklichen Leben hin und her, wo er erstens eine Partnerin hat und zweitens der Vater der jungen Frau sein könnte.

       Vater sein könnte, also jetzt reicht 's!

      Er klappt das Buch zu.

       Was habe ich nur erzählt? Habe ich mir etwa eingebildet oder gehofft, dass Anna mir um den Hals fällt? Das ist doch alles Quatsch, nur seniles Gesülze mit freundlicher Unterstützung von Bruder Alkohol. Warum konnte ich auch nicht die Klappe halten? Was sollte sie überhaupt mit mir anfangen? Ich, mit meinen mindestens 15kg Übergewicht, meinen