Rien ne va plus
Nichts geht mehr
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Rien ne va plus
Hermann Mezger
Copyright: © 2014 Hermann Mezger
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-9249-9
Dieser Roman einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.
Die Handlung des Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, lebend oder verstorben, Firmen und Institutionen wäre rein zufällig.
Bildnachweise: vadmary, mrsegui, morrbyte (123rf.com)
1. Kapitel
Côte d’Azur! Wer dachte bei diesem Namen nicht sogleich an einen strahlend blauen Himmel, schneeweiße Jachten, teure Sportwagen, an die Superreichen und an die vielen schönen, jungen Frauen, die hier ihre Haut zu Markte trugen? Natürlich tummelten sich hier auch Kriminelle aller Couleur, Steuerhinterzieher, Erbschleicher, Spieler, Betrüger und richtig schwere Jungs. Besonders gefährlich waren die, die zu dieser Glitzerwelt dazugehören wollten, es aber mangels Masse nicht schafften. Sie waren zu allem fähig. Ihnen war jedes Mittel recht, um ins Rampenlicht zu gelangen. Die Côte zog alle an wie ein Magnet. Hier pulsierte das pralle Leben.
Das war genau der richtige Ort für Hauptkommissar Bramme, um endlich einmal richtig auszuspannen. Wenn dabei noch ein bisschen Nervenkitzel im Hintergrund lauerte oder ein kleines Abenteuer winkte, sollte ihm das auch recht sein. Nur weg vom verregneten Kiel, weg von seinem Kollegen Petersen, der ihm zu Hause den Rang streitig machte. Endlich mal die Seele baumeln lassen können, ohne erkannt zu werden, die mediterrane Küche genießen, das flirrende Licht, das so viele berühmte Maler inspiriert hatte, auf sich einwirken lassen. Schließlich lagen hinter ihm Wochen und Monate der Anspannung, und er konnte im Grunde heilfroh sein, dass er überhaupt noch am Leben war. Kopf und Kragen hatte er riskiert, um zu tun, was nicht nur sein Beruf, sondern auch seine Berufung war: Drogenbosse zur Strecke bringen. Doch bei allen Erfolgen, die er vorzuweisen hatte, gingen explodierende Sprengsätze, halsbrecherische Verfolgungsjagden, brutale Spießgesellen und das ständige Auf-der-Hut-Sein nicht spurlos an ihm vorüber. Die Todesangst, als ihn jüngst in Portugal ein Hubschrauber auf offener See angriff und er diesen ohne einen Schuss abzufeuern vom Himmel holte, steckte ihm noch heute in den Knochen.
In all den Jahren, in denen er diesen Job nun machte, hatte er etliche Narben davongetragen. Manche konnte man sehen, andere nicht. Allein sein rechter Arm war in den letzten Jahren gleich mehrfach gebrochen worden. Sicher, er hatte viel gesehen von der Welt, und er reiste immer gern und nahm die dabei entstehenden Strapazen ohne Murren auf sich. Nur die Speisen, die er manchmal zu sich nehmen musste, waren nicht immer nach seinem Geschmack. Wenn er heute noch an das Hammelauge dachte, das er in Usbekistan hinunterwürgen musste, an den Bohneneintopf der kolumbianischen Smaragdsucher, der ihm an den Zähnen kleben blieb, und an ein Muschelmus namens Segredo de Maria in Portugal, das aussah, als habe man es mit gebrauchtem Motorenöl zubereitet, lief ihm jedes Mal ein kalter Schauer den Rücken hinunter.
Bei all seinen Reisen fand er immer schnell Anschluss. Wunderbare Freundschaften entstanden, die bis heute hielten. Wenn es also nicht der einfachste Beruf war, den er ausübte, so war es doch genau der richtige für ihn. Seine ohnehin schon gute Stimmung wurde noch besser, als ihm klar wurde, dass nun ein Urlaub vor ihm lag, der viel versprach und den er bis zur Neige auszukosten gedachte. Hier wollte er seinen Akku wieder aufladen, sich fit machen für weitere Kriminalfälle und für den Kampf gegen die Drogenkartelle.
Im stinkfeinen Hotel Martinez am Boulevard de Croisette in Cannes hatte er sich ein Zimmer genommen. Das war für seine Verhältnisse nicht gerade billig, hatte aber den Vorteil, dass er mit wenigen Schritten den hoteleigenen Strand erreichen konnte. Dort wollte er tagsüber die Sonne genießen, schmökern und die Leute zu Lande und auf dem Wasser beobachten. Wer konnte schon wissen, ob ihm nicht gerade hier die Frau fürs Leben über den Weg lief? So eine wie Juliette, mit der er einige Jahre lang eng befreundet war. Nachdem er die Vierzig überschritten hatte, wäre es höchste Zeit, eine Familie zu gründen.
Doch noch war er zu aufgewühlt, um sich sofort auf die faule Haut zu legen. Er musste erst zur Ruhe kommen, sein Leben entschleunigen und Abstand gewinnen. Was lag da näher, als am ersten Tag das Hinterland zu erkunden, hier mal eine Kirche und dort ein Museum zu besuchen und am Tag darauf eine Segeltour zu machen?
Brammes sandblonde Haare wehten ungezähmt im Wind, seine Sonnenbrille blitzte für einen Moment, als sich das Sonnenlicht darin spiegelte, und während er fröhlich am Autoradio drehte, um Édith Piafs Non, rien de rien, je ne regrette rien lauter zu drehen, genoss er die Fahrt mit allen Sinnen. Die Straße von Grasse nach Vence schlängelte sich zwischen Hügeln und einzelnen Villen gen Osten. Sie lag an diesem Vormittag vollkommen still da. Fast zu still. Die Sommerhitze, die über der Straße flimmerte, ließ sogar die Vögel verstummen. Auch von der Hektik der dichtbesiedelten Uferregion drang kein Laut bis hier herauf. Nichts rührte sich. Es war fast, als würde die Welt auf etwas warten.
Unterdessen brauste das Cabrio weiter in Richtung Vence. Bramme öffnete auch den zweiten Knopf seines Hemdes und trommelte dann im Rhythmus der Musik auf dem Lenkrad herum. Auf dem Beifahrersitz klimperten mehrere Flaschen Mineralwasser in einer Kühltasche, daneben lag eine zerknitterte Karte der Côte d’Azur, und aus dem Fußraum ragte der Griff einer ledernen Reisetasche heraus. Das Leben kann so schön sein!, dachte er, lächelte zufrieden in sich hinein und summte die Melodie vor sich hin.
Die idyllische Fahrt wurde jäh unterbrochen. In einer engen, unübersichtlichen Kurve kam ihm auf seiner Fahrbahn ein Wagen in rasender Geschwindigkeit entgegen. Bramme hatte nicht die Zeit, seinen Gesang zu beenden oder das Steuer herumzureißen. Er hatte dem Tod schon oft ins Auge geschaut, und meist warnte ihn eine Vorahnung vor der lauernden Gefahr, doch heute schien ihn sein Schutzengel im Stich zu lassen. Das glückselige Lächeln noch im Gesicht, prallte er ungebremst frontal in das entgegenkommende Auto. Quietschende Reifen, klirrendes Glas, sich deformierendes Blech und ein platzender Kühler zerrissen die Stille. Der Airbag presste sich in Bruchteilen einer Sekunde zwischen Bramme und das Lenkrad. Noch bevor er ganz in dem Luftpolster versunken war, verlor er das Bewusstsein. Rauch stieg über den hoffnungslos ineinander verkeilten Autos empor und kräuselte sich in den makellos blauen Himmel hinauf. Die plötzliche Ruhe, die auf den markerschütternden Crash folgte, war beinahe gespenstisch.
Eine viertel Stunde später schoben sich zwei Motorräder mit heulenden Sirenen durch die Traube an Schaulustigen, die sich inzwischen um den Unfallort herum gebildet hatte. In beiden Richtungen gab es bereits Staus und ein Feuerwehrmann war dabei, die Unglücksstelle mit Absperrband zu sichern. Die beiden Polizisten stellten ihre Maschinen ab, beäugten zunächst die zwei schrottreifen Autos und wandten sich dann dem Notarzt zu, der sich um einen am Straßenrand liegenden, bewusstlosen Mann kümmerte. Als sie näher kamen, streckte ihnen der Arzt die Brieftasche des verunglückten Fahrers entgegen.
Das sandblonde Haar des am Boden liegenden Mannes war blutverschmiert, eine Platzwunde an der Lippe und einige Blessuren auf der Stirn waren bereits dabei, anzuschwellen. Um das linke Auge herum zog sich ein lila werdender Abdruck, der zweifellos vom Gestell der Sonnenbrille herrührte. Während sie sich besorgt über ihn beugten und der jüngere der Polizisten einen Notizblock herauszog, ertönte hinter ihnen der ohrenbetäubende Lärm der Rettungsschere, mit deren Hilfe die Feuerwehr nun versuchte, auch den Unfallverursacher aus seinem Wagen herauszuschneiden. Der Polizist, der die Papiere von dem Notarzt bekommen hatte, warf nun routinemäßig einen Blick darauf. Plötzlich zuckte er zusammen.
„Mon Dieu!“, rief er überrascht aus. „Das ist ja ein Kollege!“
Nun erkannte auch der andere Beamte den Polizeiausweis und las den Namen, der neben dem kleinen