Schweigen = Tod, Aktion = Leben. Ulrich Würdemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Würdemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783745075892
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aus dem Kontext des Holocaust wie Genozid, KZ oder Lager. ACT UP New York zum Beispiel kritisierte den US-Präsidenten George Bush mit folgendem Sprechchor:

      „George Bush, you can't hide – We charge you with genocide!“

      (Vgl. ACT UP Chants, auf Deutsch etwa: George Bush, du kannst dich nicht verstecken – Wir klagen dich des Genozids an“; U. W.)

      Auch in Publikationen verwendete ACT UP New York bis zu Beginn der 1990er-Jahre Wörter aus dem Begriffsfeld „Genozid“. Zu einer „Ashes Action“ am 11. Oktober 1992 in Washington D.C. rief die Organisation unter anderem mit dem Slogan

      „Join us to protest twelve years of genocidal AIDS policy“

      (etwa „Mach mit beim Protest gegen zwölf Jahre genozidaler Aidspolitik“; U. W.)

      auf, und bei einer „Funeral procession“ im November 1992 sagte Mark L. Fisher:

      „And we are dying of a disease maintained by a degree of criminal neglect so enormous that it amounts to genocide.“

      (http://www.actupny.org/diva/polfunsyn.html, etwa „Und wir sterben an einer Krankheit, die durch ein solch enormes Maß an krimineller Vernachlässigung aufrechterhalten wird, dass dies einem Genozid gleichkommt“; U. W.)

      Und noch 1996 formulierte Eric Sawyer auf der XI. Internationalen Aids-Konferenz in Vancouver:

      „Human Rights Violations and Genocide continue to kill millions of impoverished people with AIDS“

      (Sawyer 1996, „Menschenrechtsverletzungen und Genozid töten auch weiterhin Millionen verarmter Menschen mit Aids“; U. W.).

      Am bekanntesten für die Gleichsetzung von Aids und Holocaust aber wurde der Autor und ACT-UP-Gründer Larry Kramer. Zu den möglichen Gründen schrieb der US-amerikanische Schriftsteller Tony Kushner, der für sein Stück „Angels in America“ den Pulitzer-Preis erhielt:

      „In a way, like a lot of Jewish men of Larry's generation, the Holocaust is a defining historical moment, and what happened in the early 1980s with AIDS felt, and was in fact, holocaustal to Larry.“

      (Zitiert nach Vargas 2005, S. 3, etwa „In gewisser Weise ist der Holocaust, wie für viele jüdische Männer aus Larrys Generation, ein entscheidendes historisches Ereignis, und was in den frühen 1980er-Jahren rund um Aids geschah, stellte sich für Larry holocaustisch dar und war es de facto auch“; U. W.).

      Doch so traumatisch die Erfahrungen schwuler Männer besonders in den ersten zehn bis 15 Jahren der Aidskrise gewesen sind – kann man die Situation schwuler Männern zu Beginn der Aidskrise wirklich mit der Verfolgung der Juden durch die NS-Diktatur gleichsetzen? Kann das Bemühen, in einem durch Schweigen und Ignoranz gekennzeichneten Alltag und Politikbetrieb Aufmerksamkeit zu erzielen, dies rechtfertigen?

      Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich Parallelen zu geben. HIV-Positive und Aidskranke wurden (und werden) in manchen Gegenden der Welt mit dem Strafrecht bedroht, allein weil sie HIV-positiv sind. Auch Quarantäne aufgrund der HIV-Infektion war eine Drohung für Menschen mit HIV und Aids, in manchen Gegenden eher als abstrakte politische Forderung, in anderen als konkrete Realität. Der massiv von ACT UP kritisierte US-Politiker Jesse Helms zum Beispiel forderte Ende der 1980er-Jahre eine „quarantine of those infected“ (Chicago Tribune 1987), Kuba sonderte von 1986 bis 1993 Aidskranke in einem abgelegenen Sanatorium ab (Adesky 2003), in Frankfurt am Main forderte der Oberbürgermeister noch 1988 eine „Quarantäne für Uneinsichtige“ (Schock 2013), und in Schweden konnten HIV-Positive zwangsweise zur Quarantäne in ein Krankenhaus eingewiesen werden (Rath 2005).

      Dennoch sprechen viele Argumente gegen diese hochproblematische Gleichsetzung von Aidskrise und Holocaust. Der Holocaust basierte auf bewussten Handlungen, auf Diskussionen und Entscheidungen über eine sogenannte Endlösung. Er hatte konkrete Täter und Opfer. Er wurde in monströsem Umfang, mit härtester Rücksichtslosigkeit und Unmenschlichkeit bewusst und absichtlich betrieben. Der Holocaust war und bleibt in jeder Hinsicht ein singuläres Ereignis.

      Aids hingegen beruht auf einem Virus als Agens. Es gab keine Aids-Konzentrationslager für Schwule, und keine Regierung benutzte Aids zur Ermordung von Homosexuellen.

      So sehr der Holocaust auf den ersten Blick als Matrize auch geeignet erscheinen mag, die Verantwortungslosigkeit des Nichtstuns, die Bestürzung beim Erleben massenhaften Sterbens, das Gefühl der Apokalypse und die Angst vor der Auslöschung einer ganzen Gruppe zu veranschaulichen – die Gleichsetzung ist in jeder Hinsicht maßlos und bestürzend. Einen einzigen Zweck mag sie im Rückblick erfüllen, einen historischen: Sie illustriert, wie tief der Schock in den ersten Jahren der Aidskrise saß – besonders in den USA und besonders in den Schwulenszenen.

      ACT UP Deutschland hat das Signet „Schweigen = Tod“ nach Diskussionen auch über US-amerikanische Holocaust-Analogien übernommen. Hierfür sprach unter anderem, dass der Rosa Winkel gerade in Deutschland als Zeichen der 1970er-Schwulenbewegung sehr bekannt war und so auf ein „eingeführtes“ Zeichen zurückgegriffen werden konnte, das sofort verstanden wurde. Vergleiche der Aidskrise mit dem Holocaust und Genozid-Formulierungen hingegen hat es bei ACT UP in Deutschland meines Wissens nicht gegeben – aus guten Gründen.

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