»Mein Gott, es ist Nr. 4, der so stinkt. Murgh Korma gemischt mit den Abwässern von Kalkutta. Der fault ja von innen raus!«
Mosquito war wieder in seinem Element … »He Daniel, Du hast gewusst, dass unser indischer Brandstifter das Stinktier ist, Du Sack!«
»Nein, ich hab’s nicht gewusst, sagen wir eher … geahnt«, entgegnete Brötchen ungerührt. »Aber mach nicht so dicke Backen und versorg den Guten erst mal oder muss ich Dir erst in Deinen knochigen Hintern treten?«
»Und wie ich den versorgen werde, religiöse Haartracht hin oder her, der Bart ist ab, hihi.«
Brötchen hatte mich auf die Seite gedreht und fuhrwerkte hinter meinem Rücken herum. Ich war mir nicht sicher, ob er mir zur Veranschaulichung ihrer »Macht« das ganze Schauspiel zeigen wollte, oder ob er tatsächlich irgendetwas in Seitenlage mit mir zu schaffen hatte.
Jedenfalls konnte ich sehen, wie Mosquito einen Langhaarschneider aus seinem Servicewagen hervorkramte und vor den Augen des zuerst entsetzt, dann zornig dreinblickenden Inders hin und her schwang.
»Der Bart ist ab, mein Lieber!«, wiederholt er noch einmal und blickte ihm prüfend in die Augen. »Diese verfilzte Matte werde ich mir daheim als Fußabstreifer vor die Türe legen!«
Aus den Augen des Inders loderte blanker Hass, gemischt mit dem Entsetzten, dass er mit seinem Bart auch sein religiöses Ansehen verlieren würde.
Mosquito grinste das gemeinste Lächeln, das ich je gesehen hatte, setzte den Langhaarschneider an und scherte Nr. 4 wie ein Schaf. Die langen Haupthaare fielen dem Rasierer ebenfalls zum Opfer.
»Gehst Du da nicht ein bisschen zu weit?«, fragte Brötchen. »Wenn das die Gefängnisleitung rauskriegt, haben Sie Dich am Kanthaken!«
»Wieso?«, grinste Mosquito herüber. »Ich mache das ja nur aus hygienischen Gründen. In so einer Matte kann sich ja alles Mögliche einnisten. Vermutlich lebt dort ohnehin schon die weltgrößte mobile Milbenkolonie!« Er gluckste und grinste zufrieden, um sich wieder an seinem Opfer zu laben. »Sein Puls ist schon bei 175 – geil!«
»Du bist schon ein perverser Hund«, meinte Brötchen. »Wenn Du Freunde hättest, würden Sie Dich von einer Brücke stoßen!«
»Das ist gut, hihi, wenn ich Freunde hätte«, gluckste Mosquito vor sich hin, offenbar irre zufrieden mit diesem Start in den Tag.
Puppentheater
Brötchen hatte mich auf der Seite liegen lassen und versorgte bereits Nr. 3 und einige Zeit später Nr. 2. Als er mit den beiden fertig war, kam er wieder zu mir, stellte sich rechts hinter mein Bett und meinte hinter meinem entblößten Rücken: »Hast Du den Easy-Sanitizer von Deinem stinkenden Freund schon gereinigt?«
»Häh?! Den Easy-Was?!«, fragte Mosquito.
Deutlich entnervt antwortete Brötchen. »Mann, die Fäkalabsaugung!«
»Ach die … schau mal, was ich darin gefunden habe«, sagte Mosquito, erhob seine gummibehandschuhten Hände hinter dem Rücken des Inders und stellte ihm zwei Figuren auf die Hüfte, die er aus dessen Exkrementen geformt hatte.
»Du hast echt ein Rad ab!« Brötchen schüttelte entgeistert den Kopf.
»Wieso denn? Hast Du noch nie was von indischem Puppentheater gehört? Unserem Freund hier wird es sicherlich gefallen, noch einmal vorgespielt zu bekommen, was ihn hierher gebracht hat. Und außerdem haben wir unseren Regenschirmmörder als Ehrengast dabei. Der sitzt nicht etwa in der ersten Reihe, nein, der liegt ganz dekadent da, wie ein römischer Cäsar in seiner Chaise-Dingsbums.«
Mosquito beugte sich über seinen Patienten, sodass dieser das Gehampel mit den beiden grob gekneteten Figuren mitverfolgen konnte. Der Gestank war furchtbar. Dann stellte Mosquito die beiden Figuren gegeneinander und begann mit dem dürftigen Dialog: »Nein ich heirate Dich nicht Du stinkendes Scheusal«, trällerte er in einem hohen Falsett.
»Dann soll Dich auch kein anderer Mann besitzen!«, versuchte er mit einem tiefen Bariton seine Stimmbänder nachhaltig zu schädigen.
»Schönheit ist vergänglich, das wirst Du schon früh genug merken, wenn ich das Haus Deiner Familie in Brand stecke und Du und Deine Sippe zu Asche verbrennen.«
»Nein Hilfe, ich will nicht verbrennen, ahhhhhhh!« Seine hohe Stimme überschlug sich.
Mosquito ließ die Figur, welche die Frau darstellen sollte, zitternd niedersinken. Fassungslos verfolgte ich das Schauspiel. Mosquito gleich einer geifernden Spinne hing mit dem Oberkörper über meinem Zellennachbarn und bewegte die Figuren. Die Augen blitzten wahnsinnig durch die Nickelbrille, seine Arme hingen in ihren glänzend schwarzen Gummihandschuhen breit über seinem Opfer und spielten weiter mit den Kot-Figuren.
Die Würde des Menschen …
Ich war schockiert! Zum einen lag ein Mörder neben mir, der allem Anschein nach eine ganze Familie ausgelöscht hatte, weil er einen Korb bekommen hatte. Zum anderen spielte vor meinen Augen ein wahnsinniger Pfleger mit den Exkrementen eines Menschen, um ihn zu demütigen. Wie niederträchtig konnte ein Mensch nur sein? Von wegen, die Würde des Menschen ist unantastbar! Sie ist formbar wie ein Klumpen Lehm …
Ich wandte meinen Blick von den Figuren ab, sah meinem Zellengenossen direkt in die Augen und erschrak. Er starrte mich mit solch einem wütenden und zornigen Blick an, dass ich zu fühlen glaubte, er würde mir mit eisig kalten Händen mein Herz aus dem Leib herausreißen. Der lodernde Wahnsinn in seinen Augen ließ mich meine Lider niederschlagen. Trotzdem glaubte ich zu spüren, wie sein Hass gegen meine Lieder schlug und versuchte einzudringen.
»Och, jetzt hat der Kleine die Augen zugemacht. War wohl ein bisschen viel für ihn«, hörte ich Mosquito sagen.
»Weißt Du, wenn ich wirklich Dein Freund wäre, würde ich Dich heute Abend zu einem Spaziergang auf die nächstgelegene Autobahnbrücke einladen …«, sagte Brötchen hinter mir und drehte mich endlich wieder in Rückenlage. Das offene Fenster hatte sowohl den Raum als auch meine Schokoladenseite ordentlich auskühlen lassen.
Mosquito kicherte gereizt vor sich hin und Brötchen fuhr fort: »Ich gehe jetzt rüber in den Haupttrakt und Du machst jetzt endlich Deinen Scheiß-Job fertig! Du musst nur noch Nr. 1 verarzten, die anderen habe ich bereits gepampert. Das ist mehr als fair, also mach hier bloß keinen weiteren Blödsinn!«
»Du hast mir gar nichts zu sagen, Daniel! Dafür weiß ich zu viel über Dich!«
»Arschloch!«, sagte Brötchen, schob sein Servicewägelchen auf den Flur und schloss die Tür von außen. Das Geräusch des Schlosses versetzte mir einen Stich. Ich mochte Brötchen nicht unbedingt und wusste auch nicht, welches Spiel er spielte. Aber die Vorstellung, ohne ihn, allein mit Mosquito in einem Zimmer zu sein, versetzte mich in deutlich mehr als nur in Unbehagen. Ich beschloss die Augen geschlossen zu lassen und mich an den Ort zu versetzen, an dem ich mich wohlfühlte. In mein Kehrwasser! Aber so einfach war das nicht, Mosquito schlich immer noch herum und brabbelte vor sich hin.
»Mach endlich Deinen Scheiß-Job fertig! Mach endlich Deinen Scheiß-Job fertig!«, äffte er Brötchen nach. »Und wie ich meinen Scheiß-Job fertig mache«, sagte er mit einem drohenden Unterton an Nr. 4 gewandt. »Und wie ich ihn fertig mache!«
Stubenrein
»Weißt Du wie man junge Hunde dazu bringt, einem nicht die Bude zu verkacken? Hä?! Keine Ahnung oder was? Bei Euch Indern sind Hunde doch eh nur ein Vehikel zur Aggressionstherapie. Reintreten und sich wohlfühlen! Und dann selbst auf den Gehweg kacken! Dabei sind Hunde die besten Freunde,